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Das Trennende tritt zurück

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Die jugoslawischen Gastgeber haben ihre gesamte Propaganda darauf abgestellt, die Reise Breznevs als einen Staatsbesuch darzustellen, der wesentlich protokollarische Bedeutung hat, als Erwiderung der Einladung, der Tito vor sechs Jahren nach der UdSSR Folge leistete. Man wollte den Völkern Jugoslawiens Gelegenheit gewähren, dem Oberhaupt des mächtigen befreundeten Reiches zuzujubeln und dem hohen Besucher es ermöglichen, sich von den Fortschritten Jugoslawiens beim sozialistischen Aufbau zu überzeugen. Damit sollten die Chinesen und deren offene wie heimliche Anhänger einerseits, der Westen andererseits zum Nachsinnen darüber angeregt werden, was sich hinter diesem Triumphzug an politisch-militärischwirtschaftlich-ideologischen Abreden verbirgt. Nun hat aber der Jugoslawien -Aufenthalt Breznevs an sich wahrhaft nur die Bedeutung einer spektakulären Kundgebung verbesserter Beziehungenzwischen Moskau und Belgrad. Wenn ferner peinlich darauf geachtet wurde, daß zwar Breznev die üblichen Sprüche wider den bösen westlichen Imperialismus aufsagen konnte, Tito aber diese Tonart niemals aufnahm, so spiegelt das gleichfalls den eigentlichen Sachverhalt wider. Das Wichtige, Wesentliche ist nicht die Reise, sondern der nun erreichte Zustand eines weltpolitischen Einvernehmens, der durch diesen Besuch bekräftigt und weithin sichtbar kundgetan wird. „Mit Befriedigung kann ich feststellen, daß die Standpunkte der jugoslawischen und der sowjetischen Regierungen in einer Anzahl grundlegender internationaler Fragen sich einander eng annähern oder miteinander übereinstimmen“, sagte Tito zu Breznev und dieser erwiderte: „Wir schätzen die Bemühungen der Regierung und speziell die persönlichen des Präsidenten Josip Broz-Tito der Föderativen Volksrepublik sehr hoch, die für eine Politik des Friedens, der friedlichen Symbiose zwischen den Staaten und für die Lösung internationaler Streitfragen durch Verhandlungen eintreten.“ Beide Präsidenten haben, so nebenhin, das Bestehen von einander verschiedener Ansichten über andere als die weltpolitischen — also vorwiegend ideologischen — Fragen für unbeträchtlich, für normal und für keineswegs die guten Beziehungen von Staat zu Staat (im Herzensgrund: von Partei zu Partei) störend erklärt. Man vergleiche mit diesen kapitalen Sätzen die Ausfälle, .die zuletzt am chinesischen Nationalfeiertag von niemand Geringerem als Marschall Tschen-Ji gegen Tito gerichtet worden sind, und zwar mit deutlichster Absicht während des Breznev-Besuches in Jugoslawien: und man wird die Bedeutung, den Sinn alles dessen begreifen, was zwar nicht erst während einer spektakulären Reise verwirklicht werden konnte, doch durch eben diese Fahrt in gewisser Hinsicht herausfordernd bezeigt worden ist.

Die allergrößte Aufmerksamkeit aber verdient ein Faktum, auf das selbstverständlich weder in einer Rede noch in einem Communique' von sowjetischer odef jugoslawischer Seite hingewiesen wurde: Kurz vor Breznev weilten der britische Handelsminister und dessen italienischer Kollege in Jugoslawien; beide wurden von Tito empfangen. Zu derselben Zeit streckte man von Belgrad aus Fühler nach Brüssel aus, wie eine lose Verknüpfung mit der EWG aufgenommen würde. Alles das ist mit Wissen und mit Zustimmung Moskaus geschehen. Fügt man dem die stillschweigende Billigung einer vertragsmäßigen Verbindung Österreichs mit der EWG bei, die vom Kreml ausgesprochen worden ist, dann vermögen wir um so mehr den Ärger, ja die Erbitterung der chinesischen Parteiführer und ihrer „harten“ Gesinnungsgenossen in den europäischen Volksdemokratien zu verstehen.

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