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Die Süddeutsche Zeitung fragt nach einer sinnvollen Strategie der deutschen Regierung zum sich ausweitenden Krieg in Afghanistan.

Auf dem Weg zur Wahrheit stand der Tod Spalier. Es ist noch nicht lange her, da beharrte ein Verteidigungsminister Franz Josef Jung darauf, es handele sich in Afghanistan nur um einen „Stabilisierungseinsatz“ der Bundeswehr. Dann starben im September 2009 Dutzende Menschen bei einem Bombardement am Kundus-Fluss, das ein deutscher Oberst befohlen hatte. Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erfand alsbald das Wort von den „kriegsähnlichen Zuständen“. Drei tote deutsche und sechs von der Bundeswehr getötete afghanische Soldaten später sagt Guttenberg jetzt, man könne „umgangssprachlich von Krieg“ reden. Diesem Verteidigungsminister ist manches vorzuwerfen, aber sein Drang zur Ehrlichkeit an dieser Stelle ist richtig. Guttenberg beschreibt die Realität, wie sie die Soldaten in Afghanistan erleben. Weiter wird der Minister nicht gehen, weil es unabsehbare verfassungsrechtliche Folgen haben könnte, wenn der Afghanistan-Einsatz zu einem Krieg im Sinne des Völkerrechts erklärt würde. Trotzdem hebt sich Guttenberg bei der Bewertung bewusst von seinem Vorgänger und vielen anderen Schönrednern ab.

Die neue Strategie

Zu sagen, was ist, bleibt freilich nur der erste Schritt. Denn was sind die Konsequenzen? Wenn der Einsatz in Afghanistan nicht mehr das ist, als was er fast ein Jahrzehnt lang von der Politik beschrieben wurde, entfällt für den Einsatz einer Parlamentsarmee gewissermaßen die Geschäftsgrundlage. Wenn ein Immobilienmakler ein Haus mit dem Etikett renovierungsbedürftig verkauft, das sich später umgangssprachlich als einsturzgefährdet erweist, trifft er sich mit dem Käufer vor Gericht. Wo und wie aber kommen Bundesregierung, Bundestag, Bundeswehr und Öffentlichkeit zu einem neuen, mehrheitlichen Konsens darüber, was es wirklich bedeutet, in Afghanistan Krieg zu führen? Seit einigen Wochen gibt es eine neue Afghanistan-Strategie. Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist sehr stolz darauf, nicht nur weil es bislang fast ihr einziges politisches Projekt ist, das sie wenigstens zu einem vorläufigen Ergebnis geführt hat.

Berechtigte Zufriedenheit?

Die Kanzlerin und ihre Leute sind auch zufrieden, weil sie glauben, es mit dieser neuen Strategie – außer den grundsätzlichen Kritikern des Einsatzes – allen recht gemacht zu haben. Ein paar Soldaten mehr wegen Guttenberg, aber nicht zu viele wegen Westerwelle; mehr Polizeiausbilder und mehr Geld für Entwicklungshilfe, um die zivile Komponente zu betonen; und natürlich die sogenannte Abzugsperspektive, um die SPD, aber auch Skeptiker in den eigenen Reihen dabei zu halten. 2011 soll begonnen werden, die Zahl der Soldaten zu reduzieren. Diese Verheißung allerdings passt zur Realität wie ein Kronkorken auf eine Kaffeetasse. Und Guttenbergs Wort vom Krieg hat dieses Missverhältnis nur noch deutlicher gemacht. (...) Wenn die Bundeswehr im Krieg ist, muss sich die Debatte hier aber nicht um den Abzug drehen, sondern darum, wie sich die Bundeswehr bis dahin verhalten darf. Kann sie sich nur verteidigen oder darf sie zum Angriff übergehen? Wie viele Opfer sind wir bereit zu akzeptieren ( ... )? Dass die Kanzlerin diese Debatte anstößt, womöglich sogar eine Richtung mit ihrem politischen Schicksal verbindet, ist unwahrscheinlich. Dem Außenminister ist es nicht zuzutrauen, allein schon weil es sich um eine ernsthafte Diskussion handeln müsste. Ob Guttenberg es alleine wagt und dazu in der Lage ist, darf bezweifelt werden. Versuchen müsste er es. Sonst bliebe sein Wort vom Krieg nur, was man umgangssprachlich als Lippenbekenntnis bezeichnet.

* Süddeutsche Zeitung, 6. April 2010

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