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Die Debatte um Disziplin und Frust in der deutschen Bundeswehr lässt außer Acht, dass die Struktur der Truppe eine gute ist, meint die "Süddeutsche“.

Als die Schiffe der Kriegsmarine noch unter stolzen Segeln die Meere befuhren, ging es an Bord nicht ganz so stolz zu. In vielen Ländern war es zum Beispiel üblich, nächtliche Zecher auf dem Heimweg zu schnappen und auf den Dreimaster zu verschleppen, wo der Zwangsrekrutierte dann die nächsten Monate schuften durfte. Zeigte er sich aufsässig, ließen die Offiziere die neunschwänzige Katze sprechen und den Delinquenten öffentlich auspeitschen.

Auf der Gorch Fock, dem gerne als "weiße Königin“ verklärten Segelschulschiff der Bundeswehr, wird heute niemand mehr brutal gequält. Und doch sind hier altmodische Seemannsrituale kollidiert mit dem modernen Selbstverständnis junger Offiziersanwärter, denen nicht nur die demonstrative Kaltschnäuzigkeit nach einem weiteren Todesfall an Bord übel aufstieß. Das alles hat wenig zu tun mit den Horrorberichten, die durch den Boulevard geistern: Mal ist der Segler ein Lustschiff, auf dem sittlich verrohte Quälgeister jungen Schutzbefohlenen nachstellen; dann wieder soll sogar ein Mordverdacht vertuscht worden sein. In Wahrheit dürfte es mehr um schlechte Menschenführung und eklatante Sicherheitsmängel gehen im Namen einer hierarchieseligen Tradition. Doch ebendiese verkörpern das Gros der Bundeswehr - und nicht jene Ausbilder, die an Bord der Gorch Fock über Offiziersanwärter lästerten, sie hätten nichts Besseres im Kopf als ihr Grundkurswissen über die Rechte des Soldaten.

Schädliche Debatte

Für die Bundeswehr ist die aufgeheizte Debatte ein Schaden. Hier wird die Ausnahme zur Regel erklärt, ein Zerrbild der Truppe gezeichnet. Im Bestreben, dem jungen Flaggschiff der Regierung in die Parade zu fahren, also dem Koalitionsstar Karl-Theodor zu Guttenberg am Zeuge zu flicken, übertreibt die Opposition die Kritik an den wenigen Einzelfällen, um die es eigentlich geht. Doch der Gescholtene selbst macht die Sache keineswegs besser, wenn er sich von den Medien treiben lässt und sich im Stile eines preußischen Generalfeldmarschalls aufmantelt als einer, der schon aufräumen werde in so einem Saustall.

Besser als ihr Ruf

Die Diskussion ist aus dem Ruder gelaufen und nimmt hysterische Formen an, weil es zu wenigen Beteiligten zuerst um die Sache selbst geht: den Zustand der Bundeswehr. Und der ist besser, als es der Öffentlichkeit jetzt erscheinen mag. Aus dem Bericht des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus geht deutlich hervor: Es gibt keine systematischen Verstöße gegen die Menschenwürde und die Grundsätze der Führung. Die Sorgen der Soldaten sind nur selten Demütigungen durch Vorgesetzte; eher Trennung von den Angehörigen, Versorgungsängste und die Last der Auslandseinsätze.

Und diese Einsätze verlangen den Soldaten das Äußerste ab. Sie gefährden ihr Leben in dem unerklärten Krieg in Afghanistan, dessen Ziele um so nebulöser werden, je mehr sich die Parteien aus innenpolitischen Gründen auf einen festen Abzugstermin fixieren. Der ständige Umbau der Truppe und nicht zuletzt deren Überlastung führen zu deutlicher Verunsicherung.

Trotz dieser Situation zeigen sich die Streitkräfte in guter innerer Verfassung, jener Verfassung, welche das Grundgesetz verlangt: den Soldaten als Menschen und Staatsbürger zu achten. Und die Rechte und das demokratische Selbstverständnis sind es, die nach den Erfahrungen der Hitlerzeit den Kern der Bundeswehr ausmachen - weit mehr als in anderen Armeen. Das klingt pathetisch. Aber es ist eine enorme Errungenschaft in einem Land, das Soldaten über Jahrhunderte als Kanonenfutter betrachtet hat.

* Süddeutsche Zeitung, 26. Jänner 2011

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