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Integration als Gegenmittel für neue Bedrohungsszenarien

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Trotz schwerer Brocken ist EU-Botschafter Scheich gelassen optimistisch, was Österreichs EU-Termin- plan betrifft.

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Trotz schwerer Brocken ist EU-Botschafter Scheich gelassen optimistisch, was Österreichs EU-Termin- plan betrifft.

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Sorge über gewisse Reaktionen in Österreich auf alles, was von Brüssel - sprich: EU-Verhand- lungen kommt, bekundet Österreichs EU-Botschafter und -Ver- handler Manfred Scheich in einem Gespräch mit der FURCHE. Es ist für ihn keine Frage, daß der Integrationsgedanke „vor dem Zeitgeist eine Krise durchläuft“, weil Integration assoziativ mit „groß“ und „undurchschaubar“ verbunden werde. „Es gibt den Rückzug in eine kleinere, verständlichere Welt“, konzediert Scheich, aus einem verständlichen „Zurückzucken vor der Komplexität und Technizität der Zeit heraus“. Aber gerade darauf habe die westeuropäische Demokratie mit der Einführung neuer Gestaltungsprinzipien — beispielsweise dem der Subsidiarität - reagiert.

Europa habe - so Scheich - „den großen Föderator“, gemeint ist die gemeinsam empfundene Bedrohung von außen während der Ost-West- Spaltung, verloren. Auf das kommunistische Gegensystem habe die Gemeinschaft immer reflexhaft reagiert. Die neuen Bedrohungsszenarien, die neuen Instabilitäten assoziieren jedoch nicht Integration, beklagt Österreichs EU-Botschafter, „obwohl Integration auch diesbezüglich das Gegenmittel wäre“.

Von der Gemeinschaft erwartet Scheich, daß alles bisher Errungene bewahrt werde, die politischen Prozesse aber einer Korrektur unterworfen bleiben sollten. „Das heißt, wir brauchen Subsidiarität, das regionale Element und Transparenz, aber der Gesamtprozeß, das Momentum nach vorwärts muß erhalten bleiben, sonst kommen wir wieder zurück auf die bösen Erfahrungen der Vergangenheit mit überbordenden nationalen Interessen und dem alten Klientelismus mit wechselnden Allianzen.“ Diesen Prozeß mitzubestimmen und mitzugestalten sei „vitales Interesse Österreichs“, mahnt Scheich.

Die europäische Integration ist für Scheich ein einzigartiger Erfolgsprozeß, der einerseits die Öffnung der

Märkte und Gesellschaften, Liberalisierung und internationale Arbeitsteilung gebracht habe, andererseits auf eine gemeinsam gestaltete Politik hinauslaufe, „weil wir wissen, daß viele Probleme nicht mehr national gelöst werden können“. Interessenkonflikte seien etwas Natürliches, neu sei in Westeuropa, daß man diese Konflikte nicht mehr mit Macht und Gewalt, sondern nach gemeinsamen Rechten löst.

„Der Integrationsprozeß enthält einen friedenspolitischen Aspekt: es soll keinen europäischen Bürger- krieg geben. Da gilt auch der Hinweis auf Ex-Jugoslawien nicht. Ost

europa ist eine andere Kategorie. Der friedens- und sicherheitspolitische Aspekt gilt nun einmal nur für die Teilnehmer an der Integration.“ Deswegen, so Scheich, sei es einfach grundfalsch, wenn manche Medien in Österreich behaupteten, daß österreichische Errungenschaften durch einen EU-Beitritt bedroht wären. „Da nimmt man dann punktuelle Fragen her, krallt sich an ihnen fest, bläht sie auf, um dann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen.“

Die Aufgeregtheit um Themen und Termine im Zusammenhang

mit den noch ausstehenden Fragekomplexen Transit, Zweitwohnsitz und Agrarbereich ist für Scheich „zum Teil medial gemacht“. Die österreichische Delegation in Brüssel mache alles „und noch ein bißchen mehr“, um den Terminplan, Abschluß der Verhandlungen Anfang März, einzuhalten. Scheich: „Ich bin gelassen optimistisch. Ich hasse aber politische Prophezeiungen.“

Es sei nicht so, daß Brüssel auf Zeit spiele und die Verhandler hinhalte, um Österreich möglichst viele Kompromisse abzuhandeln: „Die zeitliche Vorgabe kommt ja von der Gemeinschaft selbst, die Österreich am 1. Jänner 1995 als neues Mitglied begrüßen will. Und der Zeitdruck ergibt sich aus der Rückrechnung gewisser EU-Termine. Wenn das Europäische Parlament, das im Juni neu gewählt wird, noch über die Vorlage Österreichs verhandeln soll, dann müssen wir bis 10. März fertig sein.“ Mit Brüsseler Taktik habe also der Zeitplan nichts zu tun.

Diesbezüglich korrigiert Scheich auch Landwirtschaftsminister Franz Fischler, der jüngst von einer Verzögerungstaktik auf Beamtenebene in Brüssel gesprochen hatte. Scheich: „Ich bin bei Schuldzuweisungen sehr zurückhaltend. Die Agrarfrage ist ein sehr komplexes Problem, dessen Aufarbeitung Zeit bedarf. Bisher hat es hier ja noch nicht einmal Verhandlungen auf Botschafterebene gegeben.“ Scheich hat vergangenen Freitag bei EU-Außenkommissar Hans van den Broek darauf gedrängt, daß Brüssel rasch seine Agrarpositionen vorlegt. Fischler selbst will bei EU-Agrarkommissar Renė Steichen zur Eile drängen.

Bei der Frage der Zweitwohnsitze - unlängst durch den Tiroler Grundverkehrsreferenten Josef Guggen- berger wieder ins Gerede gekommen (Stichwort: Deutsche befürchten, enteignet zu werden) - hofft Scheich auf eine befriedigende Lösung: „Österreich bleibt ja völlig souverän in Fragen der Raumordnung und bei den Flächfnwidmungsplänen sowie beim Umweltaspekt. Das sind doch ganz wesentliche Institutionen zur Eindämmung der Zweitwohnsitze. Nur sagt uns die EU, es darf keine unionsnationalistische Diskriminie - rung geben. Der Kernpunkt ist doch, daß Österreich nicht verhüttest werden soll und darf. Jetzt ist es wichtig, Modelle dafür zu finden, die keine diskriminierenden Aspekte haben. Und genau darüber reden wir jetzt.“

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