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Das „dritte Afrika“

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Noch vor wenig mehr als vier Jahren war Monrovia, wo sich vom 8. bis 21. Mai die Vertreter von zwanzig unabhängigen Staaten, von denen wiederum 15 sogar durch ihre Staatsoberhäupter vertreten waren, zu einer der größten interafrikanischen. Konferenzen trafen, die einzige Hauptstadt eines unabhängigen Landes im schwarzen Erdteil. Geht man zwanzig Jahre zurück, war die Hauptstadt Liberias neben Prätoria und Kairo, wo englische Truppen standen, die einzige unabhängige Kapitale Afrikas überhaupt. Mochte schon solche Anciennität Grund genug dafür bieten, daß die Staatenwelt des neuen Afrika Liberia diplomatisch einen gewissen Vorrang einzuräumen geneigt ist, so fällt nicht weniger dafür seine „Blockfreiheit“ ins Gewicht, kraft derer Monrovia bisher auch innerhalb der auf afrikanischem Boden bestehenden Gegensätze bisher als „neutraler Boden“ galt. So hat Liberia 1955 an der Tagung der afroasiatischen Völker von Bandung teilgenommen und 1959, auf der Konferenz von Sanikwellie die beiden stürmisch vorandrängenden Protagonisten des Panafrikanismus, Nkrumah und Ture, freundschaftlich empfangen, nicht ohne ihrem Überschwang den Realismus seiner mehr als hundertjährigen Erfahrungen in Sachen der „Unabhängigkeit “ entgegenzusetzen. Es hat die UNO-Aktion im Kongo unterstützt, ohne sich im Strudel der Geschehnisse auf Abenteuer einzulassen, und war sogar bereit, sein Kontingent nach dem Abzug anderer Staaten aus dem Kongo zu verstärken. Als kleiner Staat ist es keiner imperialistischen Regungen verdächtig und hat zugleich seine eigene Linie zu bewahren verstanden. So war Monrovia nicht von ungefähr als geeigneter Treffpunkt ganz Afrikas nach dem ereignisreichen „Afrikajahr“ 1961 ausersehen worden.

Nicht ganz Afrika freilich kam nach Monrovia. Neben der verständlicherweise nicht eingeladenen Südafrikanischen Union hatten auch die Staaten der Casablancagruppe, von denen Mali und Guinea zuerst als mit- einjadende Mächte fungierten, in letzter Stunde beschlossen, fernzubleiben. Aus weniger deutlich markierter ideologischer Position war auch der Sudan, dessen Militärregime sich ein besonders striktes Nonengägement auferlegt hat, nicht vertreten. Endlich hatte man auch von der Einladung des vormals belgischen Kongo Abstand genommen, um keinen anderen Teilnehmerstaat in seiner eventuellen Neigung zu einer der Kongoparteien zu präjudizieren: stand doch die Kongofrage auf der Tagesordnung der Verhandlungen. Die

Teilnehmer, zu denen so Liberia, gemeinsam mit Togo, der Elfenbeinküste und Nigeria geladen hatten, entstammten nichtsdestoweniger verschiedenen Lagern.

Der Anzahl nach dominierten die französischen Nachfolgestaaten, mnt neben den „Zwölf von Brazzaville"- diesmal auch Togo: von den britischen Nachfolgestaaten erschienen der erst kürzlich unabhängige, westliche Nachbar des Gastlandes, Sierra Leone, und Nigeria, seiner Bevölkerungszahl nach gewichtiger als alle vorstehenden Länder zusammen. Waren von den arabischen Staaten die beiden größten, die VAR und Marokko wie auch der Sudan anwesend, kamen doch Tunesien, Libyen (und das schon vorerwähnte Mauretanien). Äthiopien und die Somalirepublik waren trotz ihrer bekannten Gegensätze beide anwesend.

Die interafrikanischen Beziehungen der neuen Staaten, von denen die Mehrzahl ja erst im Vorjahr ihre Souveränität erlangt haben, bildeten auch den Hauptgegenstand der Verhandlungen. Hier wurde deutlich, daß die große Mehrzahl von ihnen entschlossen ist, die Gewalt als Mittel zur Lösung politischer Streitfragen abzulehnen. Diese Haltung verdient es, von der Weltöffentlichkeit stärker als bisher zur Kenntnis genommen zu werden, steht sie doch in krassem Gegensatz zu den durch eine oft wenig fundierte Afrikaberichterstattung genährten Vorurteilen.

Im einzelnen hat bereits das erste, über den Konferenzverlauf veröffentlichte Kommunique die Anerkennung der politischen Gleichberechtigung aller der unabhängigen Staaten betont und die Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten zum Prinzip gemacht. Man unterstrich sogar, daß nicht nur kein Staat einem anderen schaden, sondern es auch ablehnen solle, als Basis für subversive Tätigkeit gegen einen anderen afrikanischen Staat zu dienen. Beobachter haben dies als Warnung gedeutet, die vor allem Mauretanien und Togo hinsichtlich der bekannten, gegen diese Länder gerichteten Ansprüche Marokkos und Ghanas im Auge haben. Solche Interpretation bleibt doch hinter der wirklichen Tragweite dieser Stellungnahme zurück. Tatsächlich sind ja alle Grenzziehungen der Kolonialära willkürlich, und es gibt eine ganze Anzahl von Fällen, in denen territoriale Ansprüche eines Landes gegen ein anderes schon erhoben worden sind. Im ehemals französischen Kongo wünscht man sich einen Teil des südlichen Gabun, in Zentralafrika ein Stück von Kamerun. Man erinnert sich angeblicher Waffenfunde im Senegal und an der Elfen beinküste unweit der Grenzen Guineas. In Ghana und Kairo haben politische Dissidentengruppen ihren Sitz, die nicht nur die „weißen Kolonialisten’ im südlichen Afrika, sondern auch die afrikanischen Regierungen in Kamerun und an der Elfenbeinküste bekämpfen, die sie — wie anders — der Komplizität mit den Kolonialisten, kurz des „Neokolonialismus“ beschuldigten. Doch sind in Monrovia konkret doch zwei andere Streitfälle zur Sprache gekommen, nämlich die Klage Somaliens gegen Äthiopien wegen der auf dessen Staatsgebiet lebenden Somalis und — nur hinter den Kulissen — die Kameruns gegen Nigeria wegen der angeblichen Verfälschung der Volksabstimmung in Britisch-Nordkamerun, das sich ja im Gegensatz zu Südkamerun gegen eine „Wiedervereinigung“ und für den Verbleib bei Nigeria ausgesprochen hat. Aber die allgemeine Tendenz war nicht der Diskussion solcher Themen geneigt, als vielmehr der Möglichkeit, neue Mittel zur Schlichtung solcher interafrikanischen Streitfälle zu finden.

Wie sehr die Konferenzteilnehmer anderseits bemüht waren, die Casablancastaaten nicht zu verstimmen und so nicht zur Verstärkung der innerafrikanischen Gegensätze beizutragen, bewies eine andere Feststellung. Danach wurde jedem afrikanischen Staat das Recht zugebilligt, sich frei mit einem anderen zu assoziieren. Die „Union“ Ghanas mit Guinea und neuerdings auch Mali wurde ohne Anfechtung anerkannt. Positiv war das Hauptereignis von Monrovia, der Beschluß, die Zusammenarbeit der afrikanischen Staaten auf zwischenstaatlicher Ebene zu organisieren. Die praktische Durchführung dieses Beschlusses, die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, technischem, verkehrsmäßigem und kulturellem Gebiete vorsieht, wird einer für Herbst vorgesehenen, neuerlichen Konferenz zur Beratung überlassen.

Das Prinzip der Nichteinmischung kam auch in der Stellungnahme zur Kongofrage zur Geltung, die infolge der Abwesenheit der Casablancamächte nicht den ihr ursprünglich zugedachten Platz unter den Hauptagenden der Konferenz einnahm. Doch .haben die „Zwanzig von Monrovia“ nicht Partei für eine der Kräfte im Kongo genommen, sondern ihre volle Unterstützung der UNO-Aktion erklärt, während die Regelung des Kongoproblems eine Angelegenheit der Kongolesen bleibe.

Keine Überraschung bot die einhellige Verurteilung der südafrikanischen Rassenpolitik, sieht man doch schwer, welche anderen Beschlüsse in dieser Frage hätten gefaßt werden können. Die Verurteilung Portugals, die gleiche Sanktionen für den Fall androht, „daß die Unterdrückungsmaßnahmen in Angola andauern“, ist im Grunde als gemäßigt bezeichnet worden. Doch haben immerhin nationalistische Führer Angolas die Gelegenheit erhalten, vor der Konferenz das Wort zu ergreifen und materielle wie moralische Hilfe zu verlangen, und alle Staaten versprachen, Flüchtlingen aus Angola zu helfen. Die Verurteilung Frankreichs wegen der Atomversuche in der Sahara — wegen denen Nigeria bekanntlich die Beziehungen zu Frankreich abgebrochen hat — war mit einer Verurteilung aller Atomversuche und einem Appell zur Abrüstung verbunden.

Die Arbeit von Monrovia soll im September in einer zweiten Konferenz fortgeführt werden, deren Schauplatz die nigerische Hauptstadt Lagos sein wird. Nicht nur die Wahl dieses Ortes unterstreicht die wachsende Bedeutung Nigerias im innerafrikanischen Kräftespiel, dessen Premierminister, Sir Abubakar Tafawa Balewa, sich in Monrovia auch als eine der dominierenden Gestalten erwies. Die Stärke Nigerias ist ein Moment, das den Kleinstaaten West- und Zentralafrikas nicht unbedingt Vertrauen einflößt und auch von größeren Ländern mit scheelen Augen betrachtet wird. So fassen die verantwortlichen Männer des „Nigerischen Bundes“ ihre gesamtafrikanische Rolle mehr im Sinne des Beispiels und moralischer Führerschaft auf. Die Konferenz von Lagos aber wird zeigen können, ob der Weg von Monrovia für die Zukunft Afrikas nicht wichtiger werden kann als der die Pfade der älteren Nationalismen Europas nachtretenden „Revolutionäre“. Man hätte eigentlich das Gefühl, daß er der echte afrikanische Weg ist.

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