Der Rhythmus ist flott, der Text ist ernst: "Überwinde deine Angst, versteck dich nicht. Menschen können Ebola überleben", singt Charles Yegba, ein Rapper aus Liberia. Sein Song, den er eigens für die aktuelle Epidemie geschrieben hat, wird zur Zeit von allen Radiosendern des westafrikanischen Kleinstaats gespielt. Der Soundtrack zur Seuche. Er soll dabei helfen, die weitere Ausbreitung der Krankheit einzudämmen.
Mindestens 624 Menschen sind in diesem Jahr in Liberia bereits am Ebola-Virus gestorben, infiziert sind doppelt so viele, meldet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Ähnlich dramatisch ist die Situation in den Nachbarländern Sierra Leone und Guinea. Dort werden jeweils rund 400 Todesopfer gezählt. Auch in Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo wurde Ebola bei Patienten diagnostiziert. Dass die größte Epidemie seit der Entdeckung des Virus in den 70er-Jahren ausgerechnet in Westafrika ausbrach und dort nicht in den Griff zu kriegen ist, ist kein Zufall: "Man kann Ebola nicht losgelöst von Armut betrachten", weiß Allieu Bangura, der Gesundheitsexperte der Entwicklungsorganisation World Vision in Sierra Leone.
Aberglaube, Zauberkraft, Gerüchte
Sierra Leone, Liberia und Guinea sind die Armenhäuser Afrikas. Durch Bürgerkriege wurden Gesundheitssysteme und Infrastruktur zerstört. Und obwohl die Länder reich an Ressourcen, Erzen und Ackerland sind, haben die Menschen dort nichts. Kein Wasser, keine Seife, keine Ahnung, was Ebola ist, und wie man sich schützen kann.
Lieder wie jenes von Charles Yegba sind auch deshalb so wichtig, weil nirgendwo auf der Erde weniger Menschen lesen und schreiben können als hier. Mit seinen 42 Jahren ist der Musiker in der Region schon ein alter Mann: Die Lebenserwartung in Sierra Leone liegt bei 46 Jahren, eines von fünf Kindern erlebt seinen fünften Geburtstag nicht mehr. Schon vor der Ebola-Epidemie starben 70 Prozent aller Menschen an einer Infektionskrankheit.
Peter Fritsch, Kinderarzt aus Graz, konnte sich vor einem Jahr selbst ein Bild von der Gesundheitsversorgung in der Region machen. Im Rahmen eines humanitären Projektes besuchte er Sierra Leone, um dort zu praktizieren und zu schulen. "Im Bezirk Kono, wo ich war, gibt es ein Krankenhaus für 100.000 Menschen", erzählt er, "und dort arbeitet ein Arzt." Alle sieben bis zehn Kilometer steht ein öffentliches Gesundheits"zentrum", in dem eine Krankenschwester gegen Kost und Logis werkt.
Fritschs Dienste wurden von den Menschen sehr positiv aufgenommen: Am ersten Tag behandelte er vierzig Kinder, am zweiten Tag kamen schon achtzig. Am letzten musste er nach 170 Kindern abbrechen. So viel Vertrauen in medizinisches Personal ist nicht selbstverständlich. Allieu Bangura, der auf die bevölkerungsbezogene "Community Medicine" spezialisiert ist, erklärt: "Krankheit wird in Westafrika oft mit Aberglauben, Zauberkraft und Gerüchten in Verbindung gebracht."
Die Gerüchte haben auch zur Ausbreitung des Ebola beigetragen. Es hieß, dass gierige Geschäftsleute eine künstliche Hysterie erzeugten. Es hieß, dass die Helfer selbst das Virus verbreiteten. Es hieß, dass es sowieso keine Heilung für die Krankheit gäbe. Die Menschen bleiben deshalb lieber zu Hause, als in einem Krankenhaus zu sterben.
"Bitte geh ins Spital, wenn du Fieber, Kopfweh, Durchfall oder Übelkeit hast", rappt Charles Yegba deshalb in seinem Ebola-Song weiter und hofft, dass die Botschaft ankommt.
Auch Zena, eine 24-jährige Lehrerin aus Guinea bemüht sich um Aufklärung. Sie hatte sich selbst mit Ebola angesteckt, als sie sich im März um ihren kranken Cousin kümmerte. Nach dem traditionellen Bestattungsritus werden Tote in Westafrika von ihren Familienmitgliedern gewaschen. Weil das Virus über direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten übertragen wird, ist diese Methode bei Ebola-Opfern besonders gefährlich. Auch in Zenas Familie verbreitete sich die Seuche auf diese Art: Alle Menschen, die ihren infizierten Cousin berührt hatten, wurden selbst krank. Sechs Familienmitglieder starben.
Zena selbst entschied sich rechtzeitig ins Krankenhaus zu gehen, wo ihre Symptome behandelt wurden. "Ich hatte so schlimme Krämpfe, ich glaubte nicht, dass ich es überlebe", erzählt sie. Doch sie schaffte es. Als Siegerin über die Krankheit tourt sie nun durch die Ortschaften, redet mit den Familien von Kranken und klärt auf: Man kann Ebola überleben. Bringt eure Kranken ins Spital. Und schützt euch selbst.
Wie man das genau macht, wissen jedoch nicht alle. Und selbst wenn: "Es ist unwahrscheinlich, dass Frauen sich weigern, ihren kranken Mann zu pflegen, oder ihn gegen seinen Willen zum Arzt zu bringen", meint Allieu Bangura. Meist sind es die Frauen, die sich um die Kranken kümmern, sie und ihre Wäsche waschen. Sechzig Prozent aller Ebola-Toten sind Frauen. Ein Blick auf die Opfer offenbart, wer Macht hat, und wer nicht.
Siegerin über die Krankheit mit Stigma
Am schlimmsten trifft es daher die Ärmsten. Und: "Auch wenn die Krankheit bei allen sozioökonomischen Schichten gleich verläuft, ist der Tod eines Mitgliedes in armen Familien auch eine ökonomische Katastrophe." Dazu kommt das Stigma: Zena verlor ihre Stelle als Lehrerin, nachdem sie das Krankenhaus verlassen konnte. Eltern wollten nicht, dass sie ihre Kinder weiterhin unterrichtete.
Knapp wird's auch für die Gesunden: Wegen der geschlossenen Grenzen kommt der Handel zu den Nachbarländern zum Erliegen. In Sierra Leone dürfen die Menschen in Quarantänegebieten ihr Haus nicht verlassen und können daher nicht auf ihren Feldern arbeiten. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis sind dort schon um 40 Prozent gestiegen. "Die Lage entwickelt sich von einer Gesundheits-zu einer Hungerkrise", warnt Asja Hanano von der Welthungerhilfe.
Je länger die Epidemie andauert, desto katastrophaler sind die wirtschaftlichen Folgen für die Region, die ohnehin schon zu den ärmsten der Welt zählt. "Die internationale Gemeinschaft muss sich darauf einstellen, dass noch viele weitere Monate lang massive, koordinierte und zielgerichtete Unterstützung nötig sein wird," meinte WHO-Generaldirektorin Margaret Chang vergangene Woche.
Um die Verbreitung der Krankheit wirkungsvoll einzudämmen, braucht es nicht nur Wasser, Seife und Desinfektionsmittel. Es braucht vor allem Gesundheitswissen in der Bevölkerung. Peter Fritsch erinnert sich an eine Szene in einem Gesundheitszentrum in Sierra Leone. Als bei einer Operation ein Kind wiederbelebt werden musste, brauchte die Krankenschwester mehrere Minuten, um den Beatmungsbeutel zu finden. Sein Fazit: "Was fehlt, sind banale Schulungen über Reanimation und Hygiene." Fritsch schult, Charles Yegba rappt und Zena klärt auf. Doch noch breitet sich das Wissen langsamer aus als die Krankheit.