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„Ein Gefühl im Hier und Jetzt“

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Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch über Vertrauen in den ersten Lebensjahren und die Notwendigkeit staatlich finanzierter Krippenplätze.

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Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch über Vertrauen in den ersten Lebensjahren und die Notwendigkeit staatlich finanzierter Krippenplätze.

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Der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch ist Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für „Early Life Care“ und leitet das gleichnamige Forschungsinstitut in Salzburg. Ein Gespräch über Bindung, Beziehung und Sicherheit – und die Notwendigkeit, in Österreich entwicklungsförderliche Kinderkrippen zu etablieren.

DIE FURCHE: Herr Brisch, wann fühlt sich ein Mensch geborgen?
Karl Heinz Brisch: Wenn er sich emotional sicher fühlt. Geborgenheit geht einher mit einer stabilen Bindung.

DIE FURCHE: Gilt diese Definition für Kinder und Erwachsene gleichermaßen?
Brisch: Ja und nein. Ein Erwachsener braucht, wie ein Kind, Bezugspersonen, bei denen er Schutz suchen kann, wenn er unsicher ist oder Angst hat. Allein durch die Imagination der Person kann innerlich ein Gefühl von Geborgenheit aufkommen. Bei Kindern geht das nur live. Bis ins Grundschulalter sind sie darauf angewiesen, dass die Bindungsperson auch real anwesend ist, um sie in angstvollen Situationen zu beruhigen.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielt Geborgenheit für unsere Entwicklung?
Brisch: Aus Sicht eines Kinderpsychiaters und Psychotherapeuten spielt sie die wichtigste. Geborgenheit schafft Urvertrauen. Das brauche ich vor allem, wenn mir Negatives widerfährt. Jobverlust, Scheidung, ein schwerer Schicksalsschlag – die einen stehen danach wieder auf, andere zerbrechen daran. Zu welcher Gruppe wir gehören, hängt damit zusammen, wie viel Schutz und emotionale Sicherheit wir in der Kindheit erfahren haben.

DIE FURCHE: Urvertrauen versus Geborgenheit. Worin liegt der Unterschied?
Brisch: Geborgenheit ist ein Gefühl im Hier und Jetzt und wird verinnerlicht. Da geht es viel um Erinnerung. Wir erinnern uns daran, wie wir mit der Mama auf der Couch ein Bilderbuch angeschaut haben, an ihren Geruch, an die Stimmung. Wir erinnern uns an die Beruhigung, die wir erfahren haben, bevor wir mit einem uns vertrauten Schlaflied in den Schlaf gefunden haben. Urvertrauen ist ein tiefes Fundamentgefühl. Es macht den Unterschied, ob jemand resilient ist, oder nicht. Das ist wie bei einem Haus. Ein Gebäude braucht ein stabiles Fundament, das allen Widrigkeiten standhält. Selbst wenn der obere Teil wegbricht, gibt es eine Basis, auf der man aufbauen kann.

DIE FURCHE: Sie bezeichnen Schutz und Sicherheit in der Kindheit als Garanten für eine gesunde Entwicklung. Wer kann oder muss das gewährleisten?
Brisch: Die bevorzugte Bezugsperson des Kindes. In erster Linie denke ich dabei an Mutter und / oder Vater. Denkbar ist auch eine dritte Person, die emotional verfügbar ist.

DIE FURCHE: Also auch die Oma, der Onkel oder die Pädagogen in der Kinderkrippe?
Brisch: Die Person muss sich auf die Beziehung zum Kind einlassen können, besonders wenn das Kind Angst hat, Schmerzen erleidet und Sicherheit sucht. Für eine individuelle emotionale Versorgung fehlen in Kinderkrippen meist die Ressourcen.

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