"Stabilität für Russland ist jetzt das Wichtigste"

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Während seines Besuches in Moskau sprach EU-Agrarkommissar Franz Fischler im furche-Exklusiv-Interview über die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland, die Verdienste von Präsident Putin und die nationalen Töne der Orthodoxie.

die furche: Die EU sagte Russland jüngst den Status eines Landes mit Marktwirtschaft zu. Welche Bedeutung hat das für Ihr Agrarressort?

franz fischler: Nur so viel, bei einem Anti-Dumping-Verfahren marktwirtschaftliche und nicht die bisherigen Regeln anzuwenden. Aber es ist ein wichtiges politisches Signal für Russland.

die furche: Angesichts der offenen Kaliningrad-Frage schien es fast unterzugehen.

fischler: Ich würde nicht sagen "untergehen", aber Kaliningrad ist wirklich ein schwer zu lösendes Problem. Russland pocht darauf, dass die Bürger der Exklave Kaliningrad und die Russen nach der EU-Erweiterung ungehindert über EU-Gebiet reisen können. Wir werden dieses Thema jetzt einmal unter den Mitgliedsstaaten diskutieren.

die furche: Welche Rolle im gesamten Wirtschaftsaufkommen zwischen Russland und EU kommt dem Agrarsektor zu?

fischler: Der russische Außenhandel mit der EU ist natürlich von den Energiemärkten dominiert. Beim durchaus bedeutenden Agrarhandel überwiegt unser Export nach Russland, aber die Agrarproduktion in Russland wird in Zukunft weiter erstarken. Das schwierigste für die russische Landwirtschaft ist, die Schwankungen in der Produktion zu verringern.

die furche: Wo sehen Sie im russischen Agrarsektor den allerdringlichsten Handlungsbedarf?

fischler: Man muss Voraussetzungen für die Entstehung eines agrarischen Unternehmertums schaffen. Es bedarf eines Grundkatasters und einer klaren Regelung der Privatisierung landwirtschaftlichen Bodeneigentums. Erst darauf kann man ein vernünftiges Kreditwesen aufbauen, um Geld für Investitionen zu bekommen. Wir haben entschieden, in der laufenden Förderungsperiode hier schwerpunktmäßig zu helfen. Große Schwächen gibt es in der verarbeitenden Lebensmittelindustrie und in den entsprechenden Standards.

die furche: Putin spricht viel vom eklatanten Mangel an Klein- und Mittelunternehmen in Russland. Ist da Unterstützung seitens der EU angedacht?

fischler: Europäisch denkend, hat Putin erkannt, dass das Rückgrat der westeuropäischen Wirtschaft Klein- und Mittelbetriebe sind. Sie sind flexibler und garantieren, dass man nicht einseitig von Firmen oder wenigen Sektoren abhängig ist. Die EU kann natürlich nicht alles gleichzeitig unterstützen. Das Förderprogramm (TACIS) wird in den nächsten Jahren in Richtung Verbesserung der Umweltbedingungen gehen. Den marktbezogenen Sektor wollen wir in erster Linie den investitionsfreudigen Marktkräften überlassen.

die furche: Wie stark erscheint Ihnen das Problem, dass in Russland gerade die Umsetzung der Gesetze zu wünschen übrig lässt?

fischler: Das ist sicher eine Art Achillesferse. Ich glaube, das wird sich mit einer Verjüngung in der Beamtenschaft bessern. Wir können nur eine Schulung junger Russen in westeuropäischen Zentren anbieten.

die furche: WTO-Chef Mike Moore sprach davon, Russland bis September 2003 in die WTO aufzunehmen. Auch Sie plädieren für eine Beschleunigung. Ist der Zeitpunkt realistisch?

fischler: Man muss da sowohl Geschwindigkeit als auch Qualität im Auge behalten. Ein Beitritt ist nicht so leicht, weil sich Russland ja praktisch mit jedem einzelnen WTO-Staat arrangieren muss. Im Agrarsektor bestehen hier derzeit größere Hindernisse als mit der EU.

die furche: Russland ist ein wichtiger Importeur von EU-Fleisch. Wie weit ist hier die BSE-Krise und die Krise rund um die Maul- und Klauenseuche überwunden?

fischler: Russland ist gerade in Veterinär- und Lebensmittelsicherheitsfragen sehr sensibel. Bezüglich BSE ist die Lage wirklich schon viel besser. Zum Teil besteht das Problem, dass die russischen Behörden weiter versuchen, solche Dinge eher mit einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu verhandeln als mit der EU. Künftig wird es enorm wichtig, dass die EU mit einer Sprache spricht.

die furche: Apropos interne Organisation: Auch russische Politiker äußern sich mitunter unzufrieden, dass Entscheidungsprozesse in der EU viel zäher als etwa in den USA vorangehen.

fischler: Das stimmt schon, aber man darf nicht vergessen: Eine Verhandlung mit der Kommission, die sich ja jeweils bei den Mitgliedsstaaten rückversichern muss, dauert zwar länger, die Beschlüsse gelten dann aber für die ganze EU.

die furche: Russlands wirtschaftlichen Liberalisierungen stehen in den letzten zwei Jahren ein autoritärer Führungsstil des Kreml und Einschränkungen demokratischer Grundrechte gegenüber. Wie kommentieren Sie das?

fischler: Ich glaube, dass Putin sicher eine dominante Persönlichkeit ist und im Unterschied zu seinen Vorgängern auch wirklich zu Entscheidungen kommt. Putin hat außerdem eine enorme Unterstützung in der Bevölkerung. Die vorgebrachte Kritik kann man nicht am Präsidenten festmachen, denn problematisch ist schon auch die Arbeitsweise der Duma, die ja nicht gerade zu Entscheidungen neigt. Mir scheint gegenwärtig Stabilität im Staat das Wichtigste. Bei den nächsten Wahlen wird es um einen Wettbewerb der Ideen über die Zukunft gehen.

die furche: Verstehe ich Sie richtig? Notfalls schlucken wir momentan die Einschränkung der Grundrechte oder die Mängel im Justizsystem?

fischler: Das politische Entscheidungssystem hat ja nichts mit Mängeln im Justizsystem zu tun. Dass es Probleme bei der Einhaltung der Grundrechte gibt, stimmt und muss auch kritisiert werden. Aber man muss gleichzeitig darauf hinweisen, dass sich Putin offenbar ehrlich um die Stabilisierung des Land bemüht. Es würde uns wahrscheinlich auch nicht viel weiterbringen, wenn z. B. mehr in das Justizsystem investiert würde aber die politische Seite überhaupt nicht funktioniert und die Wirtschaft wieder zusammenbricht. Wie heißt es: erst kommt das Fressen und dann die Moral.

die furche: Sie sind Co-Präsident von "Pro Oriente", einer international anerkannten Organisation für den Dialog mit den Ostkirchen. Sind Sie nicht etwas verblüfft über die Hetze gegen die katholische Kirche in Russland?

fischler: Die Umwandlung der katholischen Apostolischen Administraturen in ständige Diözesen ist Führungskräften hier zum Teil in die falsche Kehle gekommen. Man setzt sehr auf die nationale Karte und spielt auf einmal Dinge hoch, die so nicht gedacht waren. Gegenüber dem orthodoxen Patriarchen Aleksij II. versuche ich das ernsthafte Interesse von "Pro Oriente" klar zu machen, die Rolle eines Bewahrers von Brücken zwischen Vatikan und der russisch-orthodoxen Kirche zu verstärken.

die furche: Wenn es schon breitere Brücken gab, wie war diese Entwicklung jetzt möglich?

fischler: Das Thema ist sehr komplex. Die russisch-orthodoxe Kirche war immer sehr stark national geprägt. Gleichzeitig ist sie auch eine Art Identifikationsinstitution für das Russische. Generell haben Traditionalisten in Zeiten allgemeiner Verunsicherung mehr Aufwind als in stabilen Phasen. Wenn das Multinationale zum Gefühl führt, im Zuge der Globalisierung zum Teil fremdgesteuert zu sein, entsteht die Sehnsucht nach Heimat, nach - auch geistig - überschaubaren Räumen. Auch in der EU haben wir jeden Tag mit integrationsfeindlichen Kräften zu kämpfen. Die Menschen suchen in der orthodoxen Kirche nicht nur religiösen Halt, sondern auch ihre Identität. Leider ist dies sehr leicht für Nationalismus zu missbrauchen.

die furche: Hemmt diese antiwestliche Bewegung in der Orthodoxie Russlands Westannäherung?

fischler: Bis jetzt sehe ich das nicht. In wirtschaftlichen Dingen denkt man ja sehr pragmatisch - im übrigen auch die russische Kirche selber.

Das Gespräch führte Eduard Steiner.

Zur Person: "Fischler bringt null"

Das Zitat stammt von FP-Klubchef Peter Westenthaler aus der Zeit der EU-Sanktionen, da jeder, der sich dem bedingungslosen Schulterschluss verweigerte, als Landesverräter galt. Nicht dass Fischler Kritik an der Reaktion der Vierzehn vermieden hätte, aber er hielt eben auch nie mit seiner Meinung über die FPÖ hinterm Berg. Gemeinsam mit Erhard Busek ist er so über die Jahre zu einer Art Lieblingsfeindbild der FP geworden. Das Muster war stets dasselbe: "Fischler kritisiert...", "FP-Politiker X wirft Fischler ... vor", "VP-Politiker Y weist Kritik an Fischler zurück". Auch das kommt einem von Busek bekannt vor. Der hat Fischler übrigens auch "erfunden" - als "unseren Mann in Brüssel", der er als EU-Kommissar natürlich nicht ist und nicht sein soll, was wiederum die FP bis heute nicht verstanden zu haben scheint. Dafür wird Fischler regelmäßig von internationalen Blättern und Institutionen bescheinigt, einer der am besten profilierten Kommissare im Team von Romano Prodi zu sein - weit über seinen angestammten Bereich, das Mammutressort "Agrarpolitik" hinaus. Dementsprechend gering sind einstweilen Fischlers Ambitionen, in die innenpolitische Arena zurückzukehren. red

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