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Lebenskunst in Uniform
Gefördert von der österreichischen Nationalbank und mit Unterstützung des Bundesheeres wurde im Herbst 1980 die Verteidigungsbereitschaft der jungen Österreicher untersucht. Ein bisher unter Verschluß gehaltener Teil der Erhebungen unter abrüstenden Präsenzdienern über ihre Erfahrungen in Uniform ist eine beinharte Kritik am heutigen Heeresalltag.
Gefördert von der österreichischen Nationalbank und mit Unterstützung des Bundesheeres wurde im Herbst 1980 die Verteidigungsbereitschaft der jungen Österreicher untersucht. Ein bisher unter Verschluß gehaltener Teil der Erhebungen unter abrüstenden Präsenzdienern über ihre Erfahrungen in Uniform ist eine beinharte Kritik am heutigen Heeresalltag.
Zwar ist die grundsätzliche Verteidi- gungs- und Wehrbereitschaft der Präsenzdiener durchaus positiv, doch weiß ein Großteil eigentlich nicht, worum es geht. Nicht nur, daß die Schule um die Fragen der Landesverteidigung einen relativ großen Bogen macht, auch das Bundesheer selbst läßt hier aus.
Umfassende Landes- oder Raumverteidigung bleibt Für viele ein Buch mit sieben Siegeln: Immerhin rüsten, hat eine Ende September 1980 unter der wissenschaftlichen Leitung des Salzburger Universitätsprofessors Rudolf Gönner und des Linzer Soziologen Erich Brunmayr durchgefiihrte Untersuchung ergeben, mehr als die Hälfte der Präsenzdiener ab, ohne daß sie mit dem Konzept der Raumverteidigung etwas anfangen können.
Bei dieser Erhebung Äirden unter anderem 1.860 abrüstende Soldaten in
17 über das gesamte Bundesgebiet verteilte Kasernen unter die Lupe genommen.
Mit dem Ergebnis: Jungmänner kommen mit einer vorgefaßten Meinung zum Heer, die sich während des Präsenzdienstes nur wenig ändert; die Beurteilung des Heeresbetriebes wird teilweise höchstens negativer, obwohl sich beim Einrücken mehr als die Hälfte positive Erfahrungen erwartet.
Daher lautet eine der Schlußfolgerungen der Studie: die Einstellung zur Landesverteidigung ist nicht zuletzt ein Bildungs- und Informationsproblem.
Eine Schlußfolgerung, der auch Oberstleutnant Karl Semlitsch vom Büro Für Wehrpolitik im Landesverteidigungsministerium zustimmt: „Wenn die Leute über die Umfassende Landesverteidigung und über das System des Heeres informiert sind, stehen sie auch dem Betrieb positiver gegenüber. Jene, die nicht informiert sind, sind dagegen sehr negativ eingestellt.“
Positiver, das heißt aber nicht unkritischer: vielmehr bringen auch verständnisvolle Soldaten beinharte Kritik am Heeresalltag an.
• 41 Prozent der informierten und 77 Prozent der wenig bis nichtinformierten Abrüster wollen die Erfahrung gemacht haben, daß die meisten zeitverpflichteten Soldaten im Zivilberuf nichts erreicht haben und deshalb beim Heer bleiben.
• Daß man mit Ehrlichkeit im Heer wenig Erfolg hat und schwindelnd besser fährt, unterschreiben nicht weniger als 57 Prozent der Informierten und 68 Prozent der Nichtinformierten.
• Insgesamt nur ein Drittel glaubt, daß die Vergabe von Begünstigungen (Urlaubsscheinen, Überzeitscheinen) ziemlich gerecht erfolgt.
• Dafür finden 60 Prozent der Informierten und 86 Prozent der Nichtinformierten, daß Bestrafungen im Heer oft willkürlich und ungerecht sind.
• Und schließlich geben nicht weniger als 41 Prozent der dem Heer gegenüber sonst verständnisvollen Abrüster an, daß sie beim Heer mehr als früher getrunken haben; bei der anderen Gruppe sind es gar 64 Prozent.
Dieser letzte Punkt ist Für den Innsbrucker Vizeleutnant Hermann Loi- dold, Chef der gesamtösterreichischen Unteroffiziersgesellschaft, ein Alarmsignal. „Man sieht es auch an den Verkehrsunfällen von Soldaten“, ergänzt er.
Weniger in den Kasernen, sondern vor allem bei gemeinsamen Ausgängen werde da oft über den Durst getrunken. Und Semlitsch sieht darin keine spezifische Bundesheererscheinung, sondern
ein generelles Problem die österreichische Geselligkeit, bei der Alkohol fast immer dabei ist.
Einig sind sich Offizier und Unteroffizier darin, daß die Frage der zeitverpflichteten Soldaten ein heikles Problem ist. Semlitsch, der die Umfrageergebnisse selbst noch nicht kennt und ihnen dementsprechend skeptisch gegenübersteht, nimmt sie jedenfalls vor der Abrüster-Kritik in Schutz:
„Dieser Personenkreis, meist junge Korporale oder Zugsführer, sind im militärischen System weder Fisch noch Fleisch, sie sind nicht mehr Grundwehrdiener und noch nicht Unteroffiziere. Das drückt sich bei vielen in einem besonders unsicheren Verhalten aus, woraus Präsenzdiener oft schließen, der kann nichts, der will nicht.“
Den Vorwurf der willkürlichen Bestrafung wollen aber beide nicht gelten lassen: Denn jeder habe das Recht, gegen eine ungerechte Bestrafung Beschwerde zu erheben. Berufungen gebe es aber kaum.
Schwindeln zum eigenen Vorteil, auch wenn das nicht ehrlich ist, zählt aber schon zum Heeresalltag. Der sogenannte „gute Schmäh“, so Oberstleutnant Semlitsch, sei aber nicht nur für die Lebenskunst'in Uniform typisch, sondern leider überhaupt sehr verbreitet: „Fragen Sie doch nur Schüler, wie das in der Schule ist...“
Trotzdem sieht der Wehrpoiitiker hier eine große Aufgabe für die politische Bildung im Bundesheer, die heute noch in den Kinderschuhen steckt: „Die soll ja die Bewußtseinsbildung fördern und zu einem sozialen Verhalten erziehen. Da gibt es einen echten Nachholbedarf.“
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