"Können Umdenken bewirken“

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Renate Winter hat sich auf allen Kontinenten für die Umsetzung der Kinderrechte engagiert.Jetzt kandidiert sie als erste Österreicherin für das UNO-Komitee für das Recht des Kindes.Das Gespräch führte Veronika Dolna

Seit Jahren kämpft Renate Winter für Kinderrechte - als Jugendrichterin, Beraterin internationaler Regierungen bei der Umsetzung der UN-Konvention oder Richterin am Internationalen Strafgericht in Sierra Leone. Jetzt kandidiert sie als erste Österreicherin für einen Sitz in der UN-Kommission für Kinderrechte.

Die Furche: Das UN-Komitee hat seine Beobachtungen über Kinderrechte in Österreich abgegeben und auch kritisiert. Welchen Stellenwert haben Kinderrechte bei uns?

Renate Winter: Einen relativ geringen, weil alle davon überzeugt sind, dass sowieso alles in Ordnung ist. Alle Politiker sagen: "Kinder sind die Zukunft.“ Aber ich frage mich: "Was ist mit den Kindern in der Gegenwart?“ Ich habe überall auf der Welt gesehen, dass Politiker nicht an Kindern interessiert sind, weil sie keine Stimme bei Wahlen haben. Und an Kindern, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, oder Flüchtlingskindern, haben sie schon gar kein Interesse. Kinder brauchen langfristige Politik mit Zielen, auf die man Schritt für Schritt hinarbeitet.

Die Furche: In Österreich ist ein Kinder- und Jugendhilfegesetz seit Jahren in der Warteschleife…

Winter: …weil sich Bund und Länder nicht einigen können.

Die Furche: Kann ein Gesetz Gewalt gegen Kinder verhindern?

Winter: Ja und nein. Wenn die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, und diejenigen, die gegen sie verstoßen, bestraft werden, dann kann es Gewalt verhindern. Was es aber nicht ändern kann, ist die Einstellung der Menschen. So lange immer noch viele von der "gesunden Watsche“ sprechen, so lange Leute wegschauen, wenn ein Kind geschlagen wird, so lange die Jugendfürsorge nicht merken kann oder will, dass etwas schiefläuft, so lange wird sich an der Gewalt nicht viel ändern.

Die Furche: Sie haben zwei Jahre lang den UN-Sondergerichtshof in Sierra Leone geleitet, sind immer noch Richterin dort. Was können Kinderrechte dort bewirken?

Winter: Einen Anfang und ein Umdenken. In Sierra Leone gab es, als wir zu arbeiten begonnen haben, überhaupt keine Rechte für Kinder. Erst durch das Gerichtsprogramm und das Zeugenschutzprogramm für Kinder begann man drüber nachzudenken, dass man sie vielleicht schützen muss. Dadurch hat sich eine ganz andere Haltung entwickelt. Es gibt jetzt ein neues Kinderrecht, einen neuen Kinderschutz und drei neue Gesetze, die das Familienrecht regeln.

Die Furche: Und in Ländern, wo Frieden ist?

Winter: Auch da können Kinderrechte ein Anfang sein. In zentralasiatischen Ländern haben wir etwa die Überreste der kommunistischen Organisation von Familien. Damals waren alle Kinder die ganze Zeit über irgendwo untergebracht. Jetzt ist das System anders, das Tagesheim kostet Geld, das niemand hat, und die Kinder sind auf der Straße. Auch hier können Kinderrechte helfen.

Die Furche: Gibt es bei Kinderrechten universale Probleme, die Ihnen in allen Länden begegnen?

Winter: Nein, die Schwierigkeiten bei der Umsetzung sind von der Kultur abhängig. Ein grundlegender Unterschied ist mir aufgefallen, den ich aber nicht beweisen kann: In Ländern, wo es wenige Jugendliche gibt, in Europa zum Beispiel, passt man besser auf sie auf. In afrikanischen Ländern, wo es sehr viele Kinder gibt, ist das einzelne nichts wert. Ich habe mit Kriegsherren über Kindersoldaten gesprochen, die ganz locker sagen: "Wenn heute 200 meiner Kinder umgebracht werden, ist mir das egal. Morgen kann ich 2.000 haben.“ Wenn Familien nicht die Option haben, die Kinderzahl so zu regulieren, dass sie alle erhalten können, sind Kinder nur eine sprachlose, stumme Ware.

Die Furche: Sie wurden als erste Österreicherin für das Kinderrechts-Komitee nominiert. Was reizt Sie daran?

Winter: Das ist ein Gremium, das Weichen stellt. Ich habe viele Jahre in unterschiedlichen Ländern gearbeitet. Dabei stößt man auch an Grenzen: Man kann immer nur so viel tun, wie die Regierung getan haben will. Man kann beraten, aber nicht normieren. Das Komitee kann das schon. Außerdem gibt es das dritte Zusatzprotokoll, das noch Arbeit und vor allem Juristen braucht.

Die Furche: Das Individualbeschwerdeverfahren. Was versprechen Sie sich davon?

Winter: Am Anfang vor allem Schwierigkeiten. Es braucht noch Regelungen zu Schutzmaßnahmen für das Kind, das sich an das Komitee gewandt hat. Es nützt nichts, wenn ein Kind, das in einem Gefängnis gefoltert wird, und sich durch einen glücklichen Zufall an das Komitee wendet, tot ist, bevor das Komitee antworten kann. Und ich nehme an, es wird einige Zeit dauern, bis sich nicht nur gebildete Kinder, sondern auch welche, die wirklich in Gefahr sind, an das Komitee wenden. Dann braucht es den zweiten Mechanismus: das Expressverfahren.

Die Furche: Österreich hat das Zusatzprotokoll unterschrieben, aber nicht ratifiziert.

Winter: Ich hoffe, dass das sehr schnell passiert und spätestens bis zum Frühling abgeschlossen ist. Österreich ist bekannt dafür, dass es sich international für Kinder einsetzt. Es wäre schön, wenn das so bleibt. Aber auch bei uns haben Kinderangelegenheiten in der Politik eben nicht die erste Priorität.

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