"Das ist wie eine seelische Wäsche"

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Und nach den Kriegen: Wie Gerechtigkeit und Versöhnung schaffen? Richterin Renate Winter (Sierra Leone) und die "Versöhnungsarbeiterin" Stella Sabiiti aus Uganda antworten.

Die Furche: Frau Winter, Sie sind vom un-Weltsicherheitsrat als Richterin an den Spezialgerichtshof von Sierra Leone bestellt - was sind die Aufgaben dieses Tribunals?

Renate Winter: Nichts ist wichtiger für Sierra Leone und für den Nachbarstaat Liberia, als endlich zur Ruhe zu kommen. Der Internationale Gerichtshof ist dafür zuständig, jene, die die größte Verantwortung tragen, vor Gericht zu bringen. Das sind oft Leute, die noch eine große Anhängerschaft haben, wie der kürzlich inhaftierte Ex-Präsident von Liberia, Charles Taylor, der noch fest in den Strukturen verankert ist. Darum ist die Regierung in Sierra Leone auf ein internationales Gericht, das unabhängig agiert, angewiesen. Es zählt aber auch zu unseren Aufgaben, dass wir ein funktionierendes Gericht aufbauen und dem Land übergeben. Und dann gibt es noch die Wahrheits-und Versöhnungskommissionen. Sie sind für ehemalige Kindersoldaten zuständig und für die "kleinen Fische", die Verantwortung für ihre Verbrechen übernehmen und Wiedergutmachung leisten.

Die Furche: In Sierra Leone wurden in einem fast 30 Jahre dauernden Krieg 200.000 Menschen getötet. Tausende Frauen und Kindern wurden verstümmelt. Wie kann da Wiedergutmachung stattfinden?

Winter: Viele Leute haben gesagt, wir brauchen diese Gerichtshöfe nicht, die kosten nur Geld und die Verfahren dauern lange. Wenn man das Geld schnell den Opfern geben würde, wäre das doch viel besser. Es stellt sich aber die Frage: Wer bestimmt, wer Opfer und wer Täter ist? Wenn ich die Antwort den nationalen Gerichten überlasse, stecke ich in einem Dilemma. Denn ein nationales Gericht wird sich vielleicht nicht trauen, sich so klar zu äußern. Und wenn man festgestellt hat, wer Opfer und wer Täter ist, bleibt die Frage, wie viel jemand bekommt und wer das zu bezahlen hat.

Die Furche: Wie nehmen die Menschen ihre Arbeit jetzt auf?

Winter: Das ist wie eine seelische Wäsche. Wir haben Fälle, wo Frauen, sechs, acht, zehnmal vergewaltigt worden sind. Viele dürfen sich das gar nicht sagen trauen, sonst würden sie von ihren Familien verstoßen. Beim internationalen Gericht haben wir durchgesetzt, dass gefährdete Zeugen in ein Schutzprogramm kommen - sie können anonym aussagen und sind danach nicht gebrandmarkt. Der Vergewaltiger ist womöglich der Nachbar. Er spaziert jeden Tag an seinem früheren Opfer vorbei und lacht die Frau aus. Da geht es nicht darum, ob dieser Mann für zwei oder hundert Jahre ins Gefängnis kommt, sondern vor allem darum, dass festgestellt wird, dass er der Täter ist.

Die Furche: Es gibt die UN-Resolution 1325, die den besonderen Schutz von Frauen in Nachkriegs-Regionen betont - wirkt diese Resolution?

Winter: In vielen Ländern in Afrika ist die Situation der Frauen auch außerhalb von Kriegen sehr schlecht. Wenn es im Unrechtsbewusstsein der Männer nicht verankert ist, dass man Frauen keine Gewalt antut, sexuell oder anders, dann ist das auch für Soldaten so. Wenn ein Vater seine Tochter in die Ehe geben kann, ist die Tochter ein Objekt. Warum soll diese Tochter für einen Soldaten ein Subjekt sein? Eine Frau, die in Friedenszeiten keinen Status hat, hat ihn in Kriegszeiten schon überhaupt nicht. Und nach dem Krieg auch nicht. Entweder ist sie tot, wurde vergewaltigt oder verstümmelt. In jedem Fall muss sie die Aufbauarbeit leisten, weil die Männer tot oder gefangen sind. Wenn die Männer zurückkommen und in ihre alten Muster zurückfallen, werden sie Frauen, die vergewaltigt worden sind, nicht beschützen, sondern verjagen. Der Zusammenhang von Krieg und Not und dem schlechten Status der Frauen in Friedenszeiten, das macht das Problem so groß.

Die Furche: Also bleibt 1325 ein zahnloser Papiertiger?

Winter: uno-Resolutionen sind Aufforderungen an den Staat: Ein Vater, dessen Tochter die Hände abgehackt wurden, wird sich in Sierra Leone fragen, wie er sie ernähren soll, wenn er sie nicht in eine Ehe geben kann. Also wird den lokalen und internationalen Behörden etwas einfallen müssen, um dieses Mädchen zu versorgen.

Die Furche: Welche Erfahrung haben Sie bei der Verurteilung jener, die Kindersoldaten rekrutieren.

Winter: Was die Kindersoldaten betrifft, gibt es einen ganz wichtigen Beschluss. Einer der Angeklagten meinte: "Schon möglich, dass es verboten ist, Kindersoldaten zu rekrutieren, aber die internationalen Dokumente wenden sich an Staaten, nicht an ein Individuum, da könnt ihr mich nicht dafür bestrafen." Es war also nachzuweisen, dass es international Normen gibt, die auf dem Völkergewohnheitsrecht basieren - und das ist auch gelungen. Es hat so ein Urteil gegeben und dieses Urteil wird für künftige Verhandlungen überall gültig sein.

Das Gespräch führte Romana Klär.

Die Furche: Frau Sabiiti, Sie arbeiten für die Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern in Uganda - ist das in einem Land, in dem seit fast 20 Jahren Bürgerkrieg herrscht nicht ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen?

Stella Sabiiti: Ich kann nicht anders, das ist meine Arbeit, aber gleichzeitig auch Teil meines Lebens: Ich wurde 1976 im Idi-Amin-Regime selbst gefoltert. 1979 mussten Amin und seine Anhänger Uganda verlassen, aber im Kongo und im Sudan schlossen sie sich zu Rebellengruppen zusammen, die Kämpfe hörten nicht auf. 2002 wollten aber viele von ihnen wieder zurückkommen, ihre Waffen niederlegen und in unsere Gesellschaft wieder eingegliedert werden. Ich wurde eingeladen, mit ihnen zu verhandeln, ihnen zu helfen - wie hätte ich da Nein sagen können?

Die Furche: Sie haben Ihren Peinigern verziehen?

Sabiiti: Während der Folter entdeckte ich, dass ich nicht das einzige Opfer bin - auch meine Peiniger waren Opfer. Die Folter war eine eigenartige Erfahrung: Sie haben mich geschlagen und angeschrieen, aber ich habe ihre Gesichter nicht sehen können, weil meine Augen immer auf den Boden gerichtet waren. Dadurch gibt es keine persönliche Beziehung zwischen Peiniger und Folteropfer. Das ist ein Vorteil für die Folterer. Als ich dachte, sterben zu müssen, hob ich meinen Kopf und ich konnte nicht fassen, was ich gesehen habe: Sie litten gleich wie ich! Sie haben innerlich gelitten - diese Einsicht kam völlig überraschend für mich.

Die Furche: Was änderte diese Einsicht an den Grauen der Folter?

Sabiiti: Ich wollte auf einmal unbedingt verstehen, was sie fühlten und fragte einen: "Was hat deine Frau dir gestern Abend gekocht?" Und mein Gegenüber fragte sich: "Diese Frau wird gerade gefoltert und sie fragt, was unsere Frauen gestern Abend gekocht haben?" Daraufhin schlugen sie noch heftiger zu. Doch plötzlich beantworteten sie mir meine Frage. Und wir setzten uns hin und sprachen über ihre Kinder, ihre Frauen und ihre Familien. Und der Blick in ihre Augen zeigte mir, dass sie innerlich gefoltert wurden. So konnte ich ihnen vergeben und meine Arbeit beginnen.

Die Furche: Ihre eigene Erfahrung von Versöhnung war also die Initialzündung für Ihr "Center for Conflict Resolution (cecore)" in Kampala.

Sabiiti: Ja, und deswegen arbeiten wir größtenteils mit den Tätern. Während sich die meisten Organisationen den Opfern widmen, beschäftigen wir uns mit denen, die anderen Gewalt angetan haben. Niemand will mit dieser Gruppe zu tun haben, jeder zeigt mit dem Finger auf sie. Doch keiner fragt, warum sie es getan haben. Wir sprechen mit Soldaten und Folterknechten, wir suchen nach Wegen, sie physisch und psychisch aus ihren Kriegen rauszuholen.

Die Furche: Sind alle Opfer bereit, so zu vergeben wie Sie?

Sabiiti: Oft wird die Bestrafung der Täter gefordert. Ich verstehe das, es ist eine schnelle Lösung, aber nicht die beste. Denn wenn die Täter einmal wieder aus dem Gefängnis entlassen werden, denken sie nur an Vergeltung - der Kreislauf der Gewalt geht also immer weiter, bekommt immer neue Nahrung, hört nie auf. Es wird nicht gerne gehört, aber wer garantiert, dass die Opfer von heute sich morgen unter Umständen nicht gleich verhalten wie die heutigen Folterknechte. Es gibt nicht gute und böse Menschen. Es hat immer mit den Umständen zu tun.

Die Furche: Vor kurzem wurde der ehemalige liberianische Präsident Charles Taylor gefangen, wahrscheinlich wird vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen in Anklage erhoben - ist es eine gute Idee, afrikanische Despoten außerhalb Afrikas zu verurteilen?

Sabiiti: Wenn Taylor vor ein internationales Tribunal kommt, wird gezeigt, dass die Welt vor Unrecht in Afrika nicht die Augen verschließt. Noch ist es zu früh, darüber zu urteilen, denn es ist das erste Mal. Aber es wäre schön zu sehen, wenn andere Staatschefs zur Einsicht kommen: "Wir können uns solche schrecklichen Dinge nicht leisten, sonst passiert uns das gleiche wie Mr. Taylor."

Die Furche: Sie meinen, andere Diktatoren würden sich dann bessern.

Sabiiti: Genau! Es ist sozusagen eine Art Prävention, ein Schutz davor, dass andere sich so wie Taylor verhalten.

Die Furche: Wäre es nicht besser, Taylor in Sierra Leone vor Gericht zu stellen? Bei Saddam Hussein wollten die Iraker unbedingt, dass er zu Hause vor Gericht gestellt wird.

Sabiiti: Das müssen wir die Leute aus Liberia und Sierra Leone fragen. Es ist immer besser, jene Menschen zu fragen, die davon betroffen sind. Das wichtigste wird aber sein, dass die Menschen in Liberia und Sierra Leone, die Opfer und die Täter, Gerechtigkeit erfahren.

Das Gespräch führten Wolfgang Machreich und Monika Schachner.

EU-Afrika-Strategie

Als "europäische Antwort auf das stärker werdende internationale Interesse an Afrika" hat die Europäische Union eine eigene Afrika-Strategie mit dem Titel: "Die eu und Afrika: In Richtung einer strategischen Partnerschaft" verabschiedet. Die Furche widmet diesem Unterfangen eine eigene Serie, die dazu beitragen will, der gängigen Rede vom "vergessenen Kontinent" entgegenzuwirken.

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