"Die EU ist kein großes Lagerhaus"

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Die Agrarpolitik der Union steht als Anachronismus im Kreuzfeuer der Kritik. Zurecht? Darüber streiten Bauernvertreter Rudolf Schwarzböck und "Presse"-Wirtschaftschef Franz Schellhorn.

Die Furche: Im Streit um die eu-Agrarpolitik sind raue Töne angeschlagen worden: vp-Bauernbundpräsident Fritz Grillitsch hat Alfred Gusenbauer als "Stiefelknecht Tony Blairs" bezeichnet, weil er eine Reduktion der Agrar-Ausgaben von derzeit 40 Prozent auf 20 Prozent des eu-Budgets bis 2020 fordert. Würden Sie sich dieser Diktion anschließen?

Rudolf Schwarzböck: Inhaltlich auf jeden Fall. Es ist mehr als verwunderlich, dass die Sozialdemokraten das so genannte britische Modell der Wirtschaftspolitik mit anglo-amerikanischen Grundlinien in allen ihren Interessenbereichen ablehnen, es aber bei den Bauern, wo sie keine Hoffnungen auf Wählerstimmen haben, umsetzen wollen. Großbritannien ist das Land mit dem größten Fiasko in der Agrarpolitik in Europa. Da wird Gusenbauer erklären müssen, was ihm daran gefällt.

Franz Schellhorn: Blair spricht die richtigen Dinge an - wobei man fairerweise sagen muss, dass 40 Prozent des eu-Budgets zwar nach viel klingt, aber das Agrarbudget eben das einzige ist, das in der eu vergemeinschaftet ist. Wenn wir die Förderungen gemessen am Bruttoinlandsprodukt betrachten, dann sind die seit den achtziger Jahren deutlich gesunken - auf heute 1,2 Prozent in der eu. Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Dem steht aber eine Wirtschaftsleistung von nur 1,6 Prozent gegenüber, und das ist unbefriedigend. Bezüglich Gusenbauer ist es sicher keine glaubwürdige Politik, wenn Großbritannien plötzlich als Vorbild dient.

Schwarzböck: Ich traue Blair in seiner Strategie nicht, denn es ist durchgängig spürbar, dass es bei der Agrarfrage nur um ein Feigenblattargument geht, und dass die Briten ein Europa ohne weitere Vertiefung möchten. Und zu den 1,2 Prozent des bip und der daraus resultierenden Leistung: Unsere Preise wurden innerhalb von zehn Jahren halbiert. Trotzdem haben wir heute weniger Budget für die Bauern als noch in den ersten drei Jahren der österreichischen Mitgliedschaft. Zugleich ist noch eine Erweiterung um zehn Länder passiert. Und in den nächsten Jahren sollen noch drei agrarisch orientierte Länder wie Rumänien, Bulgarien und Kroatien kommen. Wenn man heute das europäische Bahndefizit vergemeinschaften würde wie die Agrarpolitik, könnte man in Brüssel keinen einzigen Beamten mehr zahlen.

Schellhorn: Punkto Erweiterung fragt man sich in Brüssel schon immer: Können wir uns die Landwirtschaftsförderungen leisten? Das ist das Hauptkriterium - nicht, ob das Land so weit ist oder zu Europa passt. Das ist ziemlich pervers - es sei denn, man hält die Europäische Union für ein großes Lagerhaus, aber das wird keiner annehmen. Wir brauchen starke Bauern, aber keine postkommunistischen Strukturen, die die Bauern zu Almosenempfängern machen. Doch das sind sie heute: 50 Prozent der Einkommen machen Subventionen aus.

Schwarzböck: Dazu muss man das Anforderungsprofil prüfen. Europa muss zum Weltmarktpreisniveau Standards in der Agrarproduktion liefern, die man anderen nicht einmal mehr vermitteln kann. Die Mexikaner sagen: Ihr liefert uns Hühnerkäfige für die Eiproduktion und verbietet selber die Käfighaltung? Ihr seid nicht normal! Wir gelten den Bauern die strengsten Richtlinien in der Düngung, im Tier- und Pflanzenschutz ab. Doch gleichzeitig darf ich als Bauer nicht einmal aus Deutschland einen gebrauchten Mähdrescher importieren, weil er nach den österreichischen Bestimmungen zu laut ist.

Schellhorn: Sie haben völlig Recht, dass die Vorteile einer Freihandelszone für alle gelten müssen. Was aber auch für alle gelten muss, sind die prinzipiellen Merkmale eines Wettbewerbs. Und hier ist die Landwirtschaft ziemlich stark ausgenommen. Zentrale Elemente wie die Preisbindung sind gestört durch protektionistische Maßnahmen. Das System soll fair sein - nicht nur gegenüber denen, die die Subventionen empfangen, sondern auch gegenüber denen, die sie zahlen. Doch derzeit ist es alles andere als fair: Frankreich bekommt 22 Prozent der gesamten Förderungen, und das Institut für Internationale Studien in Genf hat festgestellt, dass ein Viertel dieser Förderungen allein die obersten fünf Prozent der Landwirte bekommen.

Die Furche: Genau das kritisiert Alfred Gusenbauer, wenn er davon spricht, dass "die Agrarindustrie" am meisten von den Förderungen profitieren würde ...

Schwarzböck: Die so genannte Agrarindustrie mit Tausenden Hektar und Zehntausenden Stück Vieh hat prozentuell in Europa einen verschwindenden Anteil. Sie ist durch die Wiedervereinigung Deutschlands intensiv thematisiert worden, und jetzt mit der Erweiterung, weil in der postkommunistischen Landwirtschaft überdimensionierte Einheiten existieren. Aber Blair und Schröder selbst haben den Plan der Fischler-Reform, eine Obergrenze der Förderungen einzuführen, abgelehnt: Blair im Hinblick auf die Stellung der Königin und des Adels und Schröder, weil Landarbeiter in den neuen Bundesländern betroffen wären. Ich bin kein Anhänger der Förderung großer Strukturen: Aber was tun Sie in Brandenburg, Polen, Tschechien oder Ungarn mit den Landarbeitern, die noch in solchen Betrieben arbeiten? Das ist im Grunde verstecktes Sozialtransferkapital.

Schellhorn: Noch einmal: Ich finde den britischen Vorschlag richtig. Das britische Modell ist sicher nicht in allen Belangen das richtige, aber nicht nur in Großbritannien gibt es bse, sondern auch bei unseren Bergbauern. Wir brauchen einen Übergangsrahmen von zehn, 15 Jahren, dann müssen Förderungen zurückgefahren werden, und dann schauen wir, welche Gebiete in Österreich benachteiligt sind. Und da fallen mir natürlich die Bergbauern ein.

Die Furche: Wobei die Bergbauern laut der jüngsten Agrarstrukturerhebung eher gut aussteigen: Während im Burgenland 26,9 Prozent der Bauern zwischen 1999 und 2003 ihren Hof aufgegeben haben, waren es etwa in Tirol nur sechs Prozent ...

Schwarzböck: Wir haben im Weinviertel eine doppelt so hohe Abwanderung wie im westlichen Bundesgebiet. Im Weinviertel sind aber auch jene Ackerbaugebiete angesiedelt, die man jetzt zur Kasse bitten möchte. Bisher war Europa der einzige Kontinent, wo es einigermaßen gelungen ist, ein Gleichgewicht zwischen Stadt und Land zu halten und den ländlichen Raum nicht zu leeren. Gehen Sie in den Mittelwesten von Amerika: Kein Mensch will bei uns solche devastierten Dörfer. Auch in England verfallen Bauernhäuser.

Schellhorn: Das ist einer meiner großen Kritikpunkte an der Landwirtschaftssubventionierung: Das Bauernsterben wurde eben nicht gestoppt - trotz massiver Gelder. In Frankreich ist in den letzten 20 Jahren die Hälfte der Bauern verschwunden. In Österreich waren es 4300 Höfe zwischen 1997 und 2003. Das System ist also weder dafür tauglich, dass man die Bauern am Leben erhält, noch dafür, einen fairen und sauberen Markt herbeizuführen.

Schwarzböck: Aber es gibt weltweit kein Modell, wo man bessere Resultate hat.

Schellhorn: Ich bin ein großer Anhänger des neuseeländischen Modells ...

Schwarzböck: Aber dann müssen Sie Österreichs Bauern auf zehn Prozent der jetzigen Zahl zurückschrumpfen. Außerdem gibt es dort keine dörfliche Struktur, die über Jahrhunderte gewachsen ist, sondern einen neubesiedelten Kontinent, wo es niemanden interessiert, wenn 200 oder 300 Kilometer nicht besiedelt sind. Da sind Sie bei uns außerhalb des Landes! Das kann es für Europa nicht sein!

Die Furche: Zurück zur eu-Politik: Ab 1. Juli ist Blair eu-Ratsvorsitzender. Teilen Sie die Meinung Franz Fischlers, dass Blair sich mit seinen Vetos "ins Knie geschossen" hat und die Europäer ihn boykottieren werden?

Schellhorn: Ich hoffe, dass es nicht so ist. Man kann den Briten schon vorwerfen, in der Landwirtschaftsproblematik mit gespaltener Zunge zu reden, sie waren ja dabei, als man die Subventionen bis 2013 eingefroren hat. Trotzdem erwarte ich mir sehr viel von der britischen Präsidentschaft.

Schwarzböck: Ich befürchte, dass in der britischen Präsidentschaft nichts weitergehen wird und dass viel auf Österreich zukommt. Außerdem verteidigt Blair ja den Britenrabatt und war zudem weniger kompromissbereit als die Franzosen.

Schellhorn: Die Briten zahlen 69 Euro je Einwohner an die eu, die Franzosen 32 Euro. Da würde ich als Engländer das gleiche sagen wie einst Margaret Thatcher: "I want my money back!"

Das Gespräch moderierte Doris Helmberger.

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