Kinderschutz in der Warteschleife

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Seit Jahren wird um ein neues Kinder- und Jugendhilfegesetz gerungen. Selbst in abgeschwächter Version kommt es nicht zur Einigung. Der Grund dafür: Geld.

Ein Wuzzler und Basketballkorb, ein Zelt zum Verstecken und therapeutische Handpuppen: Im Kinderschutzzentrum "die möwe“ in Wien gibt es allerlei bunte Eisbrecher, die helfen sollen, Vertrauen aufzubauen. Die Kinder und Jugendlichen, die hier mit dem Puppenhaus spielen oder Körbe werfen, sind alle Opfer von physischer, sexueller oder psychischer Gewalt. Sie kommen zur Beratung, zur Psychotherapie oder zur psychosozialen Unterstützung vor Prozessen. "Kindern und Jugendlichen in Belastungssituationen kann geholfen werden“, sagt Hedwig Wölfl, Psychologin, Psychotherapeutin und Leiterin der möwe-Kinderschutzzentren: "Aber es ist wichtig, dass sie schnell Unterstützung bekommen, damit Verletzungen nicht verschleppt werden.“ Genau da hapert es oft. Bei der möwe wartet man drei Monate auf einen Psychotherapieplatz, in anderen Kinderschutzzentren noch viel länger.

Streit ums Geld

Schutz vor Gewalt und Hilfe für misshandelte Kinder werden in Österreich - allen frommen Bekundungen zum Trotz - sprichwörtlich stiefkindlich behandelt. Es gibt nicht einmal eine zeitgemäße gesetzliche Grundlage dafür. Die derzeit gültige heißt "Jugendwohlfahrtsgesetz“ und ist 23 Jahre alt.

Seit vier Jahren wird um ein neues Gesetz gestritten. Es soll "Kinder- und Jugendhilfegesetz“ heißen und den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht werden. Mittlerweile liegt der vierte Gesetzesentwurf vor, mit 1. Juli sollte er in Kraft treten. Das wollte zumindest Familienminister Reinhold Mitterlehner so. Für den Mehraufwand hat er den Bundesländern, die für die Vollziehung zuständig sind, einen Finanzierungszuschuss für die ersten drei Jahre versprochen. Doch die Länder machten ihm einen Strich durch die Rechnung: Oberösterreich, die Steiermark und das Burgenland haben dem Gesetzesentwurf nicht zugestimmt. Der Grund: Es kommt sie zu teuer.

Mit jährlich 4 Millionen Euro zusätzlich rechnet etwa der ober-österreichische Landeshauptmannstellvertreter Josef Ackerl: "Wir sind nicht prinzipiell gegen die neuen Regelungen“, sagt er, "aber die Anschubfinanzierung des Bundes ist unzureichend und es fehlt eine Garantie, dass künftige Kosten im Finanzausgleich übernommen werden.“

Doch obwohl beim Thema Kinderschutz derzeit viel ums Geld gestritten wird: Wie viel es sich der Staat tatsächlich kosten lässt, dass Kinder aus gewalttätigen Familien geholt werden, dass Mediatoren in Konfliktsituationen vermitteln und seelische Wunden professionell verarztet werden, ist nicht so leicht zu beziffern. Rechnet man die Jugendwohlfahrtsbudgets der einzelnen Länder zusammen, kommt man auf rund 540 Millionen Euro im Jahr. (Zum Vergleich: Für Kreditzinsen zahlt Österreich heuer mehr als acht Milliarden). Wirklich aussagekräftig ist das kumulierte Budget aber nicht. Denn einige Bundesländer rechnen auch die Kosten für Fachpersonal in den Jugendämtern ein, manche verbuchen das Personal woanders.

Gesetze zeigen Wirkung

Konkretere Auskünfte gibt es über die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen: Rund 6.600 waren 2010 in einem Kinderheim oder eine betreuten Wohngemeinschaft untergebracht. Dazu kommen noch 4.400 Pflegekinder, die in Familien leben. Rund 11.000 Kinder und Jugendliche werden also von den Jugendämtern betreut - auf Basis einer gesetzlichen Grundlage, die älter ist, als sie selbst.

Könnte ein Gesetz Gewalt gegen Kinder verhindern? Wohl kaum. Aber es könnte Schadensbegrenzung gewährleisten. Das beste Beispiel, dass Gesetze tatsächlich Wirkung zeigen, ist für Hedwig Wölfl das Gewaltverbot in der Erziehung: Seit 1989 ist Eltern Gewalt per Gesetz verboten. Bis 1977 gab es sogar ein "Züchtigungsrecht“ für Eltern. Die Konsequenzen davon lassen sich in der aktuellen Studie des Instituts für Familienfoschung ablesen: Während acht von zehn Erwachsenen, die heute zwischen 51 und 60 Jahre alt sind, in ihrer Kindheit körperliche Gewalt erlebten, sind es bei den heute 16- bis 20-Jährigen, die nach 1989 Kinder waren, "nur“ mehr 55 Prozent. "Es ist nicht so, dass 2012 Kinder nicht gedemütigt, bedroht, geschlagen werden oder sexuelle Gewalt erleiden“, sagt Wölfl. "Aber es geschieht in deutlich geringerem Ausmaß als vor 20 Jahren.“

Ums neue Kinder- und Jugendhilfegesetz wird trotzdem weiter verhandelt. Fest steht nur: Mit 1. Juli wird es nicht in Kraft treten. Spätestens im Herbst könnte aber Druck von außen kommen, bemerkt Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom "Netzwerk Kinderrechte“: Momentan prüft der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen, ob die UNO-Kinderrechtskonvention in Österreich regelkonform umgesetzt wird. Im Oktober wird die Stellungnahme erwartet - mit klaren Empfehlungen zur Verbesserung. Derer dürfte es einige geben.

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