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Die Last mit den Lastern

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„Probleme, die der Quadratur des Kreises nahekommen“, sind die ersten Worte des Kapitels Verkehr im eben fertiggewordenen „Bericht der Arbeitsgruppe für Europäische Integration an die Bundesregierung“. Lediglich knappe fünf Seiten des über 700 Seiten starken Berichtes sind dem Kapitel Verkehr gewidmet. Nicht viel, verglichen mit dem tatsächlichen Problemanfall, der im Zuge des EG-Binnenmarktes auf Österreich im Verkehrsbereich zurollt.

Drei grundlegend unterschiedliche Positionen markieren die Konfliktlinien: Die Verkehrsdrehscheiben-Funktion Österreichs, die aus unserer geografisch-geopolitischen Lage herrührt, die österreichischen ordnungspolitischen Vorstellungen, denen man guten Willen — aber nicht mehr - zubilligen muß und als dritte Position die in dieser Frage uneinigen Sozialpartner.

Die Kernfrage ist: Wie läßt sich der Gedanke eines beinharten freien Wettbewerbes, der in der EG auch für den Verkehrsbereich Gültigkeit hat, mit erforderlichen ordnungspolitischen Eingriffen verbinden, auf die Österreich pochen muß, wenn zum Beispiel eine Viertel Million Anrainer der Inntal/Brenner-Autobahn nicht ihrem Schicksal überlassen werden soll?

Erschwert wird eine Abschätzung möglicher Rückwirkungen der EG-Verkehrspolitik auf Österreich dadurch, daß im Verkehr von allen angestrebten gemeinsamen EG-Politiken die Fortschritte am spärlichsten sind: Die gemeinsame Verkehrspolitik steckt noch in den ersten Ansätzen, weil der Streit, ob mit Liberalisierung oder Harmonisierung zu beginnen ist, den Fortgang blok-kiert. Für viele EG-Bereiche liegen darüber hinaus nur Grundsätze beziehungsweise Rahmenregelungen vor, und außerdem gilt noch immer eine Fülle höchst unterschiedlicher Regelungen einzelner EG-Mitgliedstaaten.

Eines ist jedoch klar: Sowohl die Beibehaltung des Status Quo als auch jede Form einer weiteren Annäherung Österreichs an die EG wird beträchtliche Auswirkungen auf unser Verkehrssystem haben.

Fest steht, daß zum Beispiel ein holländischer Frachter ohne weiteres in Dänemark Waren aufladen kann, um sie nach Spanien zu überführen, in Portugal neue Fracht fassen und diese nach Großbritannien transportieren kann... Im Gemeinsamen Markt vom 1. Jänner 1993 wird es keine Grenzkontrollen mehr geben, und technische Hindernisse jedweder Art werden beseitigt sein; Industrienormen werden übereinstimmen und die Fiskalbelastungen vereinheitlicht sein. Jeder Bürger eines Mitgliedslandes der Gemeinschaft wird sich jederzeit und überallhin frei bewegen können. Ein EG-Paß soll ebenso wie ein europäischer Fahrausweis die große Freiheit ermöglichen. Waren können von einer Ecke zur anderen, befördert werden, ohne durch eine Grenze aufgehalten zu werden.

Und Österreich? Werden dann jedem Österreicher 42 „Europäer“ gegenüberstehen, oder werden wir uns bis dahin EG-Bürger nennen können? Was wären die wichtigsten Rückwirkungen eines österreichischen EG-Beitrittes auf unser Verkehrssystem?

PKW und Kombi würden in Österreich um ein Sechstel billiger werden (aufgrund von Rationalisierungsgewinnen in der PKW-Produktion und des Wegfalls unseres Luxusmehrwertsteuersatzes). Hingegen würde die Mineralölsteuer für verbleite Benzine um 1,14 Schilling, die für bleifreie Benzine um 1,21 Schilling angehoben werden müssen; gesenkt würde bei einem EG-Beitritt Österreichs die Mineralölsteuer auf Dieselöl von derzeit 3,03 auf 2,58 Schilling. Unter dem Strich würden dem Fiskus im Bereich der Mineralölsteuer bei Umstellung auf die EG-Steuersätze 4,6 Milliarden Schilling Mehreinnahmen bleiben. Ersatzlos gestrichen würde die vom Aufkommen her unbedeutende Erdöl-Sonderabgabe.

Gravierender sind die in dem großen Markt Europa wahrscheinlichen Änderungen bei den Mehrwertsteuersätzen: Die Luxussteuer müßte fallen, auch der 20prozentige Mehrwertsteuer-Normalsatz müßte wahrscheinlich um zwei bis drei Prozentpunkte gekürzt werden, gleiches gilt auch für den ermäßigten Steuersatz von zehn Prozent.

Österreich dürfte bei einem Beitritt mit seinen verkehrsspezifischen Umweltmaßnahmen, denen in der EG derzeit noch wesentlich geringerer Wert beigemessen wird als bei uns, Schwierigkeiten bekommen. Keine Sonderregelungen werden wir auch bezüglich der LKW-Bestimmungen erreichen: Höchstzulässiges Gewicht derzeit noch 44 Tonnen (gegenüber 38 Tonnen in Österreich), EG-Plan zur Achslastan-hebung und Erhöhung der zulässigen Fahrzeuglänge auf 15 Meter. Für Kühlfahrzeuge hat die EG kürzlich eine höchstzulässige Breite von 2,60 Meter — eine Ausweitung, die Österreich nicht mitvollzogen hat - festgelegt. In der Besteuerung des Straßenverkehrs, hier vor allem des Straßengüterverkehrs, ist eine Abkehr vom Nationalitäts- und hin zum Territorialprinzip im Gespräch:Das würde heißen, nicht jenes Land hebt die Steuern ein, in dem das Fahrzeug zugelassen ist, sondern das Land, in dem das Fahrzeug bewegt wird.

Alles in allem: Das EG-Binnenmarktkonzept wird im Verkehrsbereich zu einer geradezu hektischen Dynamik führen: Auf der Uberholspur werden aller Voraussicht nach der Straßen- und Luftverkehr bleiben. Die bereits bestehende schlechte Wettbewerbs-Ausgangsposition der ÖBB wird noch verschärft, weil die EG-Regelungen den Straßengüterverkehr begünstigen und die für 1992 geplante Eröffnung des Main-Donau-Kanals die Schiene zusätzlich unter Druck bringt.

Österreichs Verkehrsprobleme werden in oder mit dem europäischen Binnenmarkt keineswegs geringer. Es ist zu befürchten, daß „die Last mit den Lastern im Transitverkehr“ und dem Verkehr im allgemeinen nicht abnimmt. Im Gegenteil: Bezogen auf das Verkehrssystem wird es „ärger statt besser“ (Landeshauptmann Alois Parti). Wird die große Freiheit des EG-Marktes nicht das Straßengütertransitvolumen verdoppeln oder gar verdreifachen? Werden wir im motorisierten Individualverkehr statt bisher zehn Stautage künftig 40 bis 60 Stautage haben?

Verkehrsbezogen ist Österreich jedenfalls in keiner beneidenswerten Lage.

Der Autor ist volkswirtschaftlicher Referent im OAMTC.

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