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Wie hilft man Legasthenikern?

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Was ist Legasthenie? Eine Art Schutzbrief, um möglichst ungeschoren durch die Schule zu kommen? Ein besser klingendes Wort für „Deutschnachhilfe"? Worum geht es dabei?

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Was ist Legasthenie? Eine Art Schutzbrief, um möglichst ungeschoren durch die Schule zu kommen? Ein besser klingendes Wort für „Deutschnachhilfe"? Worum geht es dabei?

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Legasthenie gibt es wirklich, und sie ist immer ein ernst zu nehmendes Problem. Der Psychologe und Fachbuchautor Franz Sedlak sieht darin das Resultat verschiedener kleiner Teilleistungsschwächen, die zu einer Störung führen. Wird nichts dagegen unternommen, so kann sich dieses Problem negativ auf die kindliche Persönlichkeit und auf das Intelligenzniveau auswirken.

Grundsätzlich muß man unterscheiden zwischen akustischen und optischen Differenzierungs-

schwächen. Bei der akustischen Differenzierungsschwäche wird ein richtig gehörtes Wort falsch geschrieben, Buchstaben werden ausgelassen oder verdreht; dies geht hin bis zum sogenannten „Buchstabensalat". Ein Kind mit optischer Differenzierungsschwäche hat die Schwierigkeit, aufgenommene optische Eindrücke umzusetzen. Es kann zwar Buchstaben mühsam entziffern, ein zusammenhängendes Lesen gelingt jedoch nicht.

Heute kann man bereits im Vorschulalter „legasthene Tendenzen" erkennen und dementspre-chende Maßnahmen setzen. Häufig sind Linkshänder davon betroffen, Konzentrationsschwächen und Probleme bei der Koor-

dination von Auge und Hand können Hinweise sein. Wenn Sie bereits vor Schuleintritt solche Tendenzen bei Ihrem Kind bemerken, sollten Sie sich mit der Kindergärtnerin ins Einvernehmen setzen. Übungen, die Auge und Ohr trainieren, sind oft sehr hilfreich.

Franz Sedlak empfiehlt auch in seinem Buch „Fördern macht Freude", dem Kind spielerisch über seine Schwächen hinwegzuhelfen. Das Decken des Mittagstisches, Sortieren von Gegenständen nach Größe und Stärke, Memoryspiele, Puzzles, aber auch das Achten auf verschiedene Geräusche schulen Konzentration, Auge und Ohr.

In der Schule erkennt man legasthene Kinder meist an ihren Diktaten. Sie strotzen vor Fehlern, obwohl die Noten in den anderen Fächern gut sind. Früher wurden solche Kinder manchmal zu Unrecht für dumm und faul gehalten und damit zum Außenseiter gestempelt. \

Die Experten bestätigen, daß Lehrer heute eine spezielle Ausbildung genießen, die sie für die Teilleistungsschwächen sensibler macht. Durch den höheren Wissensstand über die Ursachen und Möglichkeiten wird kaum ein Kind mehr für dumm gehalten oder schlechter benotet.

In den meisten Volksschulen gibt es schulinterne Legastheni-

kerkurse. Mit Hilfe von Fachkräften soll der Schüler zu größerer Wortkenntnis und Sprachgewandtheit geführt werden. Aber auch die Hilfe und Förderung der Eltern sind wesentlich. Vermeiden Sie allerdings alles, was nach sturen Übungen oder nach Drill aussieht! Wichtig ist, daß Ihr Kind freiwillig und gerne mitmacht; mehr lernen heißt nicht unbedingt besser lernen.

Wirksam sind bekannte Familienspiele, wie Dame, Schach, Mühle, aber auch Wortpuzzles. Sehr günstig für die Teilleistungsschwächen wirken sich folgende Übungen aus: - Welche Buchstaben brauche ich, um ein bestimmtes Wort zu bilden? Wieviele „E" sind in einem Wort enthalten? Welche Worte finde ich in einem zusammengesetzten Wort? Lassen Sie Ihr Kind z. B. eine bestimmte Telefonnummer heraussuchen, den Weg zum nächsten Bäcker beschreiben oder das Fernsehprogfamm eines Nachmittags auswendig sagen.

Fördern, nicht überfordern

Je eher Sie die Schwächen Ihres Kindes erkennen, desto größer ist auch der Erfolg mit den Förderungsmöglichkeiten. Franz Sedlak betont, daß das Kind Anleitungen und Impulse braucht: „Das selbständige Weiterkom-

men sollte das Ziel der Hilfe sein. Der Schüler bekommt nicht eine Therapie, ohne selbst etwas zu tun, sondern er muß lernen, das Lernen als seine eigene Angelegenheit zu betrachten."

Grundsätzlich soll man Leistung fordern, aber nicht überfordern. Zu hoch gestellte Erwartungen der Eltern lassen viele Kinder zu Außenseitern werden, Verunsicherung, Aggressionen, Lernunlust und Leistungsabfall in den anderen Fächern sind die Folge. Auch die Mediziner berichten davon, daß Uberforderung negative Auswirkungen haben kann. Oft klagen diese Kinder über Kopfschmerzen, Bauchweh und Bettnässen, obwohl sie organisch völlig gesund sind. Im Gespräch mit dem Arzt stellt sich dann heraus, daß diese Kinder einfach überfordert sind. Der Leistungsdruck und die hohen Anforderungen sollten in diesem Fall unbedingt zurückgenommen werden, die psychische Belastung ist sonst zu groß.

Wenn trotz intensiven Bemühens ein Volksschüler am Ende der ersten Klasse die Zuordnung von Buchstabe und Laut nicht beherrscht, hat ein Aufsteigen in die zweite Klasse wenig Sinn. Das gleiche gilt auch, wenn in der AHS noch immer Schwächen auftreten. Neue Gegenstände, vor allem Fremdsprachen bringen neue Probleme mit sich. In diesem Fall

sollte man das Kind keinesfalls weiter überfordern, sondern Mut zu einer konstruktiveren Lösung — Schulwechsel — aufbringen.

Legasthenie ist ein sehr komplexes Problem und kann verschiedene Ursachen haben. Fachleute sprechen von angeborenen Schwächen, einer leichtgradigen frühkindlichen Hirnschädigung; aber auch Linkshändigkeit, zu geringe Anregung im Kleinkindalter werden als Ursachen angesehen. Immer sollten Sie gemeinsam mit dem Klassenlehrer (Kindergärtnerin) die möglichen Ursachen ergründen, da Legasthenie oft ein individuelles Problem ist.

Verschiedene Faktoren sollten einbezogen werden. Zum Beispiel: Schläft das Kind genug? Hat es genügend körperlichen Ausgleich? Liest es gerne? Wie ist die Lernatmosphäre? Wie sind die Sprache und der Ausdruck in der Familie? (Wird viel im Dialekt gesprochen?) Rat und Hilfe erhalten Sie bei den jeweils zuständigen schulpsychologischen Beratungsdiensten.

Durch die heutigen Fördermöglichkeiten kann vielen legasthe-nen Kindern geholfen werden — rechtzeitige Hilfe, auch von Seiten der Eltern, kann schulischen Kummer ersparen. Wenn Sie Ihrem Kind wirklich helfen wollen, so stecken Sie Ihren eigenen Ehrgeiz zurück, „Fördern" ist für Franz Sedlak „ein Begleiten des Kindes auf seinem Weg. Das ist weder ein Mitzerren, noch ein Danebenstehen und Warten, bis das Kind stolpert."

Ihr Vertrauen und anspornendes Lob ist ein wesentlicher Faktor bei der Behebung der Teilleistungsschwächen Ihres Kindes!

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