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Die Wehrmacht - und wir Heutigen

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Neben vielen unerwarteten Morgengaben wurde der „Zweiten Republik“ in diesem Jahr auch die Wehrhoheit zugesprochen. In Westdeutschland hat man nun um die „Remilitarisierung“ eine Komödie des Für und Wider aufgeführt, die einem Volk vom Rang des deutschen unwürdig ist. Man scheint im „Reich“ zu glauben, daß es zwischen den Alternativen von „Mensch, haun Sie ab“ und dem: „Major von Wedel bittet Herrn Schützen Knorke, noch einen Schuß abzugeben“, keine der Vernunft und dem Sinn jeder Wehrmacht gemäße mittlere Lösung gibt. Daher ist man im allgemeinen der Ansicht, daß das, was vom „Amt Blank“ als Deutsche Streitkräfte aufgestellt wird, entweder als Jagdklub mit Treibern (genannt „Uffze“) oder als Zuchthaus mit Ausgangserlaubnis konstituiert werden müßte.

Es ist möglich, daß wir in Oesterreich ebenfalls eine Wehrdebatte bekommen werden, wenn auch wesentlich ruhiger geführt, da sich die großen Parteien grundsätzlich für eine einheitliche Lösung einzusetzen scheinen. Freilich, nur „scheinen“, denn es ist durchaus möglich, daß die SPOe die OeVP insoweit überspielt, als sie im nächsten Wahlkampf die zivilistischen Instinkte in den Massen aufruft, während die OeVP stellenweise in einer bedingungslosen „Wehrfreudigkeit“ macht.

Die abrupte Großjährigkeitserklärung des „Jünglings“ Oesterreich bringt die Gefahr mit sich, daß man an die Bildung der österreichischen Wehrmacht ohne Bedachtnahme auf das politische und moralische Gewicht der neuen Institution herangeht. Zwei Gefahren drohen: Daß das Bundesheer ein zuchtloser, praktisch von der assentierten Unterwelt geführter Haufen wird, oder daß ein Nur-Traditionsheer geschaffen wird, ein Korps von Statisten, stets ein Fremdkörper in einem Land, dessen politische und soziale Struktur von jener von 1918 und 1938 völlig verschieden ist.

Die Wehrmacht soll aber nicht allein ein Instrument der Verteidigung der österreichischen Freiheit sein, eine waffentechnische Erziehungsanstalt oder ein Paradekörper, sondern vor allem eine bedeutsame staatspolitische Institution. Daneben aber ist die Frage des neuen Bundesheeres auch ein pädagogisches und sittliches Problem erster Ordnung. Aus diesem Grund scheint es geboten, vorweg Sicherungen einzubauen, damit den Assentierten ein nationalpolitisches Wissens- und Glaubensgut vermittelt wird, das ihnen bisher etwa an den Schulen nicht oder nur unzureichend geboten werden konnte. Das aber heißt: Auswahl der Offiziere und Ausbildner derart, daß der Zuzug von Staatsfeinden möglichst unterbunden wird. Bedenklich stimmt, wenn man hört, daß man zum Beispiel bei der Aufnahme von Offizieren in die Gendarmerie nicht durchweg von diesem Grundsatz ausgegangen ist. (Motto: „Schwörn ma halt a bisserl.“) Jedenfalls müßten vom neuzubildenden Offizierskörper jene ferngehalten werden, für die Oesterreich nicht ein Land ist, für das man lebt, sondern von dem man lebt. Was Offizierstreue ist, haben wir 1938 erlebt, im positiven, aber auch im negativen Sinn.

Die neuen Vorgesetzten sollten nicht nur militärtechnische Kenntnisse haben, sondern staatspolitische und moralische Qualitäten aufweisen oder während einer Probezeit erweisen, die sie zu positiven Vor-Bildern der jungen Mannschaften machen. Welche Bedingungen werden etwa an die jungen Lehramtskandidaten in den Mittelschulen gestellt! Soll es bei den Offizieren, die im Frieden doch zuvorderst Pädagogen, wenn auch besonderer Art, sein müssen, anders sein?

Das Offizierskorps darf ferner nicht das Recht erhalten, sich einen Ehrenkodex und Einrichtungen in einer Weise zu schaffen, welche die Bildung einer Offizierskaste begünstigt. Die unerhörte Distanzierung von Offizier und Mannschaft, die doppelte Moral, die Kasinoorgien, die bewußt und liebevoll von oben gepflegte Diffamierung des einfachen Soldaten, sind ein Anachronismus. Die Staatstreue nicht weniger Offiziere von ehedem war zuvorderst eine Kastentreue. Erst über die Kaste fühlte man sich mit dem Vaterland verbunden.

Nichts gegen die Pflege der Tradition. Es ist absurd, unser Vaterland als eine ge-schichtslose Rechtskonstruktion hinzunehmen. Aber die Art, wie uns von manchen Seiten die Traditionspflege empfohlen wird, läßt vermuten, daß man mit dem Begriff der Tradition keine konkrete, realisierbare Vorstellung verbindet. Ganz zu schweigen vom Einfluß jener Politiker, für welche die Republik Oesterreich nur ein Wurmfortsatz des alten Oesterreich ist, das ihnen allein Wirklichkeit darstellt. Tradition: ja, aber gerade wenn man sie aus vollem Herzen bejaht, muß vor ihrer Verwechslung mit Reaktion gewarnt werden. Eines steht jedoch fest: Wer nicht will, daß unsere Jugend — bildlich gesprochen — nach dem Badenweilermarsch marschieren soll, wird für den Deutschmeister- und Prinz-Eugen-Marsch sein müssen.

Die neue Wehrmacht wird kein Knabenhort sein. Es werden Angehörige aller Schichten den Soldatenrock tragen: Anständige, wohlbehütet gewesene Knaben und Strolche, Uffze der Unterwelt, die schon alles hinter sich haben, Absolventen von Stiftsgymnasien und Zigaret-tenschlurfs. Welche unerhörte moralische Gefährdung für die anständigen Jungen, die in Tisch- und Lebensgemeinschaft mit Menschen kommen, denen nichts mehr heilig ist, deren Gespräche kaum mehr-sind als eine Verkettung von Zoten.

Welche immense pädagogisch-sittliche Aufgabe ist da den Ausbildnern gestellt; welche Kunst der Menschenführung wird notwendig sein, um die Kinder (und was sind denn die einrückenden Achtzehnjährigen mehr?) vor dem Dreck zu bewahren, dessen Sprühregen sie durch ein Jahr ausgesetzt werden können. Welche disziplinaren Folgen etwa hätte es für einen Lehrer, wenn er es nicht vermöchte, ihm anvertraute junge Menschen auch sittlich anständig zu erziehen, wenn er selber vor Schülern Zoten erzählen oder sittliche Vergehen dulden, wenn nicht gar fördern würde.

Daher: Schaffung von finanziellen und sonstigen Attraktionen, damit nicht arbeitsscheue, notorische Tachinierer den Weg zum Offiziersoder Unteroffiziersberuf finden, sondern begabte junge Menschen, für die der Offiziers- oder Unteroffiziersberuf auch eine patriotische und moralische Aufgabe darstellt. Sonst ist die Herrschaft der Bullen und Menschenschlächter, der uniformierten Schlurfs und Operettenoffiziere, die wir noch in unseliger Erinnerung haben, unvermeidlich. Man vergesse nicht: Die Menschendompteure warten an der Ecke, ausgehungert schon seit zehn Jahren, auf das „Material“, das sie schleifen und schinden wollen. Ich glaube, daß es nottut, jetzt, da es nicht zu spät ist, einige Forderungen zu stellen:

1. Die oberste Führung des Bundesheeres muß einer Persönlichkeit anvertraut werden, die in der Führung der jungen Mannschaften eine staatsmännische und moralische Verpflichtung höchsten Ranges sieht.

2. Die Dienstzeit soll — von den Spezial-waffen abgesehen — mit einem erträglichen Minimum begrenzt werden. Gleichzeitig wäre zu verhindern, daß die jungen Menschen allzuweit von ihren Heimatorten stationiert werden. Dadurch wird eine Einflußnahme des Elternhauses gesichert.

3. In die oberste Führung des Bundesheere müßten auch zivile Pädagogen kommen, die, nur dem Nationalrat verantwortlich, für eine sittlich einwandfreie Führung der Ausbildung und für eine vernünftige Freizeitgestaltung zu sorgen und die Mannschaften vor militärischsachlich nicht vertretbaren Maßnahmen der Vorgesetzten zu schützen hätten.

4. Sicherung eines gewissen Einflusses der Jugendorganisationen bei der Gestaltung des außermilitärischen Programms.

5. Das Beschwerderecht der Eltern der Minderjährigen (als eine Form des Petitionsrechtes) muß institutionell verankert werden.

6. Die Mannschaftsgliederungen müßten womöglich aus Gleichaltrigen bestehen. In diesem Zusammenhange: Keine Ausbildung von reifen Männern durch junge Uffze. Das pädagogische Elementarprinzip, daß ein Lehrer älter als der Schüler sein muß, sollte auch für die militärische Ausbildung gelten.

7. Einbau der Bestimmungen in das Disziplinarrecht, welche die bewußte Diffamierung der Mannschaften vorweg verhindern oder unter Sanktion stellen. Die Härte, die bei der Ausbildung zuweilen notwendig ist, darf unter keinen Umständen zur Schikane und zur Mißhandlung führen.

Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang der von einem Teil des Offizierskorps der Deutschen Wehrmacht geförderten Herabsetzung der Intellektuellen durch Schinder-Uffze, der Glori-fikation des Ungeistes. Daher weg mit jenen Ausbildnern, deren Wortschatz nur aus hundert Fachausdrücken und hundert bundeseinheitlichen Schimpfwörtern besteht.

Wenn Tausende von Eltern in diesen Tagen wieder um ihre Kinder bangen, so nicht deswegen, weil sie meinen, nun ihre Buben auf dem „Felde der Ehre“ opfern zu müssen. Wovor die Eltern — und mit Recht — Angst haben, das ist die mit der Kasernierung der jungen, bildungsfähigen Menschen verbundene Gefahr des Abbaues der sittlichen und charakterlichen Substanz.

Dieses Bewußtsein, die Kinder in einem „kalten Krieg“ besonderer Art opfern zu müssen, ist unter den betroffenen Eltern allgemein. An diesem Tatbestand können vereinzelte vorbehält- und kritiklose Zustimmungserklärungen nichts ändern. Es bedarf daher ganz besonderer, und wir dürfen wohl sagen, außergewöhnlicher Maßnahmen, um zu verhindern, daß Soldatensitten von ehedem fröhliche Urständ feiern. Dafür, für diese Art Bewahrung von „Tradition“, fehlt uns jedes Verständnis. Uns Heutigen

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