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Der Ruf nach einer Feuerwehr
In vier Wochen werden die Regierungschefs der zwölf EG-Länder im niederländischen Maastricht über die politische und militärische Zukunft der Gemeinschaft beraten. Zwischen Bonn und London gibt es in vielen Fragen Differenzen. Am konkreten Bewährungsfall Europas, dem Krieg in Jugoslawien, läßt sich ablesen, wieweit die EG noch von ihren hohen Zielen, Ordnungsfaktor in Europa auf der Grundlage einhellig anerkannter Wertüberzeugungen zu sein, entfernt ist.
In vier Wochen werden die Regierungschefs der zwölf EG-Länder im niederländischen Maastricht über die politische und militärische Zukunft der Gemeinschaft beraten. Zwischen Bonn und London gibt es in vielen Fragen Differenzen. Am konkreten Bewährungsfall Europas, dem Krieg in Jugoslawien, läßt sich ablesen, wieweit die EG noch von ihren hohen Zielen, Ordnungsfaktor in Europa auf der Grundlage einhellig anerkannter Wertüberzeugungen zu sein, entfernt ist.
Hat die Europäische Gemeinschaft versagt, weil sie in den blutigen Auseinandersetzungen in Jugoslawien zu spät, mit falschen Mitteln und zu weich reagiert hat? Die Hilflosigkeit Westeuropas angesichts der Gewalt vor der eigenen Haustür läßt nichts Gutes für die vielzitierte außen- und sicherheitspolitische Union ahnen, die die EG zu werden sich anschickt.
Aber keine Polemik. Zu den Fakten. Kroatien klagt Europa an, nicht genügend zur Beilegung des Krieges in ihrem „europäischen Land" zu tun. Es schreit seit langem um Anerkennung als souveräner Staat, um wenigstens bilateral an Hilfen - sprich: Rüstungsgüter - heranzukommen. Der EG-Vermittler Lord Carrington hat jetzt, da die menschlichen Opfer bereits unermeßlich und der kulturelle Schaden unzählbar geworden ist, davon gesprochen, daß Europa wahrscheinlich um eine Anerkennung nicht herumkomme. Die Alibihandlung des Westens, Belgrad wirtschaftlich zu boykottieren, genügt den Kroaten nicht, weil der Lebensnerv - die Ölzufuhr - für Serbien nicht getroffen wird. Aber was soll EG-Europa denn überhaupt machen am Balkanstaat, die Beobachter fliehen vor den Bomben auf Dubrovnik, die hehren Worte der Pariser Charta - Ausfluß des Prozesses der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(KSZE) - versickern im blutgetränkten Boden an der Adriaküste oder in Slawonien.
Trotz allem weisen Österreichs Staatssekretär für Integrationsfragen, Peter Janko-witsch, und EG-Experte Botschafter Manfred Scheich den Vorwurf, die EG habe angesichts der Jugoslawien-Krise versagt, „als zu global" oder „zu wenig nuanciert" zurück. Jankowitsch meint, daß überhaupt die ganze Maschinerie der internationalen Organisationen - „wenn man das so sagen will" - versagt hat. Das Gesamt von UNO, KSZE und EG spiele in Jugoslawien keine sehr glückliche Rolle. Der Staatssekretär analysiert in einem FURCHE-Gespräch: „Die heutigen internationalen Organisationen sind offenbar für solche Fälle nicht gerüstet. Und überhaupt ist die europäische Verfassung unzureichend. Trotzdem muß man sagen, daß die EG alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat."
Ähnlich kritisch reagiert auch Botschafter Scheich, den die FURCHE telefonisch in Brüssel erreichte, auf kritische Anfragen bezüglich der kläglichen Rolle EG-Europas am Balkan. „Man vergißt immer wieder, daß die Gemeinschaft vor völlig neuen Aufgaben steht, für die sie ursprünglich nicht geschaffen wurde." Scheich bezieht diese Äußerung auf das Vorhaben der EG, „künftig als sicherheitspolitischer Anker für Europa zu fungieren", was sich nach den umstürzenden Ereignissen in Osteuropa „schockartig" als neue Aufgabe und Herausforderung für die Gemeinschaft stellte.
Die UNO, betont Staatssekretär Janko-witsch, sei die einzige Institution, die in der Lage wäre, auch in einer sogenannten inneren Angelegenheit einzugreifen. Darauf hat übrigens die FURCHE schon ziemlich am Anfang des Krieges zwischen Serbien und Kroatien hingewiesen. Als er, Jankowitsch. vergangenen Donnerstag seinen „Freund Xavier" Perez de Cuellar. noch UNO-Generalsekretär, auf Jugoslawien angesprochen und an ihn appelliert habe, der Sicherheitsrat möge doch Sanktionen gegen Jugoslawien oder jene Teile Jugoslawiens beschließen, die am Bürgerkrieg erheblichen Anteil haben, habe dieser den Appell als „schön und gut" bezeichnet, aber gemeint, daß der Sicherheitsrat von globaler Warte aus nur letzte Instanz für das Problem sei.
Jankowitsch fordert daher einen eigenen Sicherheitsrat für Europa mit entsprechenden Kompetenzen, der auch ohne Zustimmung der Betroffenen in innere Auseinandersetzungen eingreifen könne. Der Statssekretär umschreibt das mit dem Bild von einer „europäischen Feuerwehr", die unabhängig davon agieren können muß, ob sie gerufen wird oder nicht. „Bei einer Friedensbedrohung muß diese Feuerwehr mit bestimmten Mitteln eingreifen dürfen, notfalls auch mit militärischen", meint Jankowitsch.
Das Vergessen, daß es elementare Ausbrüche in Gesellschaften geben kann, daß Ethnien mit ungeheurer Gewalt aufeinander prallen können, ist für Botschafter Scheich mit ein Grund für die „gewisse Ratlosigkeit", mit der Europa vor den Trümmern einer noch gar nicht in Angriff genommenen neuen Politik steht.
Grundsätzlich sollte sich in Europa ein kooperatives Sicherheitssystem entwickeln, das von gemeinsamen Interessen und Werten, wie sie in der Pariser Charta festgelegt sind, ausgeht. Daraus, meint Scheich, müßten sich Strukturen und Mechanismen entwickeln, „inklusive einer gewissen physischen Kapazität, die gemeinsam eingesetzt wird, wenn ein Mitglied dieses Systems gegen die gemeinsamen Regeln verstößt". In Richtung dieses „Bildes", so Scheich, müßte man jetzt gehen. Doch offensichtlich ist man von der Realisierung noch weit entfernt. Nützt es Kroatien etwas, wenn Botschafter Scheich konstatiert, daß „solche Konflikte wie in Jugoslawien einen ungemein starken Impuls dafür geben, vorwärts zu gehen"? Immerhin: Jugoslawien ist Europa heute Warnung und Mahnung, für ein gemeinsames Sicherheitssystem Sorge zu tragen.
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