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Digital In Arbeit

Mit dem Baby im Hörsaal

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Lernen in der Nacht, Betreuung der Kinder am Tag. Und zwischendurch noch einmal kurz auf die Universität Studieren mit Kind - ein Full-time-Job.

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Lernen in der Nacht, Betreuung der Kinder am Tag. Und zwischendurch noch einmal kurz auf die Universität Studieren mit Kind - ein Full-time-Job.

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Der Hörsaal ist zum Bersten voll. Die Luft ist zum Schneiden. Auf den Stufen zwischen den Bänken haben sich schon Studenten niedergelassen, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. Alle lauschen einer Vorlesung über Medienpsychologie. Und dann plötzlich durchbricht der schrille Schrei eines Säuglings den monotonen Vortrag des Professorsf Mit einem Buck richten sich alle Blicke auf das Baby und seine Mutter.

„Man kommt sich vor, wie eine Außerirdische", erzählt Daniela mit ihrem zehn Monate alten Sohn Elias auf dem Schoß. Wenn sie anderen Studenten sagt, daß sie Mutter ist, dann reagieren die nicht so, wie sie es sich früher erwartet hätte. „Ich hab' mir gedacht, die würden öfters fragen, wie's meinem Sohn geht. Statt dessen hör' ich häufig Aussagen wie: Du Arme. So auf die Art: Hättest Du Dir's eben vorher überlegt." Daniela hat bei diesen Begegnungen immer wieder Intoleranz gespürt.

Doch sie schiebt die Schuld nicht nur auf die anderen: „Ich bin eigentlich den ganzen Tag mit Elias zusammen. Wenn ich dann für zwei Stunden in die Universität fahre, bin ich froh, daß ich mich einmal am Tag ganz einfach nur hinsetzen und zuhören kann. Vielleicht war ich nicht immer kommunikativ genug."

Helfried, der Vater von Elias, studiert Bauingenieurwesen an der Technischen Universität in Wien. Hin und wieder habe er dort einen Studenten mit Kinderwagen gesehen, doch das ist etwas Besonderes, meint

er. „Ich glaub', als Studierende mit Kind sind wir schon eher in der Minderheit. Bei uns geht's, weil wir es uns so einteilen können, daß immer abwechselnd einer beim Kind ist", so der Vater.

„Wer nicht selbst Kinder hat, weiß nicht, wie es wirklich ist", sind sich die Eltern einig. Es ist nicht immer unproblematisch: man schläft wenig, muß sich vorbereiten und möchte auch zu 100 Prozent für das Kind da ... sein. Sie selbst habe den kleinen Elias noch nie in eine Vorlesung mitgenommen, sagt Daniela. „Manche Mütter haben kein Problem damit, wenn ihr Kind während der Worlesung im Saal herumkrabbelt. Für mich wär'Hisaber nichts. Ich müßte** mich ja die ganze Zeit auf ihn konzentrieren." Wenn er größer ist und schon zeichnen kann, dann könne sie es sich vielleicht vorstellen. Doch sie glaubt nicht, daß es mit dem Älterwerden ihres Sohnes leichter wird. Je älter Kinder werden, umso mehr Ansprüche stellen sie, ist sich Daniela sicher.

Und wie recht sie hat: Publizistikstudentin Claudia kann davon ein Lied singen. Als sie ein Kind bekam, hörte sie auf, als Sportlehrerin zu arbeiten und blieb acht Jahre lang zu Hause. Danach hat sie zu studieren begonnen. Heute ist sie Mutter von zwei Schulkindern und fühlt sich zwischen Familie und Studium hin- und hergerissen. „Ich stelle die Kinder in den Mittelpunkt und bleib' selbst auf der Strecke."

Studium als Beruf

Ihre Kollegin Karin nimmt das gelassener. Die Alleinerzieherin sieht das Studium als ihren Beruf. Während sie im Hörsaal sitzt, sind ihre Kinder im Hort. „ Mein Beruf läßt mir viel Raum für die Kinder und wir haben immer gemeinsam Ferien. Aber sie müssen

auch einsehen, daß ich Zeit zum Lernen brauche. Dafür wird dann jede Prüfung mit einem gemeinsamen Eis gefeiert."

Karin hat sich auch aus finanzieller Sicht für ein Studium entschieden. Mit den sozialen Ixistungen des Staates kann sie ihre Familie ernähren und trotzdem viele schöne Stunden mit ihren Kindern verbringen. „Nein, ich seh' das nicht als ungerechtfertigt. Aber ich bin gerne bei meinen Kindern, urrdlals Buchhändlerin ware das mit den Öffnungszeiten aes Handels nicht möglich. Außerdem ist die Bezahlung auch nicht gut." Aufgrund dessen könne sie sicM'äüch vorstellen, nach der Diplomarbeit einDissertati-onsstudiuÄ'afh'ziSRSfin.

Geteilte Sorgen

Mit ihrer finanziellen Situation als Filtern und Studenten sind auch Daniela und Helfried zufrieden. Daniela war während ihrer Schwangerschaft arbeiten und bekommt erhöhtes Karenzurlaubsgeld. Obwohl, wie sie meint, das Wort „Urlaub" nicht gerade ihre derzeitige Iebenssituation beschreibt. „Wenn ich in der Vorlesung sitze, denk' ich oft, ob mein Sohn nicht schon Hunger hat, und dann hetz' ich heim zum Stillen.", meint die Mutter von FJias.

Um über ihre Probleme, Sorgen aber auch Freuden zu sprechen, treffen sich (werdende) studierende Mütter, Väter und Eltern der Universität Wien seit einigen Jahren regelmäßig in der Kommunikationsgruppe „Studierende mit Kind". Diese Möglichkeit zum Austausch von Informationen wird vom Sozialreferat gesponsert und organisiert. Die Gruppe wird dieses Semester noch am 27. Mai und am 17. Juni jeweils um 15 Uhr im Seminarraum des ÖH-Sozialzentrums am Rooseveltplatz 5a, 1090 Wien zusammenkommen.

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