Die RTL-Realityshow "Erwachsen auf Probe" sorgt für Aufregung. Wie können Jugendliche und werdende Eltern auf ein Leben mit Kindern vorbereitet werden?
Kaum eine Sendung der jüngsten Zeit hatte für solche Empörung gesorgt. Auch nach der ersten Ausstrahlung der Reality-Show "Erwachsen auf Probe" bleiben Gegner, vor allem aus dem Bereich Kinder- und Jugendarbeit, bei ihrer Kritik: Die Sendung missbrauche Kinder für Quoten und gefährde die Bindung zu ihren Bezugspersonen.
In der Show sollen vier Teenager-Pärchen mit vagem Kinderwunsch lernen, wie quasi der Ernst des Lebens mit Kind und Job ausschaut. Zuerst dürfen sie mit Puppen üben (siehe unten), dann kommen aber Kinder zum Einsatz. Zunächst Kleinkinder, dann Schulkinder zuletzt Pubertierende, also fast Gleichaltrige. Vor allem die Kleinkinder sehen Experten in Gefahr: Sie würden unerfahrenen Jugendlichen anvertraut, Angst und Panik ausgesetzt, die Bindung zu den Bezugspersonen könnte leiden.
Gerichte wurden angestrengt, die Sendung zu stoppen - vergeblich, war sie doch schon abgedreht, so die lapidare Begründung der Richter. Deutsche Familienminister fordern nun, eine Gesetzeslücke zu schließen und solche Sendungen, die Kleinkinder einbeziehen, zu verbieten, außer das Jugendamt stimmt zu. Auch in Österreich gingen die Wogen hoch: Das Netzwerk Kinderrechte oder der Katholische Familienverband kritisieren, dass "Kinderrechte mit Füßen getreten" würden. Die Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits bringt die Kritik ihrer Fachkollegen gegenüber der FURCHE auf den Punkt: "Es ist ein katastrophales Zeichen, Kinder herzuleasen wie ein Auto. Kinder in diesem Alter und ihre Eltern haben wichtige Bindungsarbeit zu leisten." Man habe auch in der Sendung gesehen, dass die Kinder keinen Blickkontakt zu den sie betreuenden Teenagern aufgenommen hätten. Die meiste Zeit hätten sie nur geschrien. Das bedenkliche Signal nach Pinterits: "Kinder sind eh nur lästig und schreien. Alle Beteiligte sind im Ausnahmezustand, das ist ein Plastikzustand." Und Jugendliche, die die Show anschauen, würden auch nur eines lernen: einen Plastikzustand, aber nicht die Realität mit Kindern, die eine Beziehung bedeutet.
"Plastikzustand"
Der Sender wehrte sich schon im Vorfeld: Die Eltern hätten immer die Möglichkeit gehabt, einzugreifen und abzubrechen, zudem hätten sie die Teenager ständig über Videokamera beobachten können und eine Erzieherin schaute immer zu, wie die Jugendlichen die schreienden Babys wickelten, fütterten und dergleichen. Zudem: auch in wirklichen Leben würden Kinder fremdbetreut.
Experten lassen das nicht gelten: Die Kinder wüssten ja nichts von der Dauerbereitschaft der Eltern, zudem es sei keine reale Situation. Das familiäre Netzwerk würde zudem ausgeklammert. Beziehungsaufbau finde keiner statt. Auch der Kinder und Jugendpsychiater Klaus Vavrik sieht keinen Lerneffekt. Im Gegenteil, es seien "pseudopädagogische Begründungen des Senders", sagt er: "Wenn hier Kinder nur eingesetzt werden des Voyeurismus wegen, dann ist das eine Form von Kindesmissbrauch, es wird am Kind ein fremdes Bedürfnis befriedigt."
Manche weisen aber darauf hin, dass durch solche Formate womöglich Gruppen erreicht werden können, die durch herkömmliche Elternschulungsprogramme nicht erreicht würden. Pinterits lässt auch dieses Argument nicht gelten: "Wer Jugendliche erreichen will, der erreicht sie."
Aber wie am besten? Durch niederschwellige Angebote, bei denen Jugendliche respektvoll unterstützt würden, ihre eigenen Ressourcen zu entwickeln, meint Pinterits. Die Jugendliche in der RTL-Show müssten zuerst ihre eigene Geschichte bearbeiten.
Aber wie sinnvoll ist der Einsatz von Babysimulatoren, eines verpflichtenden "Elternführerscheins" bis hin zum Einsatz der "Supernanny" im Fernsehen? Einhellig ist die Ablehnung der Reality Show, vielfältig aber der Rat für Elternschulung.
Eva-Maria Scholz wurde selbst mit 20 Jahren Mutter, vor vier Jahren. Sie war zwar keine wirkliche Teenager-Mutter, auf Unverständnis außerhalb der Familie ist sie dennoch gestoßen. Sie ging, wie sie selbst sagt, selbstbewusst an die Sache ran und vertraute ihrem Gefühl und dem Prinzip "learning by doing". Als ihre Tochter zur Welt kam, war die junge Schauspielerin keine Anfängerin in Sachen Babys mehr: Sie hat eine jüngere Schwester, die sie gerne bemutterte. Auch als Babysitterin hatte sie Erfahrung.
Auch wenn die Familie oft nicht mehr als Baby-Schule herhalten kann, Babysitter werden gesucht. Auch Experten sehen darin eine gute Möglichkeit für junge Mädchen und Burschen, den Umgang mit Kindern zu lernen.
Praktika mit Kindern
Klaus Vavrik rät zudem, dass Jugendliche Praktika in Kinderdörfern oder Pflegefamilien machen könnten. So könnten Beziehungen aufgebaut und nach und nach Verantwortung übernommen werden.
Eva-Maria Scholz hat auch Unterstützung vom Projekt "Young Mum" im Wiener Krankenhaus Göttlicher Heiland erhalten, das jungen werdenden Eltern medizinische und psychosoziale Unterstützung anbietet. Die Einrichtung bekomme keine staatliche Förderung, ärgert sich die Gründerin, Leiterin und Hebamme Uschi Reim-Hofer. Das Projekt ist teils auf Spenden angewiesen, etwa durch Benefizkonzerte wie durch die "Musical Mamis", bei denen Scholz mitmacht. Die Gesellschaft und die Politik würden junge schwangere Frauen im Stich lassen, zudem als "überforderte Problemfälle" schubladisieren, beklagt Reim-Hofer. "Wichtig ist, dass man aus diesem Thema die Angst und Klischees herausnimmt." Das sei auch das Anliegen der Mädchen, die sie betreut. Jungmama Scholz kann dem nur beipflichten: Auch junge Mütter können Verantwortung übernehmen: "Sie sollten sich trauen, stark zu sein, sich auf ihr Gefühl verlassen, dass sie das Richtige tun und auch Hilfe holen, bevor sie überfordert sind." Reim-Hofer regt auch an, dass Eltern in Präventionsprojekten stärker einbezogen werden müssten.
Immer wieder in Diskussion sind verpflichtende Maßnahmen, um Elternkompetenzen zu schulen. Stichwort: Elternführerschein. Manche stoßen sich an der Verpflichtung für alle, andere am Ausdruck: Die Lebens- und Sozialberaterin Maria Neuberger-Schmidt bietet in ihrer "Elternwerkstatt" Seminare für Eltern unter dem Titel "ABC-Elternführerschein" an. "Zwangsbeglückung für alle" lehnt sie aber ab.
Die Wiener Familienberaterin Sandra Velásquez könnte sich vorstellen, entwicklungspsychologische Information in den Mutter-Kind-Pass zu integrieren. Sie war früher eine der Supernannys auf ATV. Einige Experten stehen auch diesem Format skeptisch gegenüber und kritisieren die Bloßstellung Beteiligter. Velásquez gesteht, dass es ein Grenzgang war, betont aber, dass Lösungen für die Familien erarbeitet worden seien und sorgsam vorgegangen worden sei, etwa "gewaltsame Szenen" nicht gezeigt worden seien.
Sie plädiert vor allem dafür, dass sich (werdende) Eltern zunächst vor allem mit sich selbst, mit ihren Werten und ihrem Menschenbild auseinandersetzen, bevor sie Praktisches lernen. Eltern-Sein beruhe auf drei Säulen: der Liebe, der Selbsterkenntnis und dann auf Techniken, die man lernen könne: "Wenn man nur Ratgeberliteratur lesen und Techniken lernen würde, wäre das, wie wenn man Tanzen aus einem Buch lernt, ohne ein Gespür für den Rhythmus zu haben."
Ähnlich, kommt einem vor, "tanzen" die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der RTL-Show.
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