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TV-"Super Nannys" wollen überforderten Eltern Hilfe bieten - und rufen Kinderschützer auf den Plan. Indes dreht ATV+ schon die nächste Staffel des quotenhebenden Formats.

Alex ist erst sieben Jahre alt - und schon berühmt: Tausende Menschen haben zugesehen, wie er fluchend durch die Wohnung tobte, wie er seine Mutter herumkommandierte und sich mit einem Teller Spaghetti vor dem Fernseher verbarrikadierte. Rund 85.000 haben Alex' Eskalationen Mitte März in "Die Super Nannys" auf atv+ mitverfolgt - und auch die Ohnmacht seiner Mutter erlebt: "Das Kind gehört ins Heim", gestand die von Asthma-Anfällen Geplagte vor der Kamera, "sonst halt' ich das mit den Nerven nicht mehr aus."

Wurde hier - und in den fünf folgenden, bis Ende April ausgestrahlten Sendungen - der Voyeurismus des Fernsehpublikums auf Kosten einer Familie bedient? Nein, meint atv+: "Wir haben von allen Familien ein gutes Feedback erhalten", heißt es beim österreichischen Privatsender. Auch Alex' Vater bewertet den tv-Ausflug seiner Familie eher positiv: "Es hat sich zu zwei Dritteln zum Guten entwickelt", meinte er bei einer Podiumsdiskussion des wienXtra-Instituts für Freizeitpädagogik in Wien.

"Hör mir zu!"

Auf den ersten Blick scheint sich der Einsatz von "Super Nanny" Sabine Edinger also gelohnt zu haben. Einen Tag lang beobachtete die 37-jährige Sozialpädagogin und zweifache Mutter die problematischen Dynamiken innerhalb der fünfköpfigen Wiener Familie, brandmarkte nicht altersgerechte Computerspiele und ortete beim vermeintlichen "Monsterkind" zu wenig räumliche Rückzugsmöglichkeiten und Unterforderung.

Nach dieser Diagnose ging es an die Therapie: Edinger packte eine Reihe von Schildern aus: "Hör mir zu", war auf einem zu lesen, "Zeig mir, dass du mich lieb hast", auf einem anderen. Dazu kam ein Tagesplan und ein Plüsch-Igel samt Sanduhr, um beim nächsten Wutanfall zur Besinnung zu kommen.

Eine Woche verbrachte die Profi-Erzieherin bei der Familie, um die neuen pädagogischen Umgangsformen zu trainieren; eine weitere Woche blieben Alex und die Seinen (mit Kamerateam) auf sich gestellt. Schließlich machte die "Super Nanny" noch einen Kontrollbesuch und hinterließ eine Mappe mit Tipps, bevor sie sich verabschiedete - und die Mutter Tränen der Freude vergoss.

So groß die nachträgliche Zufriedenheit der Eltern (und des Senders) ist: Pädagogen und Kinderschützer schlagen Alarm. Bereits im Oktober des Vorjahres - kurz nach Ausstrahlung der ersten Folge der deutschen "Die Super Nanny" auf rtl und vor Start ähnlicher Formate wie "Super Mamas" (rtl ii) und "Fit for Kids" (pro 7) - veröffentlichte der Deutsche Kinderschutzbund eine Stellungnahme, in der er die "entwürdigende Darstellung der Familien" und die Form der Intervention durch die Fernseh-Erzieherinnen kritisierte. Im April dieses Jahres, nach dem Einsatz der österreichischen "Super Nannys" Sabine Edinger und Sandra Velasquez auf atv+, folgte die Stellungnahme ihrer österreichischen Kollegen: "Zugunsten der Einschaltquote und unter dem Deckmantel der Erziehungshilfe' werden Kinderrechte massiv verletzt", heißt es in der Aussendung von Österreichs Kinder- und Jugendanwälten.

Der Wiener Rechtsanwalt Herbert Pochieser hat ganz konkrete Bedenken: "Ein Kind hat ein Recht am eigenen Bild", erklärt er. Es müsste gefragt werden, ob es diesen Eingriff in die Privatsphäre erlaube. "Weil es zwischen den Interessen des Kindes und jenen der Eltern bei den "Super Nannys" einen Konflikt gibt, müsste eigentlich vom Gericht ein Kollisionskurator eingesetzt werden", betont Pochieser. Schließlich könne eine solche Sendung das Kind in seiner Umwelt lange stigmatisieren.

Wie weit die Demütigung reicht, ist je nach Sende-Format unterschiedlich. So war es etwa bei rtl-"Super Nanny" Katharina Saalfrank üblich, ungezogene Kinder wiederholt auf die "stille Treppe" oder ins "stille Zimmer" zu verbannen. "Natürlich brauchen Kinder Grenzen", erklärte die Kinderpsychologin Brigitte Cizek jüngst im Rahmen eines "Jour Fixe" des Österreichischen Instituts für Familienforschung. "Aber wenn man sie siebenmal ins stille Zimmer schickt, wird ihnen der Wille gebrochen."

Die österreichischen "Super Nannys" würden sich um einen weniger autoritären Erziehungsstil bemühen, konzediert Cizek. Das Zurschaustellen eines "Problemkindes" und die Verletzung des kindlichen Persönlichkeitsrechts aber bleiben - ebenso die Tatsache, dass die Nannys die Eltern nicht dort abholen würden, wo sie stehen, sondern Ratschläge geben, ohne die Ursachen der Verhaltensauffälligkeit zu kennen. "Kinder sind ja oft Symptomträger für die Konflikte der Eltern", erklärt Cizek. "Wenn man nur bei den Kindern ansetzt, kann sich das Symptom verschieben: Dann wird das Kind nicht mehr kratzen, sondern vielleicht Bettnässen."

Kind als Symptomträger

Indes verteidigt "Super Nanny" Sandra Velasquez, 39-jährige Psychologin und Mutter zweier Töchter, ihre Einsätze: "Wir bekommen ein sehr umfassendes Bild von der Familie", erklärt sie gegenüber der furche. "Außerdem sind das Familien, die sich sonst nie an eine Beratung gewandt hätten." Auf Wunsch sei sogar eine Nachbetreuung durch Beratungseinrichtungen gesichert.

Dass die Persönlichkeitsrechte der Kinder verletzt werden, weist die zuständige Redakteurin Sabine Oberzaucher zurück: "Wir sehen uns beim Casting sehr genau an, ob das Filmen für das Kind ein Problem ist. Wenn es Abwehrreaktionen gibt, dann kommt diese Familie für uns nicht in Frage." Nur eine von zehn gemeldeten Familien (bisher zwischen 50 und 100!) würde das strenge Auswahlverfahren bestehen. Honorar gebe es übrigens keines - "nur eine Aufwandsentschädigung".

Die "weit über Senderschnitt" liegenden Quoten sind für die Redakteurin indes "ein schönes Zeichen dafür, dass sich eine breite Seherschicht dem Thema Erziehung gegenüber öffnet." Zumindest in diesem Punkt stimmt die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits - die das "voyeuristische Element" der "Super Nannys" scharf kritisiert - der Redakteurin zu. Unter den jungen Eltern herrsche viel Unsicherheit, weiß sie. "Mit Kindern umzugehen, hat eben keiner gelernt." Außerdem hätten viele in ihrer eigenen Kindheit kaum Ressourcen mitbekommen, die sie an ihre eigenen Kinder weitergeben könnten. "Unsicherheit gibt es vor allem, wenn es um Grenzen geht", ergänzt Eveline Brehm vom Wiener Jugendamt (mag elf). "Viele Eltern fragen uns: Darf ich meinem Kind sagen: Nein?" Eingeschüchtert von der vielfältigen Erziehungsliteratur gehe bei vielen Eltern das Gespür für das richtige Maß an Strenge verloren.

Bekenntnisse im Internet

Martina Leibovici-Mühlberger kann von der Ratlosigkeit vieler Eltern ein Lied singen: "Ich bekomme so viele Mails, dass ich oft bis drei Uhr Früh dabeisitze", erzählt die Erziehungsberaterin und Psychotherapeutin, die sich als Gründerin der arge Erziehungsberatung und Krone-Kolumnistin nicht über mangelnde Arbeit beklagen kann. Das Internet leiste in Erziehungfragen besonders wertvolle Dienste, ist sie überzeugt - schließlich sei es so "niederschwellig", dass auch Menschen ihre Probleme äußern, die sich kaum zur Beratung wagen würden: "Manchmal schreiben mir Leute: Ich liebe meine Kinder, aber trotzdem passiert es mir, dass ich sie zweimal in der Woche verprügle", erzählt Leibovici-Mühlberger.

Weithin bekannt wurde sie nicht zuletzt als orf-"Nanny", die bei Barbara Stöckls "help-tv" Erziehungsprobleme thematisierte - und ebenfalls unter Kamerabegleitung Familien besuchte. "Ich möchte mich aber ganz deutlich von dem abgrenzen, was auf rtl und atv geschieht", betont sie gegenüber der furche. "Ich bin nicht die Nanny, die wie Rambo in den Familien aufräumt." Es sei in den Sechs-Minuten-Filmen mit anschließender Studiodiskussion vielmehr darum gegangen, grundsätzliche Erziehungsprobleme - etwa Patchworkfamilien oder Essverweigerung - zu thematisieren. Eine Aufgabe mit Ablaufdatum: Ab Herbst wird sie wahrscheinlich nicht mehr als orf-"Nanny" im Einsatz sein.

Ganz anders die Planung beim privaten Konkurrenten: Ab September lässt atv+ die zweite Staffel von "Super Nannys" mit zehn neuen Folgen über den Bildschirm flimmern. Zuvor sind als "Appetizer" einige Sendungen "Super Nanny danach" geplant. Hier wird man exklusiv erfahren, ob Alex weiter durch die Wohnung tobt und die Spaghetti vor dem Fernseher verschlingt. Oder doch mit Mama am Küchentisch.

Nähere Infos unter

www.fitforkids.at, www.eltern-bildung.at

BUCHTIPP:

LEXIKON DER ERZIEHUNGSIRRTÜMER

Von Autorität bis Zähneputzen

Von Andrea Bischhoff. Eichborn 2005

448 S., geb., e 25,60

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