Brüssel ist für viele nicht attraktiv

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Zuwenig Mobilität und das hohe österreichische Gehaltsniveau sind für Franz Fischler daran schuld, daß EU-Posten hierzulande nicht sehr begehrt sind.

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Zuwenig Mobilität und das hohe österreichische Gehaltsniveau sind für Franz Fischler daran schuld, daß EU-Posten hierzulande nicht sehr begehrt sind.

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Die Furche: Herr Kommissar, befürchten Sie eine zunehmende EU-Skepsis in Österreich durch die Ereignisse rund um die Regierungsbildung?

Franz Fischler: Ich bin mir nicht sicher, daß das so ist. Gerade in der letzten Zeit wurden mehrere Meinungsbefragungen publiziert, aus denen klar hervorgeht, daß eine große Mehrheit der Österreicher weiterhin für die Europäische Union eingestellt ist. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, daß möglicherweise die Bevölkerung besser als manche Medien unterscheidet, zwischen dem was EU ist, und dem was sich bei den bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Staaten wie Belgien Frankreich entwickelt hat.

Die Furche: Vereinzelt sind auch Stimmen laut geworden, die mit einem Austritt aus der EU spekulierten.

Fischler: Eine solche Meinung ist der blanke Unsinn. Man muß sich darüber im klaren sein, was das für Konsequenzen haben könnte. Das würde Österreich aus allen Wachstumsmärkten in Europa hinauskatapultieren, zigtausende Arbeitsplätze kosten, und gleichbedeutend mit einem massiven Wohlstandsverlust sein. Da ist die Bevölkerung klug genug und fällt nicht auf so etwas herein.

Die Furche: Was soll jetzt unternommen werden, um die bilateralen Beziehungen wieder zu normalisieren?

Fischler: Entscheidend ist jetzt vor allem, eine gute, umfassende und qualitativ hochwertige Information zu bieten. Wichtig ist, daß die Leute sehen, wo sind die Probleme, warum gibt es diese Probleme. Das gegenseitige Verständnis muß gefördert werden, das ist der Beginn dafür, daß man dann weitere Schritte setzen kann, um aus dieser sehr unbefriedigenden Situation wieder herauszufinden.

Die Furche: Heißt das, es soll wie vor dem EU-Beitritt die Werbetrommel für die Union gerührt werden?

Fischler: Nein, Werbung bringt da gar nichts. Wenn, dann müssen wir jetzt Informationsarbeit außerhalb Österreichs betreiben. Wir müssen verständlich machen, gerade in Belgien, gerade in Frankreich, wie es zu dieser Regierung gekommen ist. Was will diese Regierung, und wer sind nach wie vor die tragenden gesellschaftlichen Kräfte in Österreich? Diese Fragen müssen wir in unseren Partnerländern beantworten.

Die Furche: Ende letzten Jahres hat die Ablehnung österreichischer Kandidaten als leitende Angestellte in der EU-Kommission eine Debatte darüber ausgelöst, ob Österreicher bei EU-Bewerbungen benachteiligt werden, oder einfach zuwenig qualifiziert sind. Welche der beiden Sichtweisen trifft Ihrer Meinung nach zu?

Fischler: Weder noch. Während der ersten fünf Jahre der EU-Mitgliedschaft wurden die Österreicher, genauso wie die anderen beiden neuen Mitgliedsländer, privilegiert behandelt, indem sie sich nicht dem allgemeinen Rekrutierungswettbewerb der Kommission haben stellen müssen. Nur ist es so, daß offensichtlich die Bedingungen, die Brüssel bietet, zuwenig attraktiv sind, um eine sehr große Anzahl von Österreichern dafür zu interessieren.

Bei den jungen Akademikern hat Österreich sein "Kontingent" - diese Richtgröße, die es da gibt - in vollem Umfang ausgeschöpft. Wir haben aber Schwächen bei Maturanten, bei B- und C-Posten, bei Sekretären und Sekretärinnen zum Beispiel. Da ist das Interesse von österreichischer Seite relativ gering gewesen. Und wir haben gewisse Schwächen, nicht im Top-Management und im unteren Management, sondern im gehobenen mittleren Bereich. Bei den Direktoren und Abteilungsleitern haben wir deutlich weniger besetzt, als die anderen neuen Mitglieder.

Die Furche: Woran liegt das teilweise fehlende Interesse an einem Job in der EU?

Fischler: Ein Problem der Österreicher ist, daß es in Brüssel zwölf Monatsgehälter gibt und nicht vierzehn oder mehr. Man darf nicht vergessen, daß viele - wegen einem Eigenheim oder ihrer Familie - nicht mobil sind. Dazu kommt, daß der Gehaltssprung für einen Finnen etwa, der nach Brüssel zieht, um vieles größer ist, als für einen Österreicher. Oft wollen beide Partner ihrem Beruf nachgehen. Wenn jetzt einer der beiden in der EU arbeitet, ist damit nicht garantiert, daß der andere dort einen Job findet.

Und in der belgischen Wirtschaft einen Arbeitsplatz zu finden, ist schwierig, weil man flämisch können muß. Es gibt also eine Vielzahl ganz praktischer Probleme, warum ein Arbeitsplatz in EU-Organisationen für unsere Leute nicht reizvoll ist.

Die Furche: Wie bringen Sie persönlich diese Schwierigkeiten aufgrund der Entfernung unter einen Hut?

Fischler: Ganz einfach! Von Sonntagabend bis Freitagabend arbeite ich in Brüssel, und den Rest der Woche verbringe ich in Tirol. In der Regel.

Die Furche: Wie beurteilen Sie das Lobbying von österreichischen Firmen und Interessenverbänden in Brüssel?

Fischler: In der Zwischenzeit funktioniert das gut. Österreichische Firmen treten in der Regel genauso professionell auf, wie andere. Jeder Wirtschaftssektor oder Industriebereich hat ja einen europäischen Verband. Da gibt es den europäischen Verband der Zuckerindustrie, den Verband der Papierindustrie, hunderte derartige Verbände. Und im Kontakt zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten agieren in erster Linie diese Verbände. Das heißt, der Lobbyist aus Österreich betreibt Lobbying primär bei seinem europäischen Verband.

Wenn es um spezifisch österreichische Projekte geht, gibt es dann auch das direkte Lobbying bei der Kommission. Große österreichische Rechtsanwaltskanzleien haben ihre Niederlassungen in Brüssel, und die tun nichts anderes, als Lobbying zu betreiben. Und die großen Einrichtungen der Sozialpartner, die Länder, die Gemeinden haben ja auch alle ihre Vertreter vor Ort. An Lobbyisten mangelt es uns sicher nicht.

Die Furche: Wie gestaltet sich der Kontakt von Österreichern in Brüssel?

Fischler: Natürlich gibt es Österreichertreffs. Und untereinander treffen sich die Österreicher relativ häufig, denn die Länderbüros oder Interessenverbände organisieren viele kulturelle Veranstaltungen. Da gibt es Ausstellungen, Buchpräsentationen, Literaturlesungen ... Also, Österreichisches ist einiges los in Brüssel.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich

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