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Digital In Arbeit

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

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Die hohe Arbeitslosigkeit ist peinlich für die EU, die ihr Binnenmarktprojekt immer mit noch mehr Wohlergehen für ihre Bürger verknüpft hat. Am 10. und 11. Dezember wird sich ein Sondergipfel damit beschäftigen.

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Die hohe Arbeitslosigkeit ist peinlich für die EU, die ihr Binnenmarktprojekt immer mit noch mehr Wohlergehen für ihre Bürger verknüpft hat. Am 10. und 11. Dezember wird sich ein Sondergipfel damit beschäftigen.

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Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, daß die politischen und sozialen Entwicklungen für den Rest des Jahrtausends vom Problem der Arbeitslosigkeit, seiner Bewältigung oder Nichtbewältigung, bestimmt sein werden.

Der schwache Aufschwung des Jahres 1994 wird zur Milderung nichts beitragen können (siehe Dossier). Im Gegenteil: vor allem in der EG wird die Arbeitslosenquote weiter ansteigen und auch nach mittelfristigen Prognosen (zum Beispiel des LINK-Projekts, in dessen Rahmen Vorschauen auf die weltwirtschaftlichen Entwicklungen über das Jahr 2000 hinaus entworfen werden) nur unwesentlich unter die derzeitigen hohen Werte gesenkt werden können.

Klar ist inzwischen jedenfalls geworden, daß die alten Rezepte, nämlich auf Wachstum zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu setzen, nur noch bedingt Wert haben. Für Deutschland etwa wurde errechnet, daß selbst bei einem dreiprozentigen Wachstum kein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen würde; ein Wachstum dieser Größenordnung könne ohne weiteres aus Produktivitätsreserven, Aufhebung von Kurzarbeitszeiten und so weiter gedeckt werden.

Insbesondere für die EG, die ihr Binnenmarktprojekt immer mit dem Versprechen eines erhöhten Wohlergehens für alle Bürger verknüpft hatte, stellen die Daten über die Arbeitslosigkeit auf ihrem Gebiet eine Peinlichkeit dar. Die Fixierung auf die sogenannten Konvergenz-Kriterien, in deren Rahmen Arbeitslosigkeit keinen Stellenwert hat, hat gerade diese völlig aus dem Ruder laufen lassen.

Selbst wenn man an der Erfassungsmethode in Japan Zweifel hat und ferner weiß, daß die günstige Entwicklung in den USA großteils durch die Schaffung nicht gerade hochqualifizierter Arbeitsplätze getragen wird, so bleibt doch die EG trauriger Spitzenreiter im Versagen der Beschäftigungspolitik.

Um etwas Glaubwürdigkeit in diesem Bereich zurückzugewinnen, hat die EG - seit dem Inkrafttreten des Maastricht-Vertrags Anfang November eigentlich EU (Europäische Union) - für die ersten Dezembertage einen Sondergipfel einberufen, der sich mit dem Problem beschäftigen soll. Die EG-Kommission hat dafür ein Konzept vorgelegt, in dem empfohlen wird, die EU möge sich die Schaffung von nicht weniger als 15 Millionen Arbeitsplätzen zum Ziel setzen und so die Arbeitslosen-quote bis zum Jahr 2000 halbieren.

Das ist wunderbar und ambitio-niert, doch wie kann es erreicht werden? Die Kommission hat vier Vorschläge parat:

■ Das Lohnsystem soll -vor allem nach unten -flexibler gestaltet werden. Auch bisher bestehende Mindestlohnver-einbarungen sollen angetastet werden können.

■ Die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit sollen forciert werden, um die vorhandene Arbeit auf mehr Personen verteilen zu können. In dieses Konzept passen auch die derzeit in einigen EG-Ländern (Deutschland,

Frankreich, Spanien) heftig diskutierten Möglichkeiten zur Einführung der Vier-Tage-Woche.

■ Die Lohnkosten für die Unternehmen insgesamt sollen durch Steuersenkungen vermindert werden. Der

Einsatz von Arbeit soll nicht länger höher besteuert werden als der Einsatz von Kapital.

Die dadurch entstehenden Mindereinnahmen des Fiskus sollen durch höhere Umwelt- und Energiesteuern, für die sich Kommissionspräsident Delors selbst zuletzt stark gemacht hat, ausgeglichen werden.

All das könnten günstige Rahmenbedingungen sein - die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen selbst wird dadurch nur in geringem und jedenfalls unzureichendem Ausmaß gelingen. Daher wird Delors auf dem Sondergipfel ein gigantisches Investitionsprogramm der EU im Ausmaß eines zweistelligen ECU-Milliarden-Betrages vorschlagen, von dessen Inhalt bisher nur bekannt ist, daß es einen umfassenden Schub zur Verbesserung der Infrastruktur der EG bringen soll. Darin sind unter anderem Investitionen in Hochgeschwindigkeitsstrecken, Telekommunikation und Umweltprojekte enthalten.

Es wird interessant werden, wie die einzelnen Mitglieder auf diese Vorschläge reagieren.

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