"Kinderrechte machen Angst"

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Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Es braucht mehr Mitsprache der Kinder, fordert Monika Pinterits, leitende Kinder- und Jugendanwältin in Wien.

Die Furche: Frau Pinterits, haben Kinderrechte den Stellenwert, den sie haben müssten?

Monika Pinterits: Kinderrechte sind Gott sei Dank ein Thema. Nur gibt es unterschiedliche Interpretationen. Zum Beispiel: Kinder haben zwar ein Recht auf Therapie, aber es muss auch genügend Geld dafür zur Verfügung stehen. Kinder haben das Recht auf Information über das Prozedere, etwa bei Gefährdungen des Kindes. Das passiert aber oft nicht.

Die Furche: Das heißt, in der Umsetzung der Rechte hapert es noch.

Pinterits: Nicht nur. Unsere Forderung, die UN-Kinderrechtskonvention in die Verfassung aufzunehmen, wird wohl nun das dritte Mal ins Regierungsprogramm geschrieben werden. Bisher erfolglos. Ich hoffe, dass es tatsächlich umgesetzt wird. Dann müssten auch sämtliche Gesetze und Verordnungen auf Kinderrechte hin geprüft werden, und bei zukünftigen Gesetzestexten müssten Kinderrechte mitbedacht werden.

Die Furche: Wo ist Österreich gut unterwegs, wo säumig?

Pinterits: Positiv ist etwa die Mobile Jugendarbeit in Wien, da ist Partizipation der Jugendlichen großgeschrieben. Vieles im Argen ist im Schulbereich. Mit unserem selektiven Schulsystem schaffen wir uns die Probleme selber. In unserem Schulsystem verlernen Kinder mit der Zeit, gerne zu lernen. Es braucht Partizipation von Beginn an. Auf der einen Seite sagt man, vor allem bei Gewalt und Missbrauch, Kinder sollen Nein-Sagen lernen; aber Kinder müssen in unserem System viel zu oft Ja sagen, sie werden viel zu wenig gefragt.

Die Furche: Man hat den Eindruck, im Gericht wird nun mehr Rücksicht auf Kinderrechte genommen.

Pinterits: Ja, wir haben es geschafft, den Kinderbeistand für Scheidungskinder einzurichten. Das tut den Kindern gut. Aber ich finde, das ganze Scheidungsrecht gehört hinterfragt. Man müsste mehr mit den Eltern arbeiten, anstatt die Kinder von einem Gutachter zum anderen zu schleppen. Die Kinder sind in einem solchen Loyalitätskonflikt drinnen. Wir müssen immer sagen: Du bist nicht verantwortlich dafür. Es rufen aber oft Leute an, die sich beklagen: Sie reden von Kinderrechten, wo sind denn die Pflichten? Kinderrechte machen also sichtbar Angst. Dabei können sich Kinder nicht aussuchen, wohinein sie geboren werden. Sie müssen vielen Verpflichtungen nachkommen (Kindergarten, Schule) und tun, was Erwachsene sagen.

Die Furche: Wie schaut es mit Kinderrechten in den Familien aus?

Pinterits: Es ist mehr bewusst, dass Gewalt in der Erziehung keinen Platz hat. Dass es auch psychische Gewalt gibt, ist zu wenig bewusst. Ich sage: Gehen Sie mit Ihrem Kind so um, wie man selber behandelt werden möchte oder wie man Freunde behandeln würde. Würde man zu diesen sagen: "Setz dich gerade hin, iss und gib Ruhe!"?

Die Furche: Es gibt nun wieder einen Gegentrend zum partnerschaftlichen Erziehungsstil, der mehr Autorität und Hierarchien einmahnt.

Pinterits: Natürlich ist es wichtig, Grenzen zu setzen, aber man soll erklären, warum, so wie wir Erwachsene das auch tun. Es ist schwierig, wenn ein Baby weint und man weiß nicht, warum; oder wenn ein Kleinkind sich auf den Boden wirft und man ist im Stress. Eltern kommen da an Grenzen. Es hat keiner gelernt, wie man mit Kindern umgeht. Es ist wichtig, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Aber es gibt diesen Druck, Eltern-Sein müsse man einfach können. Das ist Unsinn. Die Gesellschaft wird immer komplexer, Werte relativer, daher wundert es mich nicht, dass das Pendel wieder in die andere Richtung, hin zu mehr Hierarchien und Autorität, ausschlägt. Aber eine partnerschaftliche Erziehung ist doch keine Laissez-faire-Erziehung.

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