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Ein tragfahiges Konzept gegen Europas Krise

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„Quelle der Inspiration” soll das neue „Weißbuch” der Europäischen Union sein. „Wege ins 21. Jahrhundert” soll es weisen. Das ist angesichts von 16 Millionen Arbeitslosen auch dringend vonnöten.

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„Quelle der Inspiration” soll das neue „Weißbuch” der Europäischen Union sein. „Wege ins 21. Jahrhundert” soll es weisen. Das ist angesichts von 16 Millionen Arbeitslosen auch dringend vonnöten.

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Mit 16 Millionen Arbeitslosen, das sind 10,7 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, hat der Arbeitsplatzmangel in Europa ein Ausmaß angenommen, das selbst die auf ihre Konvergenzkriterien fixierten Politiker nicht länger ignorieren konnten.

”Diese Kriterien, wie sie im Vertrag von Maastricht festgelegt sind, beziehen sich ausschließlich auf finanzielle und monetäre Größen wie Inflation, Zinssätze und Staatsverschuldung; Arbeitslosigkeit hat dabei keinen Stellenwert. Viele meinen ja, daß die Sinnhaftigkeit dieser Kriterien zwar nicht generell zu bezweifeln sei, daß aber der krampfhafte Versuch, sie zu erfüllen, Rezession und Arbeitslosigkeit wenn nicht direkt verursacht, so doch gefördert hat.

Eine solche Entwicklung konnte jedenfalls nicht länger hingenommen werden - ein Jahr nach Inkrafttreten des Binnenmarktprogramms, das Wohlstand für alle versprochen hatte. Um noch einen Rest von Vertrauen der Bevölkerung in die EU zu erhalten, mußten Aktionen gesetzt werden. Denn wenn über irgendetwas im Lauf der bisherigen Diskussion Einigkeit erzielt werden konnte, dann darüber, daß das Wachstum im nächsten Aufschwung die Arbeitslosigkeit nicht merkbar werde senken können.

Das kürzlich den Staats- und Regierungschefs vorgelegte Weißbuch geht daher davon aus, daß bis zum Jahr 2000 nicht weniger als 15 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen, um die derzeit beobachtete Arbeitslosenquote wenigstens zu halbieren. Diese Aufgabe ist enorm, bedeutet sie schließlich ja nichts anderes als die Bereitstellung von zwei Millionen Arbeitsplätzen pro Jahr.

Unabhängig davon, ob dieses Ziel erreicht werden kann oder nicht, zeigen die Ideen und Konzepte, die die EU-Ökonomen haben einfließen lassen, aber ein erfreulieh hohes Maß an Bemühung um Innovation und Zukunftsorientiertheit.

■ Um diesbezügliche Bedenken von vornherein zu zerstreuen, wird betont, daß sich das Programm im Rahmen ;der bestehenden stabilitätsorientierten Haushalts- und Währungspolitik zu vollziehen habe. Nur dann seien die Voraussetzungen für mehr Investitionen und ein beschäftigungsintensives Wachstum gegeben. Maßvolle Lohnabschlüsse sollen unterstützend wirken.

■ Mit Hilfe eines Investitionsprogramms im Ausmaß von 100 Milliarden ECU (rund 1.400 Milliarden Schilling) sollen Infrastruktur, insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologie, intensiv ausgebaut, Forschungs- und Entwicklungsausgaben erhöht werden.

■ Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik stehen Forderungen nach mehr

Flexibilität - sowohl was die Lohnhöhe als auch die Arbeitszeit betrifft - sowie nach mehr Solidarität mit den Beschäftigungslosen im Mittelpunkt. Hier seien die Mitgliedsstaaten gefordert, Modelle zur flexiblen Gestaltung von Arbeitszeiten zu entwickeln.

■ Aufgegriffen werden auch alte Vorschläge zur Ausgestaltung eines wenigstens ansatzweise ökologisch orientierten Steuersystems: Der Einsatz von Arbeitskraft soll von Nebenkosten und steuerlichen Belastungen zumindest zu einem kleineren Teil befreit und -um den Staatshaushalten einen Ausgleich zu gewähren - durch Abgaben auf Energieeinsatz, Koh-lendioxydemissionen und Kapitalerträge ersetzt werden. Das Weißbuch nennt diesen Ansatz ein „neues Entwick-lungsmodell”. Mit diesem Programm soll die europäische Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zu Japan und den USA gestärkt und gleichzeitig das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst werden.

Das Weißbuch scheint aus drei Gründen bemerkenswert:

Zunächst, weil es nicht defensiv angelegt ist, sondern aktiv den Weg zu einer veränderten sozialen Konzeption für Europa sucht. Zweitens, weil es durch Nutzung erfolgversprechender technologischer Möglichkeiten neue und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen will. Und drittens, weil es sich um ein tragfähiges gesellschaftspolitisches Modell für Europa bemüht.

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