Das Drama der begabten Eltern

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Immer mehr Eltern investieren alles in die Bildung ihrer Kinder. Die Förderung beginnt immer früher. Doch es formiert sich eine Gegenströmung zum „Förderwahn“: Die Zurück-in-den-Wald-Bewegung.

Ab Herbst wird das Angebot für sprachinteressierte Eltern größer: Der erste chinesisch-deutsche Kindergarten wird in Wien Meidling eröffnet. „Chinesisch spielt eine immer wichtigere Rolle“, ist Karl Berger, der organisatorische Leiter des Kindergartens „Meidlinger Sonnenblume“, sicher. Ebenso sicher ist Berger, dass die rund 65 Plätze nicht nur mit Kindern aus der chinesisch sprechenden Community gefüllt werden, sondern auch mit jenen von hier geborenen Österreichern, denen die Zweisprachigkeit maximal 330 Euro im Monat Wert sein wird. Der neue private Kindergarten wird nicht nur auf frühe Sprachförderung setzen, sondern auch auf Tanz, Musik und bildnerische Künste – alles unterrichtet von Profis mit chinesischer Muttersprache.

Zusatzangebote gehören für private Kindergärten schon seit jeher zur Marke – aber seit jüngster Zeit nehmen zusätzliche Förderangebote noch mehr zu, bestätigt Renate Gschlad vom Dachverband der Wiener Privatkindergärten und Horte. „Viele Kinder können zwar nicht gescheit Deutsch, aber Englisch sollen sie können“, sagt sie kritisch. Kindergartenpädagoginnen würden ohnehin von ihrer Ausbildung her alle Fertigkeiten mitbringen, um mit den Kindern ganzheitlich zu arbeiten.

Doch viele Eltern wollen mehr für ihre Kinder – und das immer früher. Das zeigt sich nicht nur am guten Zulauf bilingualer Kindergärten, sondern auch an steigenden Zahlen in Privatschulen, wie etwa an der privaten Volksschule Judenplatz im ersten Wiener Bezirk. „Wir könnten doppelt so viele Kinder aufnehmen“, sagt die Direktorin der katholischen Schule, Sigrid Schwall. In den zehn Jahren, in denen sie die Schule leitet, seien die Zahlen der Schüler laufend gestiegen. Zurzeit besuchen 250 Kinder die Schule.

Hohes Leistungsniveau

Die Schule bietet nicht nur ein Halbinternat – Lehrerinnen stehen am Nachmittag als Tutorinnen bereit –, sondern auch diverse Zusatzangebote. Alle Pädagoginnen an der Schule haben ein Diplom in Begabtenförderung, das sie am Thomasianum, dem Institut für Begabtenförderung der Erzdiözese Wien, erworben haben. Die Schule kennzeichnet laut Direktorin ein „sehr hohes Leistungsniveau und ein straffer Ordnungsrahmen. Die Kinder müssen viel leisten und wollen das auch.“ Umso mehr die Eltern, die vielfach aus höheren Schichten kommen, aber nicht nur, wie Schwall betont. „Die Eltern sind sehr bestrebt, dass aus ihren Kindern viel wird.“ Und die Kinder machen mit: „Die Kinder sind gut erzogen, begabt und lernwillig.“ Es gebe kein verhaltensauffälliges Kind an der Schule – und keine Kinder mit türkischem oder ex-jugoslawischem Migrationshintergrund. Doch Schwall betont: Sie müsse und wolle niemanden ausgrenzen, diese Familien kämen von sich aus nicht an diese Schule.

Manche Eltern müssten auch eingebremst werden. Wie etwa Eltern, die ihre Kinder früher einschulen wollen. „Diese werden zwar nicht mehr, aber vehementer“, sagt die Leiterin der Wiener Schulpsychologie, Mathilde Zeman. Schulreife sei ein komplexes Thema, es sei mehr als nur kognitive Reife. Manche Eltern würden aber fürchten, ihr Kind sei in der Schule unterfordert, weil es doch schon lesen und schreiben könne. Auch Direktorin Schwall muss den elterlichen Ehrgeiz manchmal moderieren: „Wir sagen den Eltern, bitte nehmen Sie maximal zwei unverbindliche Zusatzkurse für Ihr Kind.“ Auf die „Elite“-Schule bereitet ein Kindergarten vor. Englisch mit Native Speakern ist dort Normalität. Das findet Schwall auch wichtig. Dennoch mahnt sie vor einem zu viel an Förderung: „Irgendwann müssen Kinder auch mal Kind sein dürfen.“

„Zeit, Zeit, Zeit“

Genau diesen Aufruf hört man in jüngster Zeit immer öfter. So schrieb Alex Rühle kürzlich in der Süddeutschen gegen den Überehrgeiz und Förderwahn so mancher Eltern an: „Hier mal drei Erziehungsratschläge aus acht Jahren Elternschaft: Zeit. Zeit. Zeit. Zu füllen ist diese Zeit mit Nichtstun, Vorlesen, Zuhören. Oder einem Spaziergang am langen, ruhigen Fluss des Lebens – am besten ohne die Kinder. Die spielen nämlich gerade irgendwo, weit dahinten, am Flaucher.“ Auch die deutsche Wochenzeitung Die Zeit hatte im Sommer vergangenen Jahres einen ähnlichen Tenor angeschlagen, als sie titelte: „Ich will doch nur spielen“. Auch hier die Schlusspointe: „Irgendwie scheinen wir Erwachsenen eine ziemlich simple Sache vergessen zu haben: Kinder wollen doch nur spielen. Vielleicht sollten wir sie zur Abwechslung einfach mal lassen. Und, wenn es sein muss, selber zum Therapeuten gehen.“ Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo (Interview) appelliert ebenso an die Eltern, mehr Zeit für die Sprösslinge aufzuwenden, anstatt im Förderstress unterzugehen. Doch den Ehrgeiz der Eltern sehen längst nicht alle so kritisch – im Gegenteil. „Ich glaube, dass gerade der Ehrgeiz der Eltern etwas ist, was die Schule dringend benötigt“, sagt Kurt Scholz, der ehemalige Stadtschulrat Wiens. Für mittlere bis untere Schichten sei der Ehrgeiz der Eltern oft der einzige Mechanismus, dass die Kinder überhaupt in höhere Schullaufbahnen kommen. „Das von vornherein als Überehrgeiz zu diskreditieren, erscheint mir sehr problematisch“, sagt Scholz. Intensive Begabtenförderung bis hin zu Drill könne gut gehen, verweist Scholz auf Beispiele bekannter Musikerkarrieren. Aber man müsse vorsichtig abwägen. „Kinder können relativ lange gefordert werden. Wenn man nur darauf achtet, was ihnen Spass macht, dann verkommen sie unter Umständen vor dem Fernsehschirm. Ich bin der Letzte, der sagt, die Kinder gehören militärisch gedrillt, nein, aber von Kindern muss man auch etwas fordern, das über Videospiele hinausgeht.“

Nicht nur, was Spaß macht

Claudia Resch, Expertin am Österreichischen Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung, meint wiederum, es gebe keine allgemein gültige Regel, ob freies Spiel im Baumhaus oder ein Geigenkurs nach der Schule die bessere Förderung bedeute. „Die Bedürfnisse des Kindes sind immer der Maßstab“, sagt sie. Es gebe Kinder, die lieber selbstständig lernen, andere lieber angeleitet.

Zurück bleiben oft ratlose Eltern, die versuchen, ihre Kinder für eine komplexe Welt und den Wettbewerb am Arbeitsmarkt zu rüsten. Meist kennen sie die Appelle, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, als sie vom Geigenkurs zum Französisch zu chauffieren, ebenso kennen sie jene von Hirnforschern wie Manfred Spitzer, dass freies Spiel im Wald lehrreicher sei als ein teurer Kurs. Doch ebenso wissen sie auch, dass sie selbst im Beruf nur bestehen, wenn sie sich ständig weiterbilden, zig Praktika vorweisen können und sich reinbeißen.

Es sind vorwiegend die Ängste der Eltern, die zum Förderwahn treiben, wie auch Largo betont. Eltern seien stark von ihren eigenen Schulerfahrungen geprägt, sagen Experten. Dabei war bei vielen eine Erfahrung am prägendsten: dass ihre Schulbildung nicht ausreichte. – Nun wollen sie es anders machen.

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