Das Gesetz ist nicht mehr stumm

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Vor einem Jahr beschloß die Staatengemeinschaft die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Er soll vor allem eine präventive Wirkung erfüllen und Schuld an Verbrechen individualisieren.

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Vor einem Jahr beschloß die Staatengemeinschaft die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Er soll vor allem eine präventive Wirkung erfüllen und Schuld an Verbrechen individualisieren.

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Als die Staatengemeinschaft am 17. Juli 1998 in Rom die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs beschloß, wurde dieser Schritt als "das Wunder von Rom" gefeiert. Fast 120 Staaten hatten sich darauf geeinigt, künftig die schwersten Menschenrechtsverbrechen zu ahnden. Wenn das Gericht einmal arbeite, werde es das Missing Link im Menschenrechtsschutz sein, freuen sich Menschenrechtsorganisationen.

Keine der begangenen Verbrechen des Jahrhunderts - von Kambodscha über Ruanda, bis Bosnien und Kosovo - wird das Weltgericht rückwirkend ahnden können. Denn die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs beginnt erst dann, wenn 60 Staaten das Statut ratifiziert haben. Doch das Gericht wird eine ganz wichtige präventive Wirkung haben, gerade indem es die Schuld individualisiert. "In erster Linie sollen Menschen zur Verantwortung gezogen werden, die aus verschiedenen Gründen nicht vor ein nationales Gericht gestellt werden. Häufig sind das Menschen in Machtpositionen, die es ihnen ermöglichen, die zuständigen Organe des Staates zu beeinflussen, wenn nicht gar zu bestimmen", sagt Otto Triffterer, Experte für Internationales Strafrecht an der Universität Salzburg.

Verflogene Euphorie Die ersten Internationalen Kriegsverbrechertribunale gab es nach dem Zweiten Weltkrieg: Nürnberg und Tokyo. Beiden Tribunalen wurde Siegerjustiz vorgeworfen. 1948 beschloss die Generalversammlung der UNO, es nicht bei Nürnberg und Tokyo bewenden zu lassen, und ließ die Möglichkeit überprüfen, einen ständigen Gerichtshof einzurichten. Doch das Projekt scheiterte am Kalten Krieg. Die Ad-Hoc-Tribunale von Den Haag und Arusha ließen die Forderung neuerlich laut werden. Daß der Strafgerichtshof nun endlich verwirklicht werden wird, ist nicht zuletzt ein Verdienst hunderter NGOs unter der Führung der Weltföderalisten, die sich für das Zustandekommen des Internationalen Strafgerichtshofs stark gemacht und zu einer Koalition zusammengeschlossen hatten.

Die Euphorie nach dem "Wunder von Rom" hat mittlerweile einer nüchternen Arbeitsatmosphäre in den Sitzungen der Vorbereitungskommission Platz gemacht. Die Stimmung sei gut, die Staaten seien sehr daran interessiert, daß das Gericht bald zustande komme, erzählt der österreichische Delegationsleiter, der Völkerrechtsexperte Gerhard Hafner. Allerdings, berichtet Hafner, gebe es immer noch eine große Spaltung in die Gruppe der sogenannten like-minded Staaten und einer Gruppe, die dem Internationalen Strafgerichtshof reserviert gegenübersteht.

Klage der NGOs Die USA und China stimmten ja ebenso gegen das Statut wie Israel, Libyen, der Irak, Jemen und Qatar. Nur wenn ein Täter Staatsbürger eines Mitgliedslandes ist oder das Verbrechen in einem Land begangen wurde, das dem Strafgerichtshof beigetreten ist, wird das Gericht zuständig sein. Die Staaten können sich außerdem eine Übergangsfrist von sieben Jahren aushandeln, während der das Gericht noch nicht zuständig ist. Optimistische Schätzungen gehen davon aus, daß das Gericht frühestens in drei bis fünf Jahren arbeiten wird. Schon jetzt aber versuchten die USA, das Gericht zu unterminieren, klagen NGOs. Heinz Patzelt von Amnesty International quittiert diese Haltung mit einem Kopfschütteln: "Die USA nennen sich gerne Hüter der Menschenrechte. Gleichzeitig versuchen sie, in das Statut hineinzureklamieren, daß die eigenen Staatsbürger von der Jurisdiktion ausgenommen werden sollen. Solche Motive sind entweder unverständlich oder zutiefst unanständig!" So versuchten sie, einzelne Staaten zu bilateralen Auslieferungsverträgen zu drängen.

Dabei ließen sich die Befürchtungen der USA leicht entkräften, argumentiert Völkerrechtsexperte Hafner. Wenn die amerikanischen Gerichte selbst Täter von Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagten, kämen diese gar nicht vor den Internationalen Strafgerichtshof. Denn dieser ist ja nur dann zuständig, wenn das nationale Gericht entweder nicht fähig oder nicht willens ist, Täter anzuklagen.

In den Sitzungen der Vorbereitungskommission geht es derzeit es darum, die einzelnen Verbrechen, die unter Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen fallen, genauer zu definieren und die Beweisregeln für die Verfahren zu klären. Nach der Völkermordkonvention fallen unter Genozid Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine ethnische, religiöse, rassische oder nationale Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Wie groß diese Gruppe sein muß, damit der Tatbestand erfüllt ist, geht weder aus der Völkermordkonvention noch aus dem Statut von Rom hervor. Für die NGOs ist derzeit wichtig, daß auch subtile Varianten des Völkermords festgeschrieben werden. Wenn einer Ethnie etwa ihre Kinder weggenommen werden, wird sie über kurz oder lang ausgelöscht. Sexuelle Gewalt wie Zwangsprostitution, Zwangsschwangerschaft, Zwangssterilisierung und alle Formen von Vergewaltigung, also auch durch Oral- oder Analverkehr fallen unter den Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs geht hier weit über bisherige Definitionen hinaus. In Bosnien geschahen derartige Verbrechen oftmals in Gegenwart der Brüder, Väter oder Ehemänner. Diese mußten hilflos zusehen, wie die Frauen geschändet wurden. "Damit könnten auch religiöse Tabus so verletzt werden, daß die Wiederaufnahme der Frauen in ihre Familien erschwert wird", sagt Otto Triffterer. Die Konkretisierung sexueller Gewalt ist somit ein ganz wesentlicher Fortschritt zum Schutz der Frauen.

Zuständig sein wird der künftige Internationale Strafgerichtshof auch für Kriegsverbrecher. Kriegsverbrechen sind in den Genfer Abkommen von 1949 festgelegt. Neu wird sein, daß künftig auch Angriffe gegen Einrichtungen oder Personal humanitärer Hilfsmaßnahmen oder Übergriffe auf Peace Keeping Operations der UNO bestraft werden können.

Erstmals werden auch die Verantwortlichen für massive Umweltschäden in einem Krieg zur Rechenschaft gezogen werden können, erklärt die Wiener Völkerrechtlerin Ursula Kriebaum: "Wenn man sich den Irak-Kuwait Konflikt ansieht, wo gezielt Ölraffinerien bombardiert und riesige Umweltschäden verursacht wurden, dann ergibt es durchaus Sinn, das in den Tatbestand von Kriegsverbrechen aufzunehmen, weil man mit einer systematischen Zerstörung der Umwelt sehr wohl die Lebensgrundlage einer Bevölkerungsgruppe ruinieren kann."

Keine Todesstrafe Bei den Verhandlungen über das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs mußten nicht nur die verschiedenen Rechtssysteme der einzelnen Staaten auf einen Nenner gebracht werden. Auch unterschiedliche Rechtsauffassungen galt es zu überwinden. Deutlich wurden die Unterschiede bei der Diskussion über das Strafausmaß. Zahlreiche Staaten wollten die Todesstrafe. Erst ein Kompromiß konnte sie dazu bewegen, ihre starre Haltung aufzugeben: Der Internationale Gerichtshof kann Staaten nicht daran hindern, im eigenen Land die Todesstrafe zu verhängen. So könnte es zur absurden Situation kommen, daß für ein und dasselbe Verbrechen vor dem Internationalen Strafgericht eine lebenslängliche Haftstrafe, im eigenen Land aber die Todesstrafe verhängt würde. Für Amnesty International kann daher nur die weltweite Abschaffung der Todesstrafe eine Lösung sein. Daß es im Statut von Rom gelungen ist, die Todesstrafe auszuschließen, gilt als wichtiges Signal. Ein Zeichen könnten die Staaten auch setzen, indem sie das Statut rasch ratifizieren.

In Österreich hat Amnesty vor kurzem alle Parlamentarier aufgefordert, sich für eine rasche Ratifizierung einzusetzen. Österreich will jedoch zuvor alle nationalen Gesetze an das Statut anpassen. Und das wird, so rechnet man im Justizministerium, erst nach der Nationalratswahl im Herbst, wahrscheinlich um die Jahreswende sein.

"Das Ansehen eines Staates hängt auch davon ab, welche Einstellung er zum internationalen Strafgerichtshof hat", macht der Internationale Strafrechtsexperte Otto Triffterer auf das weltpolitische Image aufmerksam, das mit einem Beitritt zum Weltgericht verknüpft ist: "Auch Österreich wird immer wieder vorgeworfen, sehr großzügig mit der unmenschlichen Behandlung umzugehen - denken Sie nur an den jüngsten Fall des nigerianischen Schubhäftlings. Das will kein Staat langfristig auf sich sitzen lassen!"

Über kurz oder lang, gibt sich Triffterer optimistisch, würden daher immer mehr Staaten das Statut ratifzieren. Denn der politische Druck werde immer größer werden, und schon aus wirtschaftlichen Gründe könne sich ein Staat künftig nicht mehr leisten, ein Outcast zu sein.

Hörfunktip Der lange Weg zum Weltstrafgericht Ausführliches zum Thema können Sie von Judith Brandner am Donnerstag, 15. Juli, in der Sendung Journal Panorama in Ö1, um 18.20 Uhr, hören.

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