6599890-1953_31_03.jpg
Digital In Arbeit

Zwei gewichtige Aussagen

Werbung
Werbung
Werbung

Das ist in den früheren Kapiteln ja auch der Fall, doch dort, beim Erzählen heroischer Kämpfe, verzeihen wir das dem Verfasser eher. Wir halten ihm überhaupt seine Begeisterung für den großen Mann zugute, dem er mit bewundernder Liebe anhängt. Wir anerkennen die außerordentlichen schriftstellerischen Vorzüge des Werkes, und wir möchten, gerechterweisc, nunmehr die Aufmerksamkeit auf die reichen Materialien lenken, die es, ungeachtet der von uns unterstrichenen Lücken, darbietet.

Dedijers Buch ist vor allem unter zwei Gesichtspunkten bemerkenswert: es gewährt Einblick in die gigantische und erschreckende Organisation des Weltkommunismus, dessen ganze Gefährlichkeit hier jedem nicht Verblendeten sichtbar wird; wir bekommen ferner von innen, wenn auch mit den Augen des riickprojizierten Hasses gesehene Bilder aus der Moskauer Zentrale des Bolschewismus, die sonst nur an den Erinnerungen General Anders' und an denen einiger amerikanischer Diplomaten ein Gegenstück haben, diesen Quellen aber an Informiertheit, sagen wir an Kominformiertheit, überlegen sind. Fügen wir hinzu, daß Stalin aus diesen Zeugnissen gar nicht so übel hervorgeht, soferne es sich nämlich um den Staatsmann dreht. Wir bekommen von Todfeinden die Bestätigung, daß der Nachfolger Lenins wirklich alle entscheidenden Fragen selbst entschied, daß er über alles Bescheid wußte und daß er sich unglaublich schnell in den schwierigsten Problemen' zurechtfand. “Daß freilich die Legende vom gütigen Väterchen durch die Porträts des keinen Widerspruch duldenden bedenkenlosen Tyrannen zerstört wird, gehört auf ein anderes Blatt. Wertvoll sind die Einzelheiten über viele kommunistische Führer, so über Dimitroff, für den Tito offenbar viel Sentiment bewahrt hat und den er, noch im Tode, als Gleichstrebenden darstellen möchte. Am betrüblichsten ist die blinde Gehässigkeit gegen M i h a j 1 o v i c und gegen alle serbischen Royalisten, samt deren königlichem

Oberhaupt. Menschlich sympathisch die kameradschaftliche Verbundenheit, die Tito und die Seinen miteinander verknüpft. Für sie und für alle, die ihm aufrichtig ergeben sind, bleibt der Marschall-Präsident der, als den ihn der große kroatische Poet Nazor besungen hat:

„Held Tito reitet den Scharen voran Durch die schmale Schlucht in den Bergen — Und Titos Stimme, dem Morgentau gleich, Löscht den Durst der ermüdeten Streiter, Die sein Wort begehren, das .Vorwärts'.“

Dedijer hat die undankbare Aufgabe zu lösen gehabt, diesen Marschall Vorwärts auch denen schmackhaft zu machen, die, jenseits der jugoslawischen Grenzen, von Tito ein rückwärts zum Kapitalismus und zum Westen erwarten, dabei aber den Lesern daheim und den Fremden, die von Jugoslawien trotz allem den sozialistischen Kurs erhoffen, den Glauben zu bestärken, daß Held Tito noch immer die Scharen der wahren Marxisten führt.

Das Deutsch der an sich glatten, lesbaren Uebersetzung leidet unter einigen Anglizismen: die Leute rufen „lange lebe“ und nicht „hoch“, ein Referent heißt Rapporteur, Karpatorußland wird „subkarpatische Ukraina“ genannt. Aerger stört die liederliche Schreibweise der meisten nichtsüdslawischen oder nichtwesteuropäischen Eigennamen. Am schlimmsten, daß Titos eigener Familienname Broz ohne den gebührenden umgekehrten Zirkumflex erscheint. Diese Schönheitsfehler sollten bei Neuauflagen verschwinden. Die dem Werk innewohnenden Unzulänglichkeiten aber sind nicht zu beseitigen. Es ist cum ira et sine studio geschrieben. Wir müssen es so hinnehmen und als Gewinn für den Historiker wie für den politischen Beobachter den Einblick, vor allem den ungewollten, hinter den Mechanismus der kommunistischen Welt und im besonderen den hinter die Kulissen der jugoslawischen Zeitgeschichte und in die verborgenen Tiefen und Untiefen der unheimlichen, ungewöhnlichen Gestalt des „hors serie“ Josip Broz-Tito buchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung