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Weiter Weg zum neuen Europa

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Jacques Delors, der Präsident der EG-Kommission weiß es ganz genau: Eine vorzeitige Anerkennung Kroatiens und Sloweniens würde noch mehr Blutvergießen bedeuten. So beruhigt jeder sein Gewissen. In Wahrheit aber zeigt diese Auseinandersetzung um die Anerkennung, daß der Weg zum gemeinsamen Europa noch sehr weit ist, und daß die alten Ängste, wer die Vormacht in Europa hat oder haben könnte nach wie vor lähmend wirksam sind. England und Frankreich voll Mißtrauen gegenüber dem vereinigten Deutschland, die USA als Weltmacht ungerührt pragmatisch, oder was halt so als Pragmatismus verstanden wird.

Wenn schon durch die neue Konföderation Rußland, Weißrußland, Ukraine die Sowjetunion endgültig zerfällt, muß wenigstens die Fiktion eines Jugoslawien aufrecht erhalten werden.

Vor genau zwei Monaten stimmte das Europa-Parlament in Straßburg über eine Anerkennung Kroatiens und Sloweniens ab. Damals sagte der SPD-Abgeordnete Klaus Wettig, die EG habe die Augen vor den Realitäten in Jugoslawien geschlossen und damit den „serbischen Aggressor ermutigt".

Das Votum scheiterte damals knapp. Indes liegt der Bericht der EG-Beobachter aus dem kroatischen Kriegsgebiet vor, der an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Eines dürfte inzwischen auch ziemlich klar geworden sein: Das Schema Waffenstillstand und dann Verhandlungen über einen etwaigen Einsatz von UN-Friedenstruppen bietet der sogenannten Volksarmee jede Möglichkeit, weiter kroatisches Gebiet zu erobern. Sie allein entscheidet damit, wann es zu Verhandlungen kommt.

Wenn schon Pragmatismus, dann sollte er doch auch die Überlegung nicht ausklammern, was ein erfolgreiches Serbien auf dem Balkan bedeuten würde.

Mehr als ein Dutzend Waffenstillstandsvereinbarungen sind jetzt gescheitert. Auch dem überzeugtesten Verfechter eines jugoslawischen Staates müßte klar geworden sein, daß diese Armee jeder politischen Kontrolle entglitten ist.

Diese Armee handelt nicht „zynisch", wie manche meinen, sondern nach den Gesetzmäßigkeiten der Gewalt völlig normal. Sie hört nicht zu schießen auf; weil sie gar nicht verhandeln will. So deprimierend das für Friedenskämpfer sein mag: Die Friedensbereitschaft von eroberungsbereiten Armeen hängt nicht von der Friedensbereitschaft der anderen ab, sondern davon, daß eine solche Armee von den Risiken eines Eroberungskrieges überzeugt werden kann.

Die „Volksarmee" sei feige, stellten die EG-Beobachter fest. Sie kann sich die Feigheit leisten.

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