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Randbemerkungen zur woche

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ES VERGEHEN LEIDER OFT VIELE MO- , NATE, bis über eine Beschwerde beim Ver- waltungsgerichtshof entschieden wird. Das hängt mit der Arbeitsüberlastung dieser Behörde zusammen. Um so dringlicher muß getrachtet werden, die alljährlich .durch Erreichung der Altersgrenze ausscheidenden Richter ehestens wieder zu ersetzen. Kommt es doch bei dieser Arbeitsfülle auf jeden einzelnen Richter an. Als Ende 1953 zwei Mitglieder des Verwaltungsgerichtsholes in den Ruhestand traten, beeilte sich die Vollversammlung des Gerichtshofes, der Bundesregierung Besetzungsvorschläge zu erstatten, damit diese daraus zwei neue Bewerber dem Bundespräsidenten zur Ernennung namhaft machen könne. Die Bundesregierung ist an die Besetzungsvorschläge zu erstatten, damit idiese holes gebunden. So schreibt es die Verfassung vor, um vorzubeugen, daß zu diesem für einen demokratischen Staat so wichtigen unabhängigen Gerichtshof etwa nur Günstlinge, einer politischen Partei berufen werden oder Pro- tekton und Korruption dabei im Spiele sein können. Die Bundesregierung hat nun seit Dezember 1953 trotz höchster Dringlichkeit dem Bundespräsidenten noch keinen Besetzungsvorschlag unterbreitet. Ein wertvolles halbes Jahr ging nutzlos verloren. Warum? Nachdem es der SPOe gelungen ist, dem Verldssungs- gerichtshof ihren Parteianwalt als Mitglied einzufügen, versucht sie nun ähnliches bei der Besetzung der beiden derzeit vakanten Posten beim Verwaltungsgerichtshof. Die der SPOe angehörenden Mitglieder der Regierung weigern sich, aus dem sechs Bewerber enthaltenen Besetzungsvorschlag des Verwaltungsgerichts- holes zwei Herren auszuwählen, weil sie mutmaßen, daß die Vorgeschlagenen nicht ihrer Parteirichtung nahestehen. Sie wollen aber nur bei einem Besetzungsvbrschlag mit- wirken, der ihnen parteipolitisch genehme Bewerber enthält. Nach der Verfassung ist es nicht zulässig, die Vorschläge des Gerichtshofes überhaupt zu übergehen. So hoffen sie nun, die, Richter des Verwaltungsgerichtsholes dadurch unter Druck zu setzen, daß sie über ein halbes Jahr bereits passive Resistenz leisten und dem ohnedies so überlasteten Gerichtshof die für die Erfüllung seiner Aufgabe so notwendigen neuen Arbeitskräfte bis auf weiteres einfach verweigern. Wenn also bedeutende Rückstände beim Verwaltungsgerichtshof entstehen und die Staatsbürger nicht zu ihren Rechten kommen können, weiß man, wem dies zu danken ist. Im übrigen: Kommt . ein solches Vorgehen nicht einem Versuch, die .österreichische Verfassung zu umgehen, nahe?

DIE FRANZÖSISCHE NATIONALVERSAMMLUNG wartete in der vergangenen Woche mit einer CJeberraschung auf. ln der Nacht aul den 18. Juli wurde das Ergebnis der ersten lnvestiturabstimmung nach dem Sturz der Regierung Laniel bekanntgegeben: Der radikalsozialistische Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten, Pierre Me nd es - France, erhielt mit einer überwältigenden Mehrheit von 419 Stimmen das Amt des Ministerpräsidenten. Der Sieg dieses Außenseiters selbst seiner eigenen Partei war aber kein Zufall. Niemand, der den publizistischen Niederschlägen des politischen Lebens in Frankreich etwa im letzten Jahr aufmerksam gefolgt war, konnte übersehen, daß der Name Mendès-France überall dort fiel, wo von Reformen, von den für so notwendig empfundenen neuen Wegen in der Innen- wie in der Außenpolitik die Rede war. Unerwartet kam allerdings, daß die Nationalversammlung sich diesmal nicht wie noch vor eineinhalb Jahren, dem „ungemütlichen“ Reformerdrang und den scharfen Gedankeniührungen dieses Mannes entzog. (Damals, am 5. Jänner 1953, blieb Mendès-France knapp, in der Minderheit: zur Investitur wären damals wie heute 314 Stimmen notwendig gewesen. Daraus gehl wiederum hervor, daß er seinen nunmehrigen Sieg nicht den 95 kommunistischen Stimmen verdankt, dieser ungebetenen Schützenhilfe, von der er Sich wiederholt klar distanzierte.) Mendès-France wurde Ministerpräsident, weil er sich jeder Polemik und jeder Weissagung entzog und sich selbst eine Frist von vier Wochen setzte. Bis zum 20. Juli will er durch direkte Verhandlungen mit den Vietminh einen Wailenstillstand in Indochina zustandebringen, ein umfassendes (und allseits am meisten gefürchtetes) Wirtschaltsprogramm vorlegen und durch einen Appell an den Patriotismus beider über die EVG streitenden Parteigruppen dem verhängnisvollen Zwiespalt ein Ende setzen. Wahrlich kein geringes Arbeitspensum Gelingt ihm die Verwirklichung dieser drei Programmpunkte nicht, so demissioniert er. Eine seltsam aufgeräumte Stimmung im Palais Bourbon sicherte ihm diese Frist. Seine Regierung entbehrt nicht der interessanten Persönlichkeiten (Edgar Faure als einziger Ueberlebender d,er Regierung Laniel, weiterhin als Finanzminister, François Mitterand, Laniels „Bevon", nunmehr Innenminister, schließlich der streitbare General Pierre König, Wortführer der Gaullisten im Kampfe gegen die EVG als Verteidigungsminister). Ebenso wie der gemeinsame Nenner der in der Regierung vertretenen Parteien und

Meinungen fehlt, ebenso wäre es verfrüht, von ‘ einer Niederlage der von den bisherigen MRP-Außenministern geschlossen vertretenen’ Außenpolitik und infolgedessen von einem Sieg Molotows oder Tschu-En-Lais zu sprechen. Scheitert Mendes-France, erst dann wäre eine Niederlage Frankreichs und Europas in Sichte..

DER ABBRUCH .DER GENFER KONFERENZ- fällt zusammen mit dem Besuch Churchills und Edens bei Eisenhower: Amerika und England haben sich die Folgerungen zu überlegen, die sich aus def französischen Niederlage und dem zu keinem echten Kompromiß bereiten Verhalten Rußlands und seiner asiatischen Verbündeten in Genf ergeben. Drei Dinge haben sich, eine Lehre für die freie Welt, eindeutig in Genf gezeigt: die französische Schwäche, die englische Konzilianz bis zürn Aeußersten und das amerikanische Auf trumpfen mit militärischen Drohungen China gegenüberj diese ungleichen Drei wirken einfach nicht. Da die Schwäche Frankreichs nach innen und außen hin auf absehbare Zeit unüberwindbar erscheint, falls sich nicht ein „Wunder an der Marne" öder die Jungfrau v m Orléans einstellen, müssen die USA und England zunächst allein handeln. Unter dem .Motto „Bis hierher und nicht weiter“ soll der allzulange zuvor beredete Südostasiehpaki geschaffen werden, eine wichtige Partnerschaft von asiatischen, und weißen Mächten. Sehr viel wird dabei da-, von abhängen, ob sich das amerikanische Ungestüm und die englische Verhaltenheit auf einer mittleren Linie treffen. Noch ist in Asien viel zu reiten. Selbst Indien erschrickt heute sichtlich über das Vordrängen der töt- chirtesi,sehen Massen, die immer nüherrücken: an seine verwundbarsten Stellen. — Die Weltpresse hat, wieder einmal, Churchills alten Plan einer Zusammenkunft mit Malenkow erörtert. Sicherlich wird dieser mit Eisenhower’ neuerlich durchbesprochen werden;. Molotow hatte in Genf dermaßen enge Direktiven von- Moskau mitbekommen, wo die Generalität allen „Zugeständnissen“ an den Westen abhold ist, daß Churchills Plan, den Bären in seiner Höhle selbst äüizusuchen, heute selbst auf amerikanischer Seile ein gewisses Verständnis findet, weil man sidi klar wird, daß Amerikas berühmte nèue New-Look-S’trategie, die lockere Besetzung großer Frontlinien mit weit im Hintergrund geballten Atombomben, für Asien wahrscheinlich wenig verwertbar ist, abgesehen von dem Eindruck auf die asiatischen Verbündeten, die das Drohen mit der H-Bombe nicht lieben.— Inzwischen hat Eden mit Tschu- En-Lai die Aufnahme weiterer diplomatischer-. Beziehungen erörtert. Englands Handel blicht nach China — was, so scheint es, selbst von Moskau nicht ungern gesehen wird, das keine allzu heiligen Dramatisierungen wünscht. Die Kommunisten würden ja auch ruhig weiter- verhandeln in Genf, so sie inzwischen Südostasien besetzen könnten

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