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Schlüsselwort Demobilisierung?

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Rumänien unterstützt seit Jahren auf dem internationalen Feld die Forderungen des Kremls, versieht sie aber mit scheinbar unwesentlichen Zusätzen mit dem Ziel, die eigene Sicherheit gegenüber dem übermächtigen Nachbarn im Nordosten zu heben. Diese Taktik bewährt sich und ist zu großer Perfektion entwik-kelt worden.

Dimitru Aninoiu, der Botschafter der Sozialistischen Republik Rumänien in Österreich, zugleich Leiter der Delegation Rumäniens bei den europäischen Truppenabbaugesprächen (MBFR), veröffentlichte in der letzten Nummer der „Europäischen Rundschau“ seine Gedanken zu eben diesem Thema. Daß seine Ausführungen den Standpunkt seiner Regierung widerspiegeln, liegt auf der Hand, ist aber auch aus dem Vergleich mit anderen rumänischen Dokumenten, etwa mit der letzten Rede des Vertreters Rumäniens bei den Vereinten Nationen, Constantin Ene, abzulesen.

An Aninoius Artikel besticht der Sinn für Realität. Der Autor vermeidet leere Phrasen und die vielen oft gehörten, aber gänzlich unausführbaren Forderungen anderer Publizisten aus dem Ostblock. Er geht vielmehr sehr zielbewußt einen wichtigen Schritt weiter als die bisherigen, von rumänischer Seite stammenden Anregungen.

Eingangs stellt Aninoiu in seinem Artikel fest, daß es keine politische Entspannung ohne militärisches Disengagement gebe.

Zu diesem Zweck schlägt Aninoiu folgendes Programm vor: „Reduzierung und letzten Endes Abzug der fremden Truppen von den Territorien anderer Länder; Beseitigung der fremden Militärstützpunkte; Verzicht auf Militärmanöver, Demonstration der Gewalt und Truppenkonzentrationen an den Grenzen anderer Staaten; Herabsetzung der Militärbudgets, in erster Linie jener der großen, stark aufgerüsteten Länder, und Einstellung des Wettrüstens; Verringerung der Truppen und Rüstungen der nationalen Streitkräfte; Verpflichtung der Nuklearmächte, keine Atomwaffen gegen Staaten einzusetzen, die diese nicht besitzen und nicht erzeugen; die Schaffung von Voraussetzungen für die Beseitigung der Militärblöcke.“

Gewiß soll dieses Programm auch dazu dienen, die Amerikaner aus Europa hinauszumanövrieren und die NATO zu sprengen; aber wenn man die geographische Lage Rumäniens bedenkt, erkennt man leicht, um wieviel freier diese Nation atmen könnte, wenn die Sowjetunion durch internationale Verträge verhalten wäre, die aufgezählten Beschränkungen einzuhalten.

Wichtig ist Punkt zwei: „Diese Verhandlungen sollen nicht von Block zu Block, sondern zwischen souveränen und gleichberechtigten Staaten außerhalb der Militärbündnisse stattfinden. Die Wiener Verhandlungen sollen sich nicht die Sicherheit eines militärischen Blocks im Verhältnis zum anderen zum Ziel setzen, sondern gleiche Bedingungen für Frieden und Sicherheit für jeden europäischen Staat schaffen.“

Mit den einzelnen Staaten verhandeln, kann dem Osten Vorteile bringen. Wie prompt die Front der westeuropäischen Länder auseinanderbricht, sobald jedes für sich darangeht, um seine Sonderinteressen zu kämpfen, hat sich jüngst in der Ölkrise erwiesen. Aber Rumänien bezweckt eine Aufwertung der kleineren Staaten zum eigenen Vorteil und wehrt sich hartnäckig gegen eine Marionettenrolle.

Den harten Kern seiner Anregungen hält Aninoiu im Punkt 3 fest. Er verlangt, daß die — nach getroffener Vereinbarung — „aus einem Land oder einer Region abgezogenen Streitkräfte nicht in andere Länder oder Regionen Europas verlegt werden. In diesem Fall käme es nur zu einer verstärkten Truppenkonzentration, die ein neues militärisches Engagement und neue Spannungen schaffen würde. Es wird also notwendig sein, die abgezogenen Truppen zu demobilisieren“.

Die Verpflichtung zur Demobilisierung der abgezogenen Truppen soll die Prämissen zur Überwindung eines vorauszusehenden toten Punktes bei den kommenden Verhandlungen schaffen. Bekanntlich wollen die Sowjets von einem „ausgewogenen“ Truppenabzug, wie er den Westmächten vorschwebt, nichts wissen, während diese dem einfachen Grundsatz des Abzugs aller Streitkräfte aus fremden Gebieten nicht zustimmen, weil er bedeuten würde, daß die Amerikaner sich tausende Kilometer über den Ozean zurückziehen müßten, die Russen jedoch lediglich einige hundert Kilometer hinter ihre weit nach Westen vorgeschobenen Grenzen.

Rumänien schlägt nun eine dritte Lösung vor, die keinen offenen Widerspruch zum russischen Plan darstellt, deren Verwirklichung das eigene Land aber von dem schweren Druck befreien würde, mit der Konzentration übermäßiger Truppenmassen dicht hinter seiner Ostgrenze rechnen zu müssen. Es ist möglich, daß dieser Vorschlag ein positives Echo im Westen hervorruft.

Punkt vier soll das einmal Erreichte für die Zukunft absichern: „Die Vereinbarungen, die in Wien geschlossen werden, sollen einen irreversiblen Charakter haben und die Länder verpflichten, in Zukunft keine Truppen mehr auf das Gebiet anderer Staaten zu entsenden.“

So kompromißlos die rumänischen Machthaber an ihrer Ideologie und am kommunistischen System festhalten, so wenig sind sie daran interessiert, ihre Weltanschauung missionierend in die Welt hinauszutragen. Der große Nachholbedarf in der Wirtschaft und im Bildungswesen bindet alle Kräfte. Die Entspannungspolitik der Rumänen darf man als ehrlich einschätzen, ihr Motiv, die Angst vor der Ubermacht der Sowjetunion, ist einleuchtend genug. Daher verdienen Initiativen wie die vorliegende Beachtung und ernste Prüfung.

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