7079232-1993_29_11.jpg
Digital In Arbeit

Die EG: Gut vor allem für die Großkonzerne

19451960198020002020

„Haben Sie eine Meinung?”, werden die Österreicher von blauen Plakaten gefragt. Zu welchem Problem? Dem EG-Beitritt. Wer keine Meinung hat, möge sich informieren - so das Plakat. Dieser Aufgabe widmet sich auch ein „EG-Lesebuch”:

19451960198020002020

„Haben Sie eine Meinung?”, werden die Österreicher von blauen Plakaten gefragt. Zu welchem Problem? Dem EG-Beitritt. Wer keine Meinung hat, möge sich informieren - so das Plakat. Dieser Aufgabe widmet sich auch ein „EG-Lesebuch”:

Werbung
Werbung
Werbung

„Verraten und verkauft” - der Titel kennzeichnet die Stoßrichtung dieser Sammlung von Aufsätzen: EG-Kritik ist angesagt. Ihre Autoren: viele bekannte Namen, nicht nur aus der Grün-Szene: Leopold Kohr, Peter Weish, Roland Rainer, Günther Nenning, Freda Meissner-Blau... Im Stil sind die Beiträge unterschiedlich, viele um Sachlichkeit bemüht, manche polemisch, alle jedoch gut lesbar.

EG - ja oder nein? Nur danach zu fragen, sei zu kurz gegriffen, betont Peter Weish. Diese Entscheidung werfe nämlich die grundsätzliche Frage auf: Wohin soll Fortschritt zielen? So wie bei der Abstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf gehe es auch hier um unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft überhaupt.

Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist die nach der Umwelterhaltung. Da müsse man die EG als das sehen, was sie der Intention ihrer Gründer und Baumeisternach ist: „Die EG ist ein Wachstumsprojekt”, faßt Emst Dorfner zusammen. Damit stehe sie keineswegs allein da, denn weltweit werde Wirtschaften so verstanden, daß - nach einem Wort des Schweizer Nationalökonomen Hans Binswanger - „Natur in Geld verwandelt” wird.

In der EG sei diese Ausrichtung aber der Grund für ihr Bestehen. Ihre Prioritäten waren und sind wirtschaftlich. Umwelt spiele nur eine untergeordnete Rolle. Erst durch die „Einheitliche Europäischen Akte” von 1986/87 findet der Begriff Eingang in das EG-Primärrecht.

Wer seither die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs verfolgt, erkenne aber, daß der Freiheit des Handels Vorrang eingeräumt werde. Die Gemeinschaft selbst schreibe kaum Umweltstandards vor, sondern überlasse das ihren Mitgliedern. Es sei also eine Illusion, zu meinen, Österreich werde als EG-Mitglied die Gemeinschaft in Umweltfragen auf Vordermann bringen.

Vielmehr sei zu erwarten, daß wir gezwungen werden könnten, unsere Umweltschutzlatte tiefer zu legen. Denn Umweltauflagen erhöhen die Kosten und bringen Konkurrenznachteile gegenüber Ländern, die es nicht so genau nehmen.

Enorme Verkehrssteigerung

Außerdem werde die Einführung des Binnenmarktes den Straßengüterverkehr enorm ansteigen lassen. Das bedeutet steigende Umweltbelastung, vor allem für ein Transitland wie Österreich. Auch ein Anwachsen des Mülltourismus zeichne sich ab. Günter Gorbach warnt auch vor radioaktivem Müll, der über unsere Grenzen kommen könnte. Wir müßten ja auch dem Euratom-Vertrag beitreten. Da könnte es sein, daß „nach einem EG-Beitritt... das Atommüllimportverbot fallen (könnte).”

Müllvermeidung werde in der EG klein geschrieben. Sie müßte ja am Produkt ansetzen. Diesbezügliche Verbote seien aber „höchstens aus gesundheitlichen, nicht jedoch aus umweltrelevanten Gründen möglich.”

Daß sich hier nicht nur Unterstellungen von EG-Gegnern artikulieren, zeigt der EG-Task-Force-Report „Umwelt und Binnemarkt” aus 1989. Er bezeichnet die voraussichtliche Entwicklung als „schmutziges Wachstum”. Auch 1992 war die Umweltsensibilität der EG noch unterentwik-kelt. Da beschlossen die Staats- und Regierungschefs, zur Ankurbelung der Wirtschaft 430 Milliarden in Verkehrswege, Telekommunikation und (Atom-)Energie zu investieren.

Ein so vielfältiges Gebilde wie es Europa darstellt, sei zentral nicht zu steuern. Auf längere Sicht drohe daher bei der derzeitigen EG-Konstruktion eine Destabilisierung.

Weniger Zentralismus in der EG, fordert Socher, und ein Austrittsrecht sei von Anfang an zu vereinbaren. Jagschitz mahnt mehr demokratische Spielregeln ein. Denn heute sei die EG nach einem Wort von E. Crespo, dem Vizepräsidenten des Europa-Parlaments „eine Anhäufung von Macht, die demokratisch nicht legitimiert ist, mit Geheimniskrämerei und dem oli-garchischen Charakter der frühen Republik Venedig.”

Eldorado für Lobbyisten

Die Großkonzerne seien ähnlich konzipiert wie die EG und daher auch ihre größten Nutznießer und Befürworter, hält Hanswerner Mackwitz fest. Ihr staatenübergreifendes Agieren entspreche dem der EG-Kommission. Die Interessen der Großen würden heute von etwa 5.000 Lobbyisten in Brüssel vertreten. Die mangelhafte Öffentlichkeit der EG-Entscheidungs-prozesse sei für sie ein ideales Betätigungsfeld. So bestehe die Gefahr, daß die EG zu einem „Europa der Großkonzerne” werde.

Heißt die Antwort der Autoren somit nein zu Europa? Keineswegs. Bei den Überlegungen geht es ihnen gerade auch um Europa. Aber um eines, das ein anderes Gesicht trägt als das der EG. Heute wird aber vielfach der Eindruck erweckt, das einzige Konzept für ein zukunftsträchtiges Europa habe die EG parat.

An einer Alternative sollten wir heute schon in Österreich bauen: „Je früher die Österreicher der Wachstumsreligion abschwören, desto besser, desto geringer die .Fallhöhe' unserer Wirtschaft und Gesellschaft, wenn die EG an die Mauer der Wachstumsgrenzen stößt...”

VERRATEN UND VERKAUFT. Von Günther Witzany (Hrsg).Unipress Verlag, Salzburg 1993, 220 Seiten, öS 248.-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung