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„Schmidt-Schnauzes“ Gratwanderung

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Muß Verteidigungsminister Helmut Schmidt den „Orden wider den tierischen Ernst“ zurückgeben, der ihm erst heuer, im vergangenen Fasching, verliehen worden ist? Dies ist nur eine der vielen Fragen, die sich aus dem neuen Haarerlaß des bundesdeutschen Verteidigungsministers ergeben. Denn mit der Verordnung, daß „ab sofort“ die Haare der Soldaten nicht über Kragen, Augen und Ohren reichen dürfen, hat Schmidt jetzt die Grundlage für die Verleihung dieses Karnevals-Ordens, den vor ihm schon Bundeskanzler Kreisky erhalten hatte, beseitigt.

Die „German Hair Force“ war es, die dem Verteidigungsminister einst zu humoristischen Ehren verholten hat, ihn allerdings auch in jüngster Zeit das Lachen verlernen ließ und auch gesundheitlich, mehrere Krankenhausaufenthalte deuten darauf hin, eine Belastung für den Herrn über die 450.000-Mann-Armee darstellt.

Aber nicht nur die ästhetischen und medizinischen Probleme langer Haare waren durch Schmidts früheren liberalen Erlaß geschaffen worden, sondern nach Meinung vieler Offiziere und Unteroffiziere auch das Hauptproblem der Bundeswehr überhaupt: die mangelnde Disziplin der Soldaten.

Der Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Fritz-Rudolf Schultz (eines parlamentarischen Ombudsmannes der Bundeswehr), der im Frühjahr vorgelegt wurde, konkretisierte die bisher sporadisch geäußerten Bedenken über den Zustand der Bundeswehr. „Die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung war nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen eines der Kernprobleme der Streitkräfte im Berichtsjahr.“ Sichtbare Zeichen dieser Entwicklung: Delikte wie eigenmächtige Abwesenheit, Fahnenflucht, Ungehorsam, Tätlichkeiten gegenüber Vorgesetzten sowie Kameradschaftsdiebstähle und Diebstähle von Waffen und Ausrüstungsgegenständen haben erheblich zugenommen.

Als besonders krasse Fälle solcher Disziplinlosigkeit führt der Wehrbeauftragte eine Meuterei von Ge-birgspionieren an, die gegen den Offizier vom Dienst mit Eispickeln vorgingen, oder die Demolierung eines Bahnhofs in der Lüneburger Heide durch 140 Soldaten. Aber auch unterhalb dieser Grenze der besonderen Auffälligkeit nimmt die Zahl der disziplinaren Verstöße in der Bundeswehr laufend zu.

Vor allem zeigt die Entwicklung in der Bundeswehr, daß die meisten ihrer Offiziere und Unteroffiziere nicht elastisch genug auf neue Probleme, und dies sind im Moment vor allem eine Ablehnung der Bundeswehr durch die Soldaten und eine daraus folgende Disziplinlosigkeit im Dienst, eingehen können.

Wehrgerechtigkeit

Die von Schmidt schweren Herzens verordnete Revision des Haarerlasses kann nun aber als einer der ersten Versuche gewertet werden, mit dem die Krise gemeistert werden soll. Eine andere, schon lange in Angriff genommene, aber nun erst vor ihrer Realisierung stehende Maßnahme in diesem Konzept ist das Bemühen um größere Wehrgerechtigkeit. Da nur rund zwei Drittel der Wehrpflichtigen ihren Dienst ableisten müssen, der Rest vor allem aus Mangel an Unteroffizieren nicht eingezogen werden kann, ist der Unmut unter den Dienstleistenden darüber, daß gerade sie eingezogen wurden, verständlicherweise groß. Lust und Bereitschaft zur korrekten Erfüllung der Pflichten halten sich dementsprechend in Grenzen. „Wer dumm ist, dient, wer klug ist, verdient“, lautet die Devise. Eine Verkürzung der Wehrzeit von bisher 18 auf zukünftig 15 Monate soll nun dafür sorgen, daß in Zukunft weit mehr Wehrdienstpflichtige eingezogen werden und die gegenwärtige Ungerechtigkeit beseitigt wird.

Die Unlust darüber, beim „Bund“, wie die Bundeswehr von den jungen Leuten abfällig bezeichnet wird, zu dienen, wird auch durch die Situation bei den Wehrdienstverweigerern verstärkt. Bei ihnen muß, da nicht genug Einsatzplätze vorhanden sind, nur jeder dritte seinen Ersatzdienst ableisten. Allein im vergangenen Jahr erhöhte sich die Zahl der Anträge auf Anerkennung der

Wehrdienstverweigerung auf mehr als 120.000.

Auch der Versuch, durch einen Wehrkundeunterricht in den Schulen das fehlende Bewußtsein für die militärische Verteidigung durch die Bundeswehr zu schaffen, stieß auf heftigen Widerstand vieler Lehrergruppen, die dabei die Gefahr einer militaristischen Indoktrinierung der Jugendlichen befürchteten.

So bewegt sich Minister Schmidt in seinem Bemühen, den Platz der Bundeswehr in der Gesellschaft zu festigen und sie passend in sie einzuordnen, auf einem schmalen Grat. Gibt er sich liberal, so droht er in das offene Messer der konservativen Kritiker der Bundeswehr zu laufen, denen seit ihrer Gründung die nötige „Manneszucht“ abgeht. Zieht er die Zügel etwas straffer an, fallen die Kritiker von links, nicht zuletzt aus seiner eigenen Partei, über ihn her. Kein Wunder, daß ..Schmidt-Schnauze“, wie der Minister früher wegen seiner kernigen, treffenden Aussprüche im Parlament genannt wurde, etwas zurückhaltender geworden ist.

Gesundheitliche Schwierigkeiten, die allerdings auf ein Schilddrüsenleiden und nur in zweiter Linie auf die Belastungen im Ministeramt zurückgehen sollen, tun ein weiteres, so daß es als wahrscheinlich gelten kann, daß Schmidt in einem neuen Kabinett Brandt nicht wieder auf die Hardthöhe, den Sitz des Verteidigungsministeriums in Bonn, zurückkehren wird, sondern wahrscheinlich ein anderes Ministeramt übernehmen wird. Bis dahin, und es kann trotz der ungeklärten Situation in Bonn einige Zeit sein, muß Schmidt noch manch hartes Gefecht — nicht zuletzt um seinen Etat — ausfechten.

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