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Rebell und Freund

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An dem trüben 9. Novembertag 1956 hielt Staatschef Tito seinen kritischen Nachruf auf die ungarische Oktoberrevolution, deren letzte Feuer damals noch glühten und zerstampft wurden. „Die Rede werden wir diesem .Kettenhund des Imperialismus' über seinen Tod hinaus niemals vergessen!“ äußerte damals ein hoher volksdemokratischer Funktionär, der inzwischen zu den Spitzen der KP-Internationale Moskaus zählt. Erst 1955 hatte Chruschtschow den siebenjährigen Hader zwischen dem Kreml und Belgrad durch einen Friedensbesuch und mit einigen Umarmungen zugedeckt. 1958 lockerte sich die nachoktoberliche Spannung zwischen den moskautreuen Bruderparteien und dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens neuerlich. Im Juni 1965 verübelte man im Sowjetblock Tito schließlich, daß er Aleksan-dar Rankovic „nicht bloß abgesetzt, sondern auch noch aus der Partei gefeuert“ habe. Unmittelbar nach der Invasion der CSSR wiederum betonten unterrichtete Kreise im Kreml, daß eigentlich Tito einer der „Hauptschuldigen“ an den Abirrungen Prags bis zum 21. August 1968 gewesen sei. Weshalb? Nun, Tito habe, wie schon vor 20 Jahren, den Plan einer Kleinen Entente mit Prag und Bukarest verfolgt.

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An dem trüben 9. Novembertag 1956 hielt Staatschef Tito seinen kritischen Nachruf auf die ungarische Oktoberrevolution, deren letzte Feuer damals noch glühten und zerstampft wurden. „Die Rede werden wir diesem .Kettenhund des Imperialismus' über seinen Tod hinaus niemals vergessen!“ äußerte damals ein hoher volksdemokratischer Funktionär, der inzwischen zu den Spitzen der KP-Internationale Moskaus zählt. Erst 1955 hatte Chruschtschow den siebenjährigen Hader zwischen dem Kreml und Belgrad durch einen Friedensbesuch und mit einigen Umarmungen zugedeckt. 1958 lockerte sich die nachoktoberliche Spannung zwischen den moskautreuen Bruderparteien und dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens neuerlich. Im Juni 1965 verübelte man im Sowjetblock Tito schließlich, daß er Aleksan-dar Rankovic „nicht bloß abgesetzt, sondern auch noch aus der Partei gefeuert“ habe. Unmittelbar nach der Invasion der CSSR wiederum betonten unterrichtete Kreise im Kreml, daß eigentlich Tito einer der „Hauptschuldigen“ an den Abirrungen Prags bis zum 21. August 1968 gewesen sei. Weshalb? Nun, Tito habe, wie schon vor 20 Jahren, den Plan einer Kleinen Entente mit Prag und Bukarest verfolgt.

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Während man sich aber noch im Herbst 1968 zwischen Moskau und Belgrad unverblümt Wahrheiten und Behauptungen an den Kopf warf, hat sich seither die Taktik der Troika Breschnjews im Kreml doch wesentlich gewandelt. Moskau legte es den Bruderparteien des Sowjetblocks nahe, die IX. Konferenz des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens vom 11. bis 15. März 1969 nicht zu besuchen. Dabei hatte Marschall Tito sogar Vorkehrungen getroffen, die eine „Wiederholung“ von Bologna 1969 verhindern mußten. Im Februar dieses Jahres hatten ausländische Delegierte vor dem XI. Kongreß der KP Italiens zu Bologna von der Tribüne herab heftige Beschuldigungen an die Adresse der Sowjets gerichtet. Und es war eine für das Gipfeltreffen der kommunistischen Parteien im Maimonat 1969 unangenehme Athmosphäre entstanden. In Belgrad hatten die ausländischen KP-Delegationen vor Beginn schriftlich ihre Begrüßungsadressen zum IX. Kongreß des Kommunistenbundes vorzulegen. Am 15. März 1969 belächelte Partei- und Staatschef Tito das Nichterscheinen der sechs Bruderparteien des Sowjetblocks in seiner Schlußansprache: „Im Ausland hegte man die Befürchtung, daß auf diesem Kongreß jemand kritisiert werden sollte — vor allem die Tschechoslowakei hatte mit dieser Begründung ihre Absage motiviert —, statt dessen hatte der Kongreß gezeigt, daß man sich vor allem selbst kritisiert.“

Marschall Tito hatte in seiner Jubiläumsansprache zum 50. Grundungstag der BdKJ Prag mittelbar, aber unüberhörbar erwähnt: „Im Namen angeblich höherer Interessen des Sozialismus werden Versuche unternommen, sogar die glatte Verletzung der Souveränität eines sozialistischen Landes zu rechtfertigen, und es wird militärische Gewalt angewendet, um seine unabhängige sozialistische Entwicklung zu unterdrücken.“ Zurückhaltung in der Ausdrucksweise — wenn man überlegt, daß die Eigenständigkeit der Sozialistischen, Föderativen Republik Jugoslawien schließlich selbst zur Debatte steht. Trotz der Absage des Sowjetblocks trafen in Belgrad Abordnungen von 64 Parteien ein. Es waren auch namhafte sozialdemokratische Verter-des Westens sowie zahlreiche Delegationen aus den Ländern der Blockfreien erschienen Da hätte es gerade noch gefehlt, daß einschließlich der KP-Delegationen aus Warschau, Prag, Budapest, Bukarest und Sofia noch vor dem ominösen Moskauer Gipfel im Mai 1969 zu Belgrad eine Art Gegengipfelkonferenz stattfand! .

Festtage vergehen. Der Alltag aber heißt: Engpässe der Wirtschaftsreform beseitigen, Gegensätze zwischen alt und jung zu mildern, dem Nationalitätenhader — wie etwa dem Makedonien-Problem oder der Kosovo-Metohia-Frage — die innen-und außenpolitische Sprengwirkung nehmen.

Alles in allem — ein wirklicher Erfolg! Ideologisch gesehen, bot der IX. Kongreß der Kommunisten Jugoslawiens eine Rundum-Verteidi-gung mit blitzschnellen Ausfällen, mit verklausulierten Ansprüchen des Selbstbewußtseins, indem der BdKJ jedwedes Modell für den Aufbau des Sozialismus in jedem Lande der Welt ablehnte. Für Marschall Tito persönlich kann man fast von einer Lebensernte des Siebenundsiebaigj ährigen sprechen: Blocklosigkeit — das ist das Symbol der Koexistenz! Öffnung Jugoslawiens und anderer Bruderparteien gegenüber der Sozialdemokratie! Wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen! Die nicht zu beantwortende und schweigende Frage der alten Partisanen und jüngeren Reformer lautete: Was geschieht, wenn Tito nicht mehr ist? Josip Tito-Broz hatte bessere Beziehungen zu Albanien als wünschenswert bezeichnet, „aber das hängt nicht von uns allein ab!“ Liu Shao-shi, der kürzlich gestürzte „zweite Mann“ der KP Chinas, hatte als erster Spitzenfunktionär des kommunistischen Weltlagers 1948 Tito als „Verräter“ angegriffen. Shao ist nicht mehr. In der Periode wechselnder Bundesgenossen wäre also auch eine halbe Versöhnung zwischen Belgrad und Peking nicht mehr ausgeschlossen. Auch deshalb tritt der Kreml Jugoslawien gegenüber kürzer als erwartet. Jugoslawien aber bleibt Rebell und Freund, Außenseiter und Bruder.

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