Angeklagt des Tötens per Fernbedienung

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Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden Liberias Ex-Präsidenten Charles Taylor vorgeworfen. Macht der Prozess gegen ihn Schule, wird es eng für Afrikas Despoten.

Für diesen Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung nicht. Den "Schlächter" hat man Charles Taylor genannt und die Geschichten über die Grausamkeiten von Liberias Ex-Präsident sind Legion. Und es soll eine Zeit gegegeben haben, in der Taylor stolz auf seinen Furcht und Schrecken verbreitenden Beinamen gewesen ist - seit seiner Festnahme auf der Flucht aus dem für ihn unsicher gewordenen Exilland Nigeria und der Überstellung vor das Sondertribunal des Internationalen Strafgerichtshofs in den Haag im Vorjahr sind aber diese Tage endgültig vorbei. Jetzt leugnet Taylor, jemals der Drahtzieher für einen der blutigsten afrikanischen Bürgerkriege der letzten Jahrzehnte gewesen zu sein. Jetzt plädiert Taylor in allen elf gegen ihn erhobenen Anklagepunkten, - darunter Anstiftung zu Mord, Vergewaltigung, Rekrutierung von Kindersoldaten und weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit - für nicht schuldig. Und sein Verteidiger vor Gericht sagt, den Beinamen "Schlächter" haben die amerikanische und britische Regierung erfunden, um Taylor in den Augen der Weltöffentlichkeit schlecht zu machen.

Als Schlächter dämonisiert

Courtenay Griffiths hat den Job übernommen, die Unschuld des Angeklagten mit der Schuldsvermutung zu beweisen. Griffiths ist Brite jamaikanischer Herkunft und spezialisiert auf die Verteidigung "schwieriger Fälle". In der Vergangenheit hat er sich mit dem Rechtsbeistand für IRA-Bombenleger einen Namen gemacht, jetzt vertritt er den Mann, dem vorgeworfen wird, einer der größten Brandstifter Afrikas zu sein. "Vorurteile" nennt Griffiths diese Vorwürfe gegen seine Mandanten, "nichts als Vorurteile verbreitet von den Regierungen der USA und Großbritanniens". Für den Londoner Star-Verteidiger ist das Verfahren gegen Taylor vor dem Haager UNO-Tribunal "ausschließlich politisch motiviert". Und im Gespräch mit der Furche dreht Griffiths den gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf um: Nicht der liberianische Präsident habe sich am Diamantenreichtum von Sierra Leone bereichert und deswegen den Bürgerkrieg in seinem Nachbarstaat ausgelöst und mit Truppen, Waffen und Logistik unterstützt, sondern sowohl die USA als auch Großbritannien wollten und wollen nach wie vor den "Mineralreichtum in der Region kontrollieren". Deswegen, sagt Griffiths, hätten Washington und London Taylor "als Tyrannen, Diktator und Schlächter dämonisiert" und vor das UN-Sondertribunal für Sierra Leone in Den Haag gezerrt.

TFI-584 heißt die 32. Zeugin der Anklage, die gegen Taylor aussagt. Noch 40 weitere Zeugen sollen nach ihr vor Gericht erscheinen und 70 zeugen stehen zusätzlich parat, ihre Aussagen schriftlich zu Protokoll zu geben. TFI-584 ist eine junge Frau; sie trägt eine Sportjacke, um den Kopf hat sie ein rosa Haarband gebunden, das in der Farbe zu ihrem Rock passt, und wenn sie spricht, fixiert sie das Mikrofon vor sich, schaut nicht gerade aus zum Richterkollegium, schaut nicht nach rechts zur Bank der Anklage, schaut nicht nach links zum Platz des Angeklagten. TFI-584 sieht so jung, so hübsch und so harmlos aus, dass man die Kriegsgräuel, die sie erzählt, nie mit ihrer Personen in Verbindung bringt. So wie man den Krieg, um dessen Auslöser in diesem Gerichtssaal verhandelt wird, nie mit dem interessiert schauenden und aufmerksam Notizen mitschreibenden Herren auf der Anklagebank in Zusammenhang setzen würde.

Zeugin im Kreuzverhör

TFI-584 war Ende der 1990er Jahre Funkerin in der RUF-Rebellenarmee in Sierra Leone. Und TFI-584 sagt vor Gericht aus, dass der liberianische Staatspräsident Charles Taylor in dieser Zeit Medizinmänner und -frauen in ihre Einheit geschickt haben soll, die mit wundersamen Riten und Beschwörungen die Körper der RUF-Kämpferinnen und Kämpfer unverwundbar gegenüber den Kugeln ihrer Feinde gemacht hätten. Sie selbst, sagt TFI-584, habe 168 Markierungen auf ihrem Körper, die dieses Ritual belegen.

TFI-584 trifft mit ihrer Aussage den Kern der Anklage: Massenmord per Fernbedienung, das legt das Gericht Taylor zur Last. Denn im Unterschied zu vielen Zeugen, die in Sierra Leones Bürgerkrieg selbst mordeten, schändeten und brandschatzten und heute vor dem Strafgerichtshof aussagen und mit Straffreiheit davonkommen, soll Charles Taylor in Sierra Leone nie selber zur Waffe gegriffen haben - doch Taylor war der Kopf dieses Kriegs, lautet der Vorwurf, der Stratege, der Befehlshaber und Nutznießer, dieses selbst für afrikanische Verhältnisse besonders grausamen Blutvergießens

"Völlig unmöglich" nennt Taylor-Verteidiger Griffiths diese Anklage. Der Anwalt gibt zu, dass sein Mandant maßgeblich im Bürgerkrieg in Liberia beteiligt gewesen ist, der ebenfalls hunderttausende Opfer gefordert und Taylor schließlich an die Staatsspitze gebracht hat. Doch Griffiths bestreitet, und allein um dieses Faktum wird in Den Haag verhandelt, dass Taylor irgend etwas mit dem Krieg in Sierra Leone zu tun gehabt hat: "Taylor war so mit den Schwierigkeiten rund um seinen Machterhalt in Liberia beschäftigt", sagt Griffiths, "er hätte weder die Zeit noch die Mittel gehabt, daneben einen Krieg in Sierra Leone zu organisieren."

TFI-584 behauptet das Gegenteil: Eine der Medizinfrauen habe ihr erzählt, dass sie von Präsident Taylor selbst geschickt wurde, um die RUF-Kämpfer mit ihrem Schutzritus zu unterstützen.

Im Kreuzverhör versucht Griffiths Anwaltskollege die Zeugin in Widersprüchlichkeiten zu verstricken, fragt, warum sie diese Aussage nicht schon bei ihrer ersten Einvernahme im letzten Jahr gemacht hat, warum sie erst jetzt diesen Vorwurf auf den Tisch bringt. TFI-584 überlegt und antwortet, sie sei damals nicht danach gefragt worden. Der Verteidiger bohrt weiter nach, gibt seiner Verwunderung Ausdruck, dass die Zeugin bei ihrer ersten Einvernahme Taylor zwar beschuldigt hat, Waffen und Munition an ihre RUF-Einheit geschickt zu haben, die angeblich ebenfalls von Taylor gesandten Wunderheiler aber nicht erwähnt hat - warum? TFI-584 bleibt ruhig und erklärt geduldig dem Gericht ein zweites Mal, dass sie damals nicht danach gefragt worden ist: "Ich kann auf eine Frage nur antworten, wenn sie mir gestellt wird!"

Die Taktik von Griffiths Verteidigerteam besteht darin, Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Zeugen aufzudecken und ihre Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Das macht die ohnehin schwere Aufgabe der Anklagevertreter nicht leichter, Taylor eine persönliche Mitschuld an den Verbrechen in Sierra Leone nachzuweisen. Scheitert die Anklage wäre dies ein schwerer Rückschlag für die internationale Strafgerichtsbarkeit. Man hätte dann zwar den Vorwurf der Siegerjustiz ad absurdum geführt und nach modernen Standards Recht gesprochen, die abschreckende Wirkung für andere Kriegstreiber wäre mit einem Freispruch für Taylor jedoch wieder nicht gegeben.

Die Richterinnen und Richter des Tribunals kommen aus Uganda, Nordirland, Samoa und Senegal. Taylor-Anwalt Griffiths spricht in den höchsten Tönen von ihnen und lobt sie für ihre Fairness. Das Gericht als Ganzes und im Besonderen die Vertreter der Anklage kritisiert er aber als "verlängerten Arm des westlichen Imperialismus". Besonderen Anstoß nimmt Griffiths an dem Faktum, dass die drei wichtigsten Vertreter der Anklage US-Bürger sind: "Was haben Amerikaner in diesem Prozess verloren, wo doch die USA den Internationalen Strafgerichtshof überhaupt nicht anerkennen!" Auch Russland, China oder Indien lehnen neben den Vereinigten Staaten eine Ratifikation des Status des Internationalen Strafgerichtshofs ab. Das stellt diese als Weltjustiz gedachte Organisation vor ein schweres Legitimitätsproblem. Einen weiteren Kritikpunkt bringt Griffiths aufs Tapet, wenn er fragt, warum der Internationale Strafgerichtshof nur an Politikern kleiner Staaten ein Exempel statuiert, die Staatschefs der großen oder im UN-Sicherheitsrat vertretenen Nationen aber nie in Gefahr kommen, jemals wegen Kriegshetze oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor ein Gericht gestellt zu werden: "Die USA, Großbritannien und Kanada investieren Millionen Dollar in dieses Tribunal, dafür erwarten sie ein bestimmtes Ergebnis", sagt Griffiths, "die Verurteilung von Charles Taylor."

Dieser verfolgt im Gerichtssaal interessiert die Aussagen von Zeugin TFI-584, macht hin und wieder Lockerungsübungen mit seinem Kopf und steckt seinem Anwalt Zettelchen zu. Auf einem dieser Zettel hat Taylor geschrieben, dass er auf die Toilette muss. Dann fragt der Verteidiger die Richterin, ob sie erlaube, dass sein Mandant kurz den Gerichtssaal verlässt. Nach ihrem Kopfnicken steht Taylor auf, verbeugt sich vor der Richterbank und geht, begleitet von zwei Wachen, aus dem Raum. Beim Zurückkommen verneigt er sich wieder, setzt sich hin, hört interessiert zu, macht ab und zu Lockerungsübungen und steckt dem Anwalt Zettelchen zu.

Charles Taylor ist ein Musterangeklagter. Das genaue Gegenteil von seinem Vorgänger als Ex-Staatspräsident vor einem UN-Sondertribunal Slobodan Milosevic. Nicht nur, dass sich dieser wortgewaltig selbst verteidigt und die Zeugen persönlich ins Kreuzverhör genommen hat. Milosevic hat im Gerichtssaal alles unternommen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn er einen Zettel in den Papierkorb geworfen hat, dann nicht ohne diesen vorher so theatralisch zu zerreißen oder zu zerknüllen, dass es bis in die letzte Besucherreihe bemerkt wurde. Und hat ihm eine Zeugenaussage nicht gepasst, dann hat er laut gestöhnt oder vor sich hin gemurmelt oder mit dem Zeugen oder dem Richter oder am liebsten mit beiden fuchsteufelswild zu streiten begonnen.

Musterangeklagter Taylor

All das tut Charles Taylor nicht. Der hört interessiert zu und macht sich Notizen - wenn Zeugin TFI-584 aussagt, wie ihr Zwillingsbruder im Krieg massakriert wurde; wenn sie in Tränen ausbricht und erst beim zweiten Anlauf vom Tod ihres dreijährigen Sohns berichten kann, den einer der Chefs ihrer eigenen Einheit lebendig begraben hat, um damit auf magische Weise seine Kampfeskraft zu stärken. Und Taylor hört interessiert zu und macht Notizen, als sein ehemaliger Vizepräsident aussagt, liberianische Rebellen hätten in Sierra Leone auf Anordnung Taylors hin Menschenfleisch gekocht und verzehrt.

Kannibalismus auf Befehl

Taylor soll selbst mehrfach die Herzen getöteter Feinde gegessen haben, sagt ein anderer Zeuge, der Kommandant des "Todesschwadrons" gewesen ist und geht bei seinen Schilderungen ins Detail: "Wir schlitzten ihnen die Kehlen auf, schlachteten sie ab, warfen die Köpfe weg, nahmen das Fleisch heraus und warfen es in einen Topf." Und der Angeklagte hört interessiert zu und macht Notizen, als der Zeuge behauptet, er und seine Kämpfer wären auf Taylors Befehl hin zu Kannibalen geworden. Und der Angeklagte schreibt auch mit, als sein ehemaliger liberianischer Berater im Zeugenstand erklärt, der Präsident habe gezielt Kindersoldaten rekrutiert, sie mit Drogen vollstopfen und zu erbarmungslosen Kampfmaschinen ausbilden lassen …

30.000 Seiten derartiges Beweismaterial hat die Anklage gegen Taylor gesammelt. Und aufgrund der unzähligen Gräuel, die in diesem Prozess zur Sprache kommen, wurde dieses Gerichtsverfahren nach Den Haag verlegt. Ein Taylor-Prozess in Sierra Leone oder in Liberia wäre ein zu großes Risiko für den fragilen Frieden dort, fürchteten die Tribunal-Verantwortlichen.

Verteidiger Griffiths bestreitet nicht, dass diese Grausamkeiten und noch viel mehr Unaussprechliches im Krieg in Sierra Leone passiert sind - doch Griffiths widerspricht, wenn es darum geht, Taylor die Schuld an diesen Verbrechen zur Last zu legen. Der Anklage wirft Griffiths vor, die Zeugen zu "kaufen", und die Zeugen, die seinen Mandanten schwer belasten, nennt er "Lügner". Er und sein Team würden weiter die Widersprüchlichkeiten der Zeugenaussagen aufzeigen, sagt er. Und mit Hilfe des "sachlichen, respektvollen und kooperativen Verhaltens" von Taylor, gibt sich der Verteidiger siegessicher, "die Richter und die Welt von der völligen Unschuld meines Mandanten überzeugen zu können".

Und wenn der Verteidiger dann nach getaner Arbeit heimgeht, dann warten seinevier Kinder und seine Frau auf ihn. Sie stammt zufällig aus Sierra Leone - doch das sei kein Problem, sagt Griffiths: "Ich bin es gewohnt, mein Berufs- und Privatleben zu trennen!"

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