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Atomraketen im „Friedensmeer“

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Die Diskussion um ein atomwaffenfreies Nordeuropa hat eine dramatische neue Dimension bekommen. Kernwaffen waren an Bord des gestrandeten U-Boots gerade jener Macht, die sich seit Jahrzehnten für die Errichtung einer Anti- Atomwaffenzone in diesem Gebiet stark macht. „Whiskey on the Rocks“ ist zu einem nuklearen Cocktail geworden.

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Die Diskussion um ein atomwaffenfreies Nordeuropa hat eine dramatische neue Dimension bekommen. Kernwaffen waren an Bord des gestrandeten U-Boots gerade jener Macht, die sich seit Jahrzehnten für die Errichtung einer Anti- Atomwaffenzone in diesem Gebiet stark macht. „Whiskey on the Rocks“ ist zu einem nuklearen Cocktail geworden.

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In den Schären vor der südschwedischen Kleinstadt Karlskrona ist mehr gestrandet als ein altes sowjetisches U-Boot der Whiskey-Klasse. Zu einem für Moskau weniger günstigen Zeitpunkt hätte Kapitän Pjotr Guschin sein Schiff gar nicht auf Grund setzen können.

Der offensichtliche Spionageakt gegen ein neutrales Land, die eklatante Grenzverletzung durch ein sowjetisches Fahrzeug passen sehr schlecht zu den Bemühungen des Kremls, sich — im Gegensatz zu dem „aggressiven Kalten Kriegern in Washington“ — als die „Friedensmacht“ zu profilieren. Es herrscht nicht der geringste Zweifel, daß die U-Bootaffäre zu einem dramatischen Meinungsumschwung in ganz Skandinavien geführt hat.

Just eine Woche, nachdem die UdSSR die USA beschuldigt hatte, Schwedens Neutralität zu untergraben, bewies sie so klar wie nie zuvor, wie kalt sie die Neutralität mißachtet, wenn es ihr zum Vorteil gereicht.

Als ob es nicht gereicht hätte, auf Spionagefahrt die schwedische Neutralität zu verletzen: Die Sowjets mußten auch noch Kernwaffen mitbringen! Zwar haben die Schweden die Atomwaffen nicht gesehen — das hat die Besatzung der U-137 verhindert—, doch zweifelt niemand daran, daß die sensationellen Angaben stimmen, die der schwedische Ministerpräsident Thorbjoern Fälldin vorlegte.

Aus Moskau kam ja statt eines Dementis die halbe Bestätigung: Alle sowjetischen Fahrzeuge seien mit erforderlichen Waffen ausgerüstet, teilte die Regierung im Kreml lakonisch mit. Mit dem „unbeabsichtigtem Eindringen auf schwedisches Hoheitsgebiet“ habe das gar nichts zu tun.

Da sind die Schweden anderer Ansicht. Die Protestnote der Regierung hat eine Schärfe, wie sie Moskau von neutralen Staaten wohl noch nie gehört hat. Und die Reaktionen der Sowjetunion beweisen, daß ihr die ganze Angelegenheit äußerst peinlich ist. Nie zuvor hat sich die Sowjetunion für ein Vergehen entschuldigt, wie diesmal für die „unbeabsichtigte“ Grenzverletzung. Nie hat man zugelassen, daß ein sowjetischer Kapitän auf fremden Territorium verhört wird.

Für die starke nordeuropäische Friedensbewegung die von der Sowjetunion mit schönen Worten umbuhlt wurde, ist die U-Bootaffäre ein Schlag ins Gesicht. Die Argumente, mit denen bisher über ein atomwaffenfreies Skandinavien diskutiert wurde, verlangen nach Revision.

Da hatte die Sowjetunion behauptet — und viele hatten es ihr abgenommen —, daß die sowjetischen strategischen Atomwaffen auf der an Skandinavien grenzenden Kola-Halbinsel sowie die Atomraketen-bestückten U-Boote in der Ostsee Teil des globalen Machtgleichgewichts seien. Sie könnten deshalb nicht in Gespräche über eine atomwaffenfreie Zone von lokaler Bedeutung eingebracht werden.

Die Schären von Karlskrona aber haben mit globaler Balance nichts zu tun. Wenn die Sowjetunion Kernsprengladungen dorthin bringt, dann ist Skandinavien direkt betroffen und bedroht.

Die schwedische Enthüllung der U-Bootbewaffnung stellt alles auf den Kopf, was man bisher über die Atom-U-Bootflotte der Sowjetunion wußte. Westliche Militärexperten hatten die Zahl der sowjetischen Atom-U-Boote in der Ostsee bisher auf sechs mit strategischen Missilen ausgerüsteten Fahrzeuge der Golf-Klasse begrenzt.

Jetzt muß man davon ausgehen, daß zumindest ein Teil der rund 60 U-Boote der Whiskey-Klasse ebenfalls mit (wenn auch relativ schwachen) Atomsprengladungen durch das Meer schwimmen, das die Russen das „Meer des Friedens“ nennen. Im Fall der U-137 heißt „schwach“ eine Sprengladung in Stärke der Hiroshimabombe.

Da die UdSSR sicherlich nicht geplant hat, die U-137 demonstrativ vor Karlskrona auf Grund zu setzen, muß angenommen werden, daß sowjetische U-Boote bei Routineaufgaben in der Ostsee regelmäßig mit Atomwaffen bestückt sind. Als die U-137 schon vor Karlskrona im Schlamm steckte, gaben sowjetische Massenmedien ihrer Bekümmerung über amerikanische U-Boote vor Japans Küste Ausdruck. Welche Gefahr, schrieb die TASS, für Japans Bevölkerung, wenn da ein Unglück geschehe…

Für Leonid Breschnjews Reise in die Bundesrepublik ist der UT Bootskandal ein denkbar ungünstiger Auftakt. Wer um Widerstand gegen die Aufstellung neuer NATO-Raketen wirbt, der darf nicht mit Atomsprengladungen in den Gewässern eines neutralen Kleinstaats stranden.

Spionageopfer Schweden

Da wird zu offensichtlich, daß Moskau die Friedensdebatte unter seinen eigenen Bedingungen führen will. Aber so wohl nicht! Man kann dem U-Bootkapitän Pjotr Guschin dankbar sein, daß er durch seine Fehlnavigation zu gegebener Zeit auch die Zweifler auf die Gefahren der sowjetischen Atomrüstung aufmerksam machte.

Seine eigene Bevölkerung mag die UdSSR über die Geschehnisse vor Karlskrona im Unklaren halten können. In der westlichen Welt, und besonders in jenen Kreisen, die zuletzt aus ehrlicher Überzeugung meinten, die Aufforderung nach Rüstungsbegrenzung müsse sich in erster Linie an US-Präsident Ronald Reagans Team richten, hat die Sowjetunion einen Prestigeverlust erlitten der nicht so schnell gut zu machen sein wird.

Den Schweden bestätigte die U- Bootaffäre, was sie ohnedies wußten: Daß ihr Land von fremden Spionen beäugt wird. Sie bestätigte ihnen aber auch, daß sie für derartige Zwischenfälle nicht gerüstet sind. Hier muß Stockholm wohl das System seiner Küstenüberwachung, die durch die zahllosen kleinen Inseln des Schärenarchipels sehr schwierig ist, neu überdenken.

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