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Reagiert auf den Zeitgeist!

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Dem Schock nach dem Nein der Dänen zu den Maastricht-Verträgen, die eine Vertiefung der EG in Richtung Währungs- und Polit-Union vorsehen, folgte in manchen EG-Ländern der Ruf nach Erweiterung als Antwort. Besteht für Österreich Anlaß zur Euphorie?

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Dem Schock nach dem Nein der Dänen zu den Maastricht-Verträgen, die eine Vertiefung der EG in Richtung Währungs- und Polit-Union vorsehen, folgte in manchen EG-Ländern der Ruf nach Erweiterung als Antwort. Besteht für Österreich Anlaß zur Euphorie?

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Wie eng Euphorie und Depression in der EG-Politik beisammen liegen, zeigten die Reaktionen nach Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums in Dänemark über die Maastricht-Verträge. Momentan schössen sich die Kommentatoren auf den „Euro-Frust" ein, Meinungsumfragen im Gefolge des Dänen-Nein zeigten sogar in Deutschland deutliche Skepsis gegenüber der vertieften, als zu zentralistisch empfundenen EG.

Österreichs EG-Experte im Außenministerium, Botschafter Manfred Scheich, sieht in diesem Zusammenhang zwar eine Stimmungsbeeinträchtigung in Österreich, Dänemark stellt für ihn einen „Unfall in der Entwicklung" dar, trotzdem relativiert er gegenüber der FURCHE die Dimension: „Die Geschichte der Gemeinschaft ist eine Geschichte ihrer Krisen." Für Scheich ist das Boot etwas ins Trudeln gekommen, verständlich, wenn man den „ungemein umfassenden Prozeß" im Auge hat, den die EG-Vertiefung bedeutet.

Für Österreich, ist Scheich überzeugt, ändert „dieser dänische Umfaller nichts, wir sind entschlossen, den Weg weiterzugehen, wir haben uns auch zur Maastricht bekannt, zu einer starken, effizienten und dynamischen Gemeinschaft. Und der wollen wir beitreten, das bleibt aufrecht."

Es müsse nicht sein, daß das Dänen-Nein einen Rückschlag für die EG-Entwicklung im gesamten bedeute. Scheich wörtlich: „Wir haben uns immer gegen die Meinung gewisser Leute in der EG gewandt, daß es einen Widerspruch zwischen Erweiterung und Vertiefung gebe. Wir sagen dazu, daß eine positive Wechselwirkung zwischen beiden besteht." In diesem Zusammenhang gibt der EG-Experte der Gemeinschaft den Rat, zu bedenken, „daß für den Augenblick der Konsens nach Maastricht erschöpft und überspannt ist". Gerade jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, wieder mehr die andere Seite zu beachten und nicht nur auf institutionelle Veränderungen in der EG zu setzen. „Vielleicht bringt es Erfolg und neue Dynamik für die EG, in die EFTA-Erweiterung einzugehen. Die EG sollte einmal sehen, daß diese Erweiterung sie nicht schwächt, sondern stärkt. EFT A-Länder sind j a wirtschaftlich und politisch starke Länder, die im Hinblick auf die große Herausforderung der Stabilisierung Osteuropas eine bedeutende Aufgabe haben." Sollte sich die EG in institutionelle Fragen verkrampfen, könnten sich - so Scheich - die großen innergemeinschaftlichen Spannungen verstärken und die positive Dialektik paralysieren: „Dann wird es weder eine Vertiefung noch eine Erweiterung geben."

Der Integration als „objektiv notwendigem Prozeß" bläst ein gewisser Zeitgeist ins Gesicht. Damit kennzeichnet Botschafter Scheich die Ursachen für den dänischen Umfaller: „Das Auseinanderklaffen von Politikergilde und Bürgern ist ein Phänomen in allen europäischen Staaten. Es ist außerdem ein Rückzug auf das Kleine, auf sich selbst, ein gewisser Neo-Rousseauismus zu bemerken, wie ihn Grüne, katholische, aber auch sozialdemokratische Kreise verkünden." Die komplexe Integration mit den Schlagworten big market, big business, big industries und big bu-reaucracy stehe dem Subsidiaritätsprinzip, das in Maastricht aus Reaktion auf gesellschaftliche Grundströmungen von dem aus der christlichen Soziallehre kommenden Kommissionspräsidenten Jacques Delors eingeführt wurde, und regionalistischen Bestrebungen gegenüber.

Deswegen spricht Botschafter Scheich von einem Umdenkprozeß von Gesellschaften und Regierungen. Es gelte, die Integration in neuen Kontexten zu sehen, Umwelt und Subsidiarität seien beispielsweise zu Frontthemen geworden. „Die Integration steht vor einer neuen Dynamik, nämlich vor der Herausforderung und Neuorientierung auch am Zeitgeist und dem Willen der Menschen."

Ein bißchen ratlos reagierte die neue Staatssekretärin für Integrationsfragen, Brigitte Ederer, auf Fragen der FURCHE, ob Dänemarks Maastricht-Entscheid Verzögerungen im weiteren Integrationsprozeß nach sich ziehen könnte. „Mit Sicherheit", glaubt Ederer, „wird die EG ihren Vertiefungsprozeß fortsetzen und möglicherweise auch Erweiterungen rascher vornehmen." Sie erwartet positive Signale vom EG-Gipfel in Lissabon.

Die Zeitspanne, die Österreich noch frei habe, um über die EG-Mitgliedschaft abzustimmen, gilt es nach Staatssekretärin Ederer zu nützen, „um die Bevölkerung über Pro und Kontra zu informieren. Daher sollten Minister und Parteien ans Europatelefon angeschlossen werden, um Auskunft zu geben. Anhand wichtiger Beispiele sollten die wahren Verhältnisse aufgezeigt werden."

Könnte ein solches Beispiel die Reaktion der Firma „Lego" auf das EG-Vertiefungs-Nein der Dänen sein? „Lego" habe gewisse Investitionen in Dänemark zurückgenommen und wolle Geldmittel in andere Länder fließen lassen. Für Ederer stellt sich die Frage, ob „Lego" ein Beispiel sein wird, an dem die Leute feststellen, daß ein Nein zur EG negative Auswirkungen hat.

Als unmöglich stellt die Statssekre-tärin die Erfüllung der Forderung nach klaren Aussagen dar, welche Gruppen nun tatsächlich zahlenmäßig welche Vor- und Nachteile nach einem EG-Beitritt haben werden. Da könnten nur Trends angegeben werden, alles andere sei Spekulation.

Zu der von der spanischen Zeitung „El Pais" und danach auch von der „Frankfurter Allgemeinen" verbreiteten Meldung von einem angeblichen „Geheimpapier" in Brüssel, das vor einer Erweiterung der EG um Österreich und andere beitrittswillige Länder wegen möglichen Einfließens neuer zentrifugaler Kräfte warnt, stellt Ederer fest, daß es ein solches nicht gegeben habe. Wohl gebe es aber diesbezügliche Vorstellungen von einzelnen Kommissaren; eine dürfte den Medien zugespielt worden sein. Eine Endredaktion einzelner EG-Vorschläge zur Erweiterung stehe allerdings noch aus.

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