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Mobiles Heer ohne Mobilität?

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Das vielzitierte Wort, wonach Kriegführen eine zu ernste Sache sei, um es den Generälen zu überlassen, scheint hierzulande auch in der friedlichen Etappe zu gelten. Wiewohl nun bereits zwei Jahre verstrichen sind, seit eine vielschichtig zusammengesetzte Kommission bemüht war, dem „Sechs-Monate-Heer“ einen maßgeschneiderten Anzug zu geben, droht dem Heer nun Gefahr, daß es in Eile in eine Konfektionsgröße gesteckt wird. Wo sonst zu viele Köche den Brei verderben, werden sich hier die Generäle nicht einig. Seit der Aufstellung des Bundesheeres war das wehleidige Geraunze im Offizierskorps nie verstummt, mit dem man beklagte, daß man von einem Politiker und nicht von einem Mann aus den eigenen Reihen geführt werde. Zweifelten die Soldaten bereits an den fachlichen Qualitäten ihrer politischen Führer, so scheinen sie ihresgleichen noch weniger Vertrauen entgegenzubringen. Sieht man davon ab, daß es dem Fachmann Lütgendorf bisher nicht gelang, seine Vorstellungen zu realisieren, ringen nun des Brigadier-Ministers einst ranggleiche Kameraden pro und kontra um diese Pläne.

Da es, anders als in unseren westlichen Nachbarländern, der neutralen Schweiz und der integrierten Bundesrepublik, bei uns keine reelle Bestandsaufnahme über den Zustand des Heeres gibt, ist der Diskussion von vornherein der Boden der Sachlichkeit entzogen. Während in der Bundeswehr ein Weißbuch die Streitkräfte auf den Seziertisch der interessierten Öffentlichkeit legt, ist hierzulande selbst den Spitzenmilitärs — mangels Einschaumöglichkeit — jede Diagnose verwehrt. Die Lagebeurteilung der Befehlshaber, also jener Männer, die noch am ehesten den schwachen Pulsschlag der Truppe spüren, wurde verworfen. Der vielgepriesene, im selben Atemzug aber auch ebensooft kritisierte, Generalmajor Spannocchi soll nun mit einem jungen, energiegeladenen Stab den Karren flottmachen. Vor soviel Mut, Elan und

Idealismus soll aber nicht die Kritik verstummen. Schon der

Bundesheerreformkommission war 1970 bei ihrer Arbeit ein viel zu eng gesteckter Rahmen verpaßt worden. Die Verkürzung der Dienstzeit auf sechs Monate war ihr gewissermaßen als Latte, die es zu überwinden galt, aufgelegt worden. Die Eckpflöcke, um die nun der neuzubildende Stab der Bereitschaftstruppen seine Seile spannen kann, sind ebenfalls bereits in die Erde gerammt. Mehrmals hat Verteidigungsminister Lütgendorf den Personlavertre-tern versichert, daß die Umglie-derung des Heeres nicht auf dem Rücken der Berufssoldaten ausgetragen werde — das heißt jeder soll dort bleiben, wo er derzeit Dienst versieht. Ein mobiles Heer ohne Mobilität?

Ebenso könnte man fragen: Gibt es ein einsatzbereites Heer ohne Einsatzbereitschaft? Sosehr es abzulehnen ist, wenn das Heer immer wieder in den Tagesstreit der Politik gezogen wird, muß doch gefragt werden, ob bereits eine Alarmübung ein Po-litikum ist. Wenn selbst Routinehandlungen des militärischen Betriebes nicht mehr aus dem Gezanke der Parteien herauszuhalten sind, hat da nicht auch der „Fachminister“ versagt, der dies zuließ? Nicht nur zuließ, ja diese Entwicklung dadurch förderte, indem er über das Heer den Mantel der Ungewißheit breitete. Wenn man schon einer Öffentlichkeit mangels fachlicher Eignung die Urteilsfähigkeit abspricht — den von ihr gewählten Vertretern darf man sie nicht versagen. Doch was Lütgendorf über die Wehrexperten denkt, hat er ja bereits einmal ziemlich lautstark von sich gegeben.

Genauso, wie es wenig nützt, wenn man mit einem Lamento konstatiert, daß es immer weniger Interessenten für den Beruf des Soldaten gibt. Wer tritt schon in ein Unternehmen ein, das seine Bilanz nicht legt, den Aktionären die Einschau verweigert, sich vor der Überprüfung drückt? Am wenigsten 18 bis 20jährige junge Menschen.

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