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Erzieher Lütgendorf

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Obwohl die Massenmedien in ihm eine für die Regierung kaum noch zu tragende Belastung sehen, die SP-Jugend und Blecha seine Aussprüche vor Jugendrichtern im Jahre 1970 als „Wahnsinn“ qualifizieren, der VP-Jugendführer König sich wegen des „archaischen und undemokratischen“ Urteils des Verteidigungsministers über die österreichische Jugend erregt, scheint nichts von all dem die Stellung Lütgendorfs anzunagen. Für viele, ob nun eine schweigende Mehrheit — oder mögen es weniger sein — ist und bleibt Lütgendorf der Mann, der formuliert, was er fühlt, und ausspricht, was er denkt. Ein Mann, der noch nicht infiziert ist vom politischen Klima.

Nur wenige erfassen, wie sehr es der Bundeskanzler versteht, den Applaus von rechts gegen die Buhrufe von links zu tauschen. Die Buhrufer werden den Sozialisten wegen Lütgendorf nicht den Rücken kehren, aber Lütgendorf macht die SPÖ auch für Kameradschaftsbündler wählbar.

Er selbst scheint indes immer weniger an dieser Rolle Gefallen zu finden. Gereizt reagierte er auf Äußerungen des „Profils“ und des ORF zu seinem Exkurs als „Erzieher der Nation“ vor einer Richtertagung. Er fühlte sich ins falsche Licht gerückt, wollte klargestellt haben, daß er es war, der gerade der älteren Generation die Fehler und Unterlassungen vorgehalten hat, die sie an der Jugend begeht. Und er sparte wirklich nicht mit Vorwürfen an die Altersgleichen und hielt ihnen vor, „obwohl sie in der Vergangenheit sportgestählte Männer und harte Kämpfer an der Front waren“, verweichlicht zu sein.

Für Lütgendorf ist das Bundesheer bereits genügend demokratisch. Jedem jungen Staatsbürger stehe es offen, „gleichgültig, welcher sozialen Schicht er entstammt“, bis in die höchsten Positionen aufzusteigen. Hat der Minister vergessen, daß solches bereits das Ziel der Kaiserin Maria Theresia war, als sie zu Wiener Neustadt ihre Offizierspflanzstätte schuf? Standesdünkel lehnte Lütgendorf 1970 vor den Richtern in

Salzburg strikt für seine Offiziere ab, auch jede Art von Vertraulichkeit. Hatte der Minister 1972 die Worte des Brigadiers von 1970 vergessen, als er vor wenigen Wochen in Graz, von sich per „Lü“ in der dritten Person sprechend, sich linken Revoluzzern anbiederte?

Nach Lütgendorf versucht der Gegner über Ätherwellen, durch das geschriebene Wort, durch Parolen und mit den Methoden des kalten Krieges Geist und Herz der jungen Soldaten zu zersetzen und die Verteidigungsbereitschaft zu schwächen.

Der Verteidigungsminister hat in Österreich eine besondere Stellung. Alle anderen Ressorts werden durch zahlreiche Gremien, durch die Interessenverbände und durch die Öffentlichkeit mehr oder minder intensiv beobachtet und kontrolliert. Wer aber vermag die Abwehrkraft des Bundesheeres einzuschätzen? Weniger auf Lütgendorfs vorhandenes oder nichtvorhandenes Demokratieverständnis sollte sich daher das Interesse der Kommunikationsmedien konzentrieren. Indem man für die eine Seite einen Buhmann sucht, heroisiert man ihn beim Gegenüber. Erinnern wir uns doch, was der „Steher“ Lütgendorf zu Beginn seiner Tätigkeit alles ankündigte. Wo sind die Generale und Briga-diere, die er versprach ins Altenteil zu versetzen? Sie sind nach wie vor in Amt und Würden. Wieweit ist die Umgliederung des Ministeriums gediehen? Man wartet vergeblich darauf. Die Bereitschaftstruppe, für 1973 geplant, scheint mehr als ungesichert zu sein. Der gegenwärtige Reservekader kann nur noch bis 1976 zu Übungen herangezogen werden, dann ist das Mobilmachungsheer so gut wie führerlos. Gegen diese Probleme verblassen selbst die begrüßenswerten Initiativen des Minister-Generals, mehr Bewegung in die Personalführung des Heeres zu bringen. Doch selbst frische Besen können nur dort kehren, wo sich noch etwas bewegen läßt. Blickt man sich jedoch in diesem Heer um, schlägt einem kaum mehr als verständliche Resignation entgegen. Die Richtungslosigkeit gewinnt Oberhand selbst über den Streit, ob dieses Heer eine „Schule der Nation“ sein soll oder ein „Spiegelbild der Gesellschaft“, zu deren beider Verteidigung es aufgerufen wäre.

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