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„Minister Pappkamerad“

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„Der Lütgendorf“, erinnert sich ein Mittagstischpartner im Offizierskasino, „war immer gegen die sechs Monate. Das hat er oft genug gesagt. Daß er jetzt Schwierigkeiten hat, liegt wahrscheinlich darin, daß er seine Meinung geändert hat.“ Dieser Meinungsumschwung fand im Februar dieses Jahres mit seiner Berufung zum Verteidigungsminister statt. Und im Februar 1971 begann das „Drama Lütgendorf“.

Karl Lütgendorf ist ein Karrierist. Man sagte ihm nach, daß er auch unter einer ÖVP-Regierung das Ministeramt angenommen hätte. Aus einem sehr einfachen Grund: Lütgendorf fühlt sich berufen, in die Geschichte des österreichischen Bundesheeres einzugehen. An die Rolle eines „Sündenbockes", der einmal wieder abgeschoben wird, dachte er wahrscheinlich in keinem Moment.

An Lütgendorf wird klar, wie schwer ein Befehlshaber zum Befehlsempfänger finden kann. Als Offizier — mit militärischem Gehorsam „vollgepfropft“ — steht heute Lütgendorf der Demokratie im Staat hilflos gegenüber.

Verteidigungsminister Lütgendorf schätzt — ist es nur Gewohnheit? —

den Befehl und erwartet darauf keine Widerrede, sondern schlicht die Antwort: „Befehl ausgeführt!“ Das Bundesheer ist ihm heilig. Er betont, so oft man es hören will, er sei Fachminister. Über das Bundesheer können nur „Generalstäbler“ reden, die verstehen ihr „Handwerk“. Daß er als Politiker das öffentliche Interesse in den Fachbereich umsetzen muß, hat er bis heute nicht begriffen.

Deshalb unterstellt er der Presse, wenn sie über ihn und das Bundesheer berichtet, „Freude am Destruktiven“, prangert mangelndes Fachwissen — da keine Generalstabsausbildung — an und disqualifiziert Besorgnis als „hysterische Töne“. Volksvertreter, die an der Richtigkeit seiner Vorstellungen zweifeln, haben unrecht: auch sie haben kein Fachwissen — und im Raum steht schlicht und einfach die Feststellung: Sie sind zu „dumm“.

Wird er zur Rede gestellt, wie letzthin im Parlament, verliert er die Nerven: Die Fäuste in den Taschen geballt, steht er, während er angesprochen wird, auf, antwortet nicht, sondern verläßt mit geringschätzigem Achselzucken die Ministerbank, verläßt den Saal.

Kann man ihm einen Vorwurf machen? Wie gesagt: Für Lütgendorf ist die parlamentarische Demokratie etwas, was er mit soldatischer Logik nicht verstehen kann.

Den Vorwurf muß man Bundeskanzler Kreisky machen. Wie kann er einen Mann wie Lütgendorf ruhigen Gewissens mit seinen Demokra- tisierungs- und Transparenzbestrebungen in Einklang bringen? Wie kann die SPÖ einen Verteidigungsminister — einen Politiker also — der anderen Vorhaltungen über mangelnde Qualifikation macht, verantworten, wenn er dafür nicht die mindeste Qualifikation mitbringt? Es ist bedauerlich, daß die österreichischen Sozialisten nach Offizieren wie Theodor Körner und Julius Deutsch auf einen Lütgendorf angewiesen sind. Der vielzitierten Sozialdemokratie wird damit kein Dienst erwiesen.

Aber Bundeskanzler Kreisky ist offensichtlich auch dazu bereit. Er wird Lütgendorf auch weiter den Rücken stärken, mit einer absoluten Volksvertretermehrheit als Wirbelsäule. Es ist ihm lieber, wenn die Opposition den „parteiunabhängigen“ Lütgendorf als Minister „Pappkamerad“ anschießt, bevor er einen Parteigenossen der Kritik aussetzte.

Kreisky wird also vor allem aus taktischen Gründen Lütgendorf halten, auch gegen die Vorhaltungen innerhalb der Sozialistischen Partei, die von Tag zu Tag zunehmen. Der Sozialist Paul Fritz hat nach den letzten Ereignissen einen bemerkenswerten Schluß gezogen: „Die Antwort dürfte einfach sein. Lütgendorf kann sich nicht auf die Öffentlichkeit einstellen. Möglicherweise ist es aber auch sein Trainer, dem dies nicht gelingt.“ Und „Trainer“ Kreisky trainiert — wenn man bei diesem sportlichen Vergleich bleibt — schlecht: Anstatt daß Lütgendorf besser wird, erledigt der Trainer die Arbeit. Wenn Lütgendorf angesprochen wird, schweigt dieser, der Bundeskanzler antwortet für ihn, interpretiert ihn, fällt Entscheidungen. Welcher Verein ist aber unter solchen Umständen nicht vom Abstieg bedroht?

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