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Kalter Burgfrieden

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Im 17. Aufbaujahr setzte man In der Babenberger-Burg zu Wiener Neustadt einen bedeutsamen Schritt in der Frage der Landesverteidigung — ohne deshalb das drohende Gespenst einer schleichenden Demontage des Heeres bannen zu können. Politiker und Militärs gestanden sich endlich die Sünde ein, die nach den Worten des ersten Generaltruppeninspektors Fussenegger der Anlaß zu allen Schwierigkeiten um den Heeresaufbau war, die Lüge von der Überzeugung, daß ein Heer notwendig sei. Oder um mit Bundeskanzler Kreisky zu sprechen: „Wir haben ja nie an der patriotischen Gesinnung des politischen Gegners gezweifelt, doch insgeheim gefürchtet, sein Ja zur Landesverteidigung wäre ein bloßes Lippenbekenntnis.“ Ob er da nicht zu allererst pro domo sprach?

Der Sieger in dieser Eintracht saß schweigend am rechten Flügel der Politiker, die eben das Eingeständnis formuliert hatten: Verteidigungsminister Lütgendorf. „Meine Bereitschaftstruppe habe ich 1973 zusammen“, hatte er bereits vor dem Heeresgipfel versichert, um die Disku-tanten darüber hinwegzutäuschen, daß sie vielleicht bei einem Leichenschmaus sitzen könnten. Und zur Bestätigung seiner Überzeugung präsentierte er Zahlen — Zahlen, die allerdings gegen diesen Optimismus sprechen: „Der Stand an zeitverpflichteten Soldaten (meist Unteroffiziere; Anmerkung) hat sich im Zeitraum des vergangenen Jahres um 1643 vermindert“, so der Minister auf eine Anfragebeantwortung des Abgeordneten Marwan-Schlosser, und vergleichend: „Demgegenüber stünden 1762 Soldaten, die sich zu einem freiwillig verlängerten Grundwehrdienst gemeldet hätten, der nach Dauer und Verwendung in der Regel mit einem Zeitverpflichteten durchaus vergleichbar wäre.“ Wenige Tage später sah auch Walter Urbanek in der „Presse“ schwarz für Lütgendorfs Hoffnung auf 15.000 Mann Bereitschaftstruppe.

Während man beim neutralen Nachbarn im Westen angesichts des Fehlens von rund 25 Prozent an notwendigen Instruktoren aus dem Offiziers- und Unteroffiziersstand gesteht, daß die Ausbildung der Schweizer Milizarmee als die entscheidendste Frage zum größten Teil von der Qualität des Instruktionspersonals abhängt, baut man in Österreich auf neue Konzepte und Organisationsschemen.

Minister Lütgendorf präsentiert jetzt ein Konzept, das sogar die Löcher aufzeigt, die er in den Verteidigungsanstrengungen ausklammert. Wie er jedoch dem „Emmentaler“ auf der Kostenseite begegnen wird, hat er noch nicht bekanntgegeben. Da nützen auch nicht ganz ungewohnt diplomatisch vorgetragene Eingeständnisse, daß wir „endlich mit der Illusion einer Luftraumverteidigung“ aufräumen müßten.

Aufräumen müßte man freilich mit vielen Illusionen! Am vordringlichsten mit dem Anlaß der Heeresreform, der Überzeugung, daß der sogenannte Leerlauf durch eine Organisationsänderung aus der Welt zu schaffen sei; denn dies ist die zweite Lüge, mit der wir uns seit Jahren herumschlagen.

Sicher ist, daß die momentane Form dieses Heeres wenig Überzeugungskraft in sich besitzt, auf eine mögliche Auseinandersetzung in den siebziger Jahren reagieren zu können. Richtig ist, daß dieser Umstand viel zur geringen Glaubwürdigkeit der Landesverteidigung beigetragen hat. Doch ebenso sicher ist, daß nur noch wenig Zeit bleibt, diese Fehler einzugestehen. Die Auflösung Im Heer geht zu rasch vor sich, um langatmige Grundsatzdiskussionen in Kauf nehmen zu können. Die richtige Diagnose am Sterbebett käme jedoch zu spät.

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