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Nervenkrieg um die Atom-U-Boote im „Meer des Friedens“

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Im November 1976 wurde vom schwedischen militärischen

Überwachungsdienst das Einlaufen zweier sowjetischer U-Boote der Klasse „Golv II“ in die Ostsee beobachtet Nun sind Durchfahrten von Kriegsfahrzeugen der Ostseeländer durch den Oresund keine Seltenheit Für U-Boote gilt lediglich die internationale Bestimmung, daß ihre Durchfahrt in Oberwasserlage erfolgen muß.

Ungewöhnlich war jedoch, daß es sich dabei mit Atomraketen bestückte Fahrzeuge handelte, und daß den ersten zwei Booten in zwei Gruppen noch vier weitere derselben Klasse folgten. Da es sich jedoch um ziemlich veraltete und leicht angreifbare Bootstypen handelte, nahm man in allen interessierten militärischen Kreisen an, daß die unmodern gewordenen Kriegsfahrzeuge in einem baltischen Hafen abgerüstet und verschrottet werden sollten.

Fünfzehn Monate später stehen jedoch diese sechs U-Boote im Mittelpunkt von aufgeregten Pressekommentaren, von diplomatischen Protesten, Anklagen von schwedischer Regierungsseite und scharfen sowjetischen Gegenangriffen. Keinesfalls zu Altmaterial verwandelt - wie man angenommen hatte-, sondern offensichtlich gründlich überholt und neu bemalt, patrouillieren nun die alten Golv-II-U-Boote in der Ostsee, vor allem im Raum zwischen Baltikum, Schweden und den dänischen Inseln: Scheinbar der von östlicher Seite vielmals erhobenen Forderung nach einer Ostsee als einem „Meer des Friedens“ zum Trotz.

Dänemark und Norwegen müssen sich nun damit abfinden, daß die mit

Atomrobotern bestückten unheimlichen grauen Ratten der Meere nahezu in Sichtweite ihrer Küsten die einstmals so friedlichen Wellen der Ostsee durchfurchen, als ständige Mahnung daran, daß nun Tod und Vernichtung in einem Atomschlag erschreckend nahe gerückt sind!

Es ist verständlich, wenn die schwedische Regierung in Moskau gegen die Heranführung von Atomwaffenträgern in die Nähe ihrer Territorialgrenze protestierte. Zu scharfen Reaktionen kam es auch im westeuropäischen NATO-Bereich. Die übrigen nordischen Länder verhielten sich dagegen äußerst zurückhaltend.

Hat sich durch das Erscheinen der sowjetischen Atom-U-Boote in der Ostsee die strategische Situation in diesem Raum so stark verändert, daß ein massiver westlicher Gegenzug unvermeidbar geworden ist, wie von gewissen Kreisen behauptet wird? Von Seite schwedischer Militärs wird kühl und mit Nachdruck darauf verwiesen, daß dies nicht unbedingt der Fall sein muß. Auch von ihrer früheren Position außerhalb Nord-Norwegens konnten die Mitteldistanzraketen dieser U-Boote so gut wie ganz Schweden und Norwegen erreichen. Nun ist ihr Wirkungsbereich 2000 Kilometer nach Süden verschoben worden, wodurch der größte Teil der Bundesrepublik mit allen ihren Häfen, die Niederlande und Belgien erreichbar geworden sind.

Es ist durchaus nicht sicher, daß dies das Ziel der sowjetischen Umgruppierung gewesen ist, denn alle hier angeführten Gebiete lagen bereits früher innerhalb des Aktionsbereiches westrussischer Raketenbatterien, die über ein Vielfaches jener Feuerkraft verfügen die jetzt der Ostsee neu zugeführt worden ist.

Einleuchtend ist deshalb auch die Annahme schwedischer Beobachtungsstellen, daß die so demonstrativ durchgeführte Verstärkung der sowjetischen Ostseeflotte im Zusammenhang mit der Forderung westeuropäischer Militärkreise - man erwähnt hier ausdrücklich die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien -nach Einführung der Neutronenbombe gesehen werden muß. Die Sowjetregierung hat auf diese Forderungen wiederholt mit der Drohung geantwortet, kompensierende Gegen-

maßnahmen zu ergreifen. Und wenn man in diesem Fall auch nur die Bedrohung durch 18, auf bundesdeutsche Großstädte gerichtete, Atomroboter ins Spiel werfen kann, so können diese doch bei kommenden Rüstungsbeschränkungsverhandlungen ein Tauschobjekt darstellen. Im pausenlos fortgehenden Nervenkrieg hat auch eine schwache Karte ihr Gewicht!

In Schweden aber sieht man nun den als sicher angenommenen westlichen Gegenmaßnahmen mit größerer Sorge

entgegen als den bereits vollzogenen sowjetischen U-Boot-Schachzug. Angriffsziele von NATO-Robotern nahe der schwedischen Küste können nur Tod und Vernichtung auch über das neutral gebliebene Land bringen. Und die geradezu fieberhafte Aufrüstung der Landungsstreitkräfte und der Angriffswaffen in beiden großen Heerlagern kann wahrhaftig jeden Kriegsgegner an dieser Entwicklung verzweifeln lassen!

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