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Eine Portion Fatalismus

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Der Österreicher erwartet seit Ne- stroy offenbar noch immer, daß endlich der Komet kommt. Wie anders wäre es zu verstehen, daß im gleichen Ausmaß, wie seine Angst vor äußeren Gefahren wächst, die Bereitschaft sinkt, Geld für seinen eigenen Schutz auszugeben? Zu diesem Ergebnis ist nicht ein moderner Schuster Knieriem, sondern .bekanntlich eine aktuelle Meinungsumfrage gekommen. Aber der Österreicher ist mit dieser Haltung, obwohl man ihm eine gehörige Portion Fatalismus nachsagt, in bester europäischer Gesellschaft. Auch in den Kleinstaaten Westeuropas, etwa in Dänemark, Belgien oder Holland, sinkt die Bereitschaft, Geld für die Verteidigung auszugeben.

Je mehr offenbar Politikei- und Militärs Geld für die Verteidigung reklamieren, um im Rüstungswettlauf der Supermächte bestehen zu können, desto stärker entsteht beim einzelnen ein Gefühl der Ohnmacht. Was er verteidigen will, ist der soziale Wohlstand. Das liegt ihm näher als Worte wie „Vaterland“ und „Freiheit“. Diesen Wohlstand sieht er jedoch weniger durch einen Krieg, als durch die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung gefährdet. Was viele zum Schluß kommen läßt, daß die Sicherung des Arbeitsplatzes vor dem Schutz der staatlichen Souveränität zu rangieren habe.

Auf dem Weg zu verständlicher Volksphilosophie scheint der Österreicher seine Neutralität zu entdecken. Anfangs diesem Status gegenüber eher skeptisch eingestellt, erhält er ihn nun für den Rettungsanker. Die Wiener UNO-City, nicht nur von ÖVP-Sympathisanten oft als Vergeudung von Steuergeldem hingestellt, soll zum Kristallisationspunkt eines neuen Schutzgefühls werden. Wien als dritte UNO-Stadt könnte den Gefahren der Weltpolitik entzogen sein und wird schon jetzt für „exterritorial“ erklärt. Kreiskys Politik verbucht einen Pluspunkt.

Aber auch die große Opposition sieht sich im Umfrageergebnis bestätigt. Ihrer Meinung nach spiegelt das Unbehagen des Österreichers die mißglückte Heeresreform wider. Man reklamiert für sich, daß es gelungen sei, der Mehrheit klarzumachen, daß das Heer unter Kreisky schwächer geworden ist. In der Tat mag der ständige Vorwurf der ÖVP, das Heer sei nicht einsatzbereit, tiefe Spuren in der Meinung der Österreicher hinterlassen haben. Ob der Wähler allerdings die Forderung nach -mehr Geld für die Landesverteidigung — angesichts dieser Entwicklung — auch mit dem Stimmzettel honorieren wird, bleibt abzuwarten.

Vorerst kann er sich nämlich noch kein Bild von, den. Vorstellungen der ÖVP zur Wehrpolitik machen. Die Veröffentlichung eines Wehrkonzeptes wurde nach mehrmaliger Ankündigung neuerlich verschoben.

Zugegeben, konstruktive Oppositionspolitik auf dem Gebiet der Landesverteidigung zu machen, ist nicht einfach. Wie die Umfrage zeigt, kann ein Zuviel an Kritik gleich in die sicher nicht gewollte Gegenrichtung Umschlagen.

Sucht die Masse also Zuflucht in materieller Sicherheit, darf nicht verwundern, wenn der soeben ver unsicherte Beruf des Landesschützers wieder zu neuen Ehren kommt. Soldat, Polizist oder Gendarm zu sein, war bisher in der Wohlstandsgesellschaft wenig attraktiv. Die wirtschaftliche Unsicherheit ändert das. Amerikanische und deutsche Kasernen kapitulieren bereits vor dem Ansturm einer Freiwilligenwelle. Nun hat auch Österreich ein Randzipfel erreicht. Die Theresianische Militärakademie, in den letzten Jahren ausgetrocknete Nachwuchsstätte für den österreichischen Offizier, meldet ein Rekordergebnis.

Es wäre aber zu einfach, diese Entwicklung nur auf die äußeren Umstände zurückzuführen. Die Krisen jahre haben sicher viele positive Maßnahmen ausgelöst, um den Soldatenberuf attraktiver zu machen. Die größten Fortschritte dabei hat wohl die nachbarliche Bundeswehr gemacht. Ihr ist es gelungen, den sozialen Aufsteiger anzusprechen. Ihm drbht durch die wirtschaftliche Rezession die größte Gefahr, die Basis für einen Aufstieg zu verlieren. Der Staat, vertreten durch die Armee, schafft einen neuen Bildungsweg. Die Armee, bisher verpönt als „Schule der Nation“, kommt zu neuen demokratischen Ehren. Solide Ausbildung ist auch im zivilen Bereich gefragt. Der Unteroffizier mit öffentlich anerkannter Meisterprüfung, der Offizier mit Hochschulstudium schafft den Streitkräften eine breite Basis. Sein Überwechseln in einen späteren Zivilberuf ist keine Fahnenflucht, sondern im Interesse der Armee. Der Zeitsoldat beseitigt Sorgen um die Altersstruktur. Nicht jeder Leutnant kann General werden. Solange das Bundesheer nicht auf diesen Weg einschwenkt, wird es alle Strukturprobleme weiter mitschleppen.

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