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Wiedervereinigung“ in Afrika

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Als im Vorjahr 15 Länder Afrikas zwischen Senegal und Tanganjikasee ihre Unabhängigkeit erlangten, blieb inmitten dieser Ländermasse ein schmaler, weißer Streifen. Der nach dem ersten Weltkrieg zum britischen

Mandatsgebiet gewordene Westteil der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun, der von Großbritannien nunmehr als UNO-Treuhandschaftsgebiet verwaltet wurde, hatte über seine politische Zukunft erst zu entscheiden. Die Wahl hieß „Anschluß“ an Nigeria oder „Wiedervereinigung“ mit Kamerun, und wurde vor kurzem durch eine Volksbefragung entschieden. „Ich will nicht ins Wasser geworfen werden; ich will nicht im Feuer verbrannt werden, ich möchte gern daheim auf dem Trockenen bleiben.“ Das war die sprichwörtliche Antwort eines Bewohners von Westkamerun an einen Reporter, der ihn über die kommende Entscheidung befragte. Jedoch hatte die UNO-Treuhandkommission längst entschieden, daß Westkamerun zu schwach sei, ein eigenes Staatswesen zu bilden.

Tatsächlich sind alle die neuen Staaten des schwarzen Afrika in ihrer gegenwärtigen Gestalt Gebilde der Kolonialzeit. Es gibt keine Grenze, die nicht eine oder mehrere afrikanische Völkerschaften entzweischneidet, und die „Entkolonisierung“ hat die durch die Willkür der kolonialen Grenzziehungen geschaffenen Tatsachen zunächst erhärtet. Zwar hat die koloniale Ära gewisse Grundlagen für das Entstehen zukünftiger, afrikanischer Nationen geschaffen. Die europäischen Sprachen sind Verständigungs- und

Bindemittel für eine freilich begrenzte Elite geworden, die sich in jedem Lande aus mehreren, verschiedenen Völkerschaften rekrutiert. Die Kolonialmächte haben ihre jeweilige Tradition des Rechts-, Verwaltungs- und

Erziehungswesens eingepflanzt. In diesem Sinne ist Nigeria, das 880.000 Quadratkilometer und 35 Millionen Einwohner zählt, „englisch“, Kamerun mit 432.000 Quadratkilometern, jedoch nur 3,5 Millionen Einwohnern, „französisch“, Westkamerun, 88.000 Quadratkilometer groß, mit rund 1,5 Millionen Bewohnern, war seit Ende der deutschen Herrschaft mehr als 40 Jahre unter britischer Verwaltung gestanden. Seine Südzone bildete gleichsam eine autonome Provinz, während die Nordzone Nigeria verwaltungsmäßig direkt angeschlossen war.

Frauenwahlrecht gab den Ausschlag

Mit dem Wahlentscheid vom 12. Februar 1961 haben sich Afrikaner erstmals über die Kolonialsprachengrenze hinweggesetzt. Die Südzone Westkameruns entschied sich mit

„Wiedervereinigung mit Kamerun, zu der ein Großteil ihrer Bevölkerung engere Bindungen hat, als žum westlich angrenzenden Nigeria. Auch in der Nordzone wurden 97.000 Stimmen für die Wiedervereinigung abgegeben, doch überwog hier eine Mehrheit für Nigeria von 145.000 Stimmen. Kamerun hat gegen die Wahl übrigens protestiert, vielleicht nicht ganz ohne Grund: Knapp 15 Monate zuvor hatten sich, entgegen allen Erwartungen, in der Nordzone knapp 43.000 Wähler für Nigeria ausgesprochen, während damals mehr als 70.000 es vorzogen, das Schicksal ihres Landes zu einem späteren Zeitpunkt geregelt zu wissen. Es scheint also, daß der nigerianische „Sieg“ hauptsächlich durch die Mobilisierung von bei der ersten Wahl inaktiv gebliebenen Elementen, wie durch die Gewährung eines Frauenstimmrechtes, errungen wurde, ebenso wie durch Konzessionen hinsichtlich einer künftigen Gebietsautonomie. Indirekt stellt dies auch einen Erfolg der Opposition innerhalb Nigerias selbst dar, die seit längerem für die Schaf-

fung weiterer autonomer Regionen innerhalb des nigerianischen Bundesstaates eintritt, um dadurch die Vorherrschaft des nordnigerianischen Blocks zu schmälern, dessen Führern sie auch die Schuld am Mißerfolg des ersten Plebiszits beimaß. Es bleibt damit unsicher, ob die heute an der Macht befindlichen Politiker Nigerias ihres „Sieges“, den sie aus Prestigegründen jedenfalls erhoffen mußten, auf die Dauer froh werden können.

Das Bekenntnis der Südzone zu Kamerun kam nicht überraschend, seit 1958 der Führer der „Nationalen Demokratischen Volkspartei", Doktor John Foncha, die Mehrheit errang und damit den bisherigen pronigerianischen Ministerpräsidenten James Endeley ablöste. Foncha hat schon vor der Abstimmung mit der Regierung des schon seit Jahresfrist unabhängigen „französischen" Kamerun über die Wiedervereinigung verhandelt — sinnfälligerweise waren dabei Dolmetscher nötig — und diese mag infolge des Erbes der anglofranzösischen Kolonialgrenze vor große Schwierigkeiten stellen. Entscheidender kann aber noch sein, daß innerhalb der Bevölkerung Kameruns nunmehr ein deutliches Übergewicht des Südens über den Norden entstehen muß, das Foncha im „wiedervereinigten“ Lande zum Schiedsrichter der Situation machen kann, in dem seit mehreren Jahren Guerilla schwelt.

andauernd ein

Die Volkspartei Fonchas war nicht die einzige Kraft, die für die Rückkehr zu Kamerun eintrat. Neben ihr wirkte das „One Kamerun Mouvement“, dessen Ziel auch die bewußt deutsche Schreibung des Landesnamens zum Ausdruck bringen sollte. Diese stand freilich dem revolutionären kommunistischen Flügel jener UPC (Vereinigung der Völkerschaften Kameruns) nahe, die seit Jahren den blutigen Terror im dichtbevölkerten Südwesten Kameruns schürt, dessen Opfer auch zahlreiche christliche Missionäre geworden sind. Es ist bekannt, daß die Partisanen immer wieder Zuflucht im britischen Westkamerun fan- T'äewis obgldictei sie dort, selbst'- keine augenfällige Tätigkeit ausgeübt haben. Ihr Kampf galt ja dem „französischen“ Regime in Jaunde. Ob die „Wiedervereinigung“ der beiden Kamerun daher dem von den Exilführern geführten Kampf — deren bekanntester, Felix Moumie, im vergangenen Herbst in Genf ermordet wurde — die Operationsbasis entziehen und damit allmählich beenden können oder aber einen neuen Abschnitt der tragischen Geschichte des neuen Kameruns einleiten wird, kann heute noch nicht beurteilt werden. Tatsache bleibt, daß die Bewohner Südkameruns die Wiedervereinigung durch die koloniale Grenzziehung getrennter Völkerschaften den wirtschaftlichen Vorteilen und der Sicherheit des Verbleibens beim „fremden“ Nigeria vorgezogen haben. Was einen Hinweis auf die künftige Orientierung afrikanischer Nationalismen bieten kann, ob die Fragen nun im einzelnen Gambia oder Togo, Kongo, Katanga oder sonstwie heißen mögen.

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