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Angst über Kamerun

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Man hatte eben den letzten Gang abgetragen. Die Tanzkapelle hörte auf zu spielen. Es war Silvester 1959, kurz vor Mitternacht. Im Festsaal des Hotels des Deputes von Jaunde erhoben sich die Gäste. Ein wenig steif, ein wenig müde und fast ein wenig zu ernst entließ Dag Ham-marskjöld Kamerun, den neuen Staat, aus der Treuhandschaft der Vereinten Nationen.

Gewiß, von den Bergen hallten 101 Kanonenschüsse, aus den Lautsprechern dröhnten flotte Märsche, die Straßen waren grün-rot-gelb beflaggt, aber sie waren menschenleer. Angst lag über Kamerun, Angst vor den Terroristen, Angst vor der Zukunft, Angst vor dem eigenen Mut. Natürlich wurde am folgenden Tag einiges nachgeholt, Reden wurden gehalten, man paradierte auf dem „Platz der Unabhängigkeit“, man klatschte, man war — magisches Wort im modernen Afrika — independent.

Nur einer lächelte noch immer nicht. Er wußte, was ihm bevorstand, der junge 37jährige

Ministerpräsident Ahmadou A h i d j o, und er hat nicht zu schwarz gesehen. Hundert Tote - vorsichtig geschätzt — kostete der erste Tag, der eigentlich der große Festtag hätte sein sollen. Aber man war nicht einmal so überrascht. Seit 1955 hat man sich an manches gewöhnen müssen.

Die Grenzen des heutigen Kamerun mit seinen 432.000 Qudratkilometern hat, wie bei den meisten afrikanischen Kolonialgebieten, der Zufall gezogen. Rassen- und Sprachräume spielten dabei kaum eine Rolle. Was das Land heute zusammenhalten soll, ist die in 75 oder 100 Jahren Fremdherrschaft durchlebte und durchlittene Geschichte, sonst eigentlich nichts. Uneinheitlich ist die Landschaft, uneinheitlich das Klima. Feuchtheiß die tropischen Zonen, Wüste um den Tschadsee im Norden, ein Gebirgsplateau als „natürliche Grenze“ ausgerechnet in der Mitte, und verloren im äußersten Südwesten ein 4100 Meter hoher Vulkan, der Kamerunberg.

Die Stämme im Norden kommen durchweg aus dem Sudan. Muslimische Häuptlinge herrschen dort immer noch über die 300.000 Fulbes, die sich zum Islam bekennen, wie über die 750.000 animistischen Kirdis, die man vor Zeiten ins Gebirge abgedrängt hat. Noch uneinheitlicher ist der Süden. Ein wahres Rassenmosaik: Evondos, Bassas, Dualas und schließlich rund 750.000 Bamileke, ein junges Volk, unternehmungslustig, handeltreibend, das fast zur Hälfte aus Kindern unter 15 Jahren besteht. Aber gerade unter ihnen hat die Rebellion seit 1955 nicht mehr aufgehört. Hier hat die UPC, die Union des Populations du Cameroun ihren eigentlichen Schwerpunkt. Sie ist im Grunde für die Unruhen der letzten Jahre verantwortlich. Ihr Gründer, Um Nyobe, hat Kamerun bereits auf dem Kongreß vom Oktober 1946 vertreten.

Zwei Jahre später gründete Um Nyobe die Union des Populations du Cameroun als Landesverband der RDA. Da die RDA jedoch mit der KP Frankreichs zusammenarbeitete, ergaben sich auch für die UPC entsprechende Folgen. Ja, die UPC blieb den französischen Kommunisten sogar treu, als die RDA Houphouets 1951 nach bitteren Erfahrungen auf den loyalen Kurs einschwenkte.

Damit aber machte sich Um Nyobe selbständig. Er wuchs zum großen Volksführer Afrikas heran, neben Houphouet, neben Senghor, neben Nkrumah oder Toure.

Aber außer Nyobe spielte noch ein zweiter Mann eine entscheidende Rolle in der UPC, der Arzt Felix Roland Moumie. Ausgestoßen aus seiner Familie und seinem Volk wurde dieser fanatische Einzelgänger zum Prediger des Aufruhrs und zum Vertrauensmann der Kommunisten.

Damit aber rief er Roland-Pre. den neuen französischen Gouverneur, auf den Plan, der der UPC gegenüber die Rolle des starken Mannes übernahm. Es kam zu weiteren Ausschreitungen, und 1955 floß bereits Blut. Die Ruhe konnte natürlich wiederhergestellt werden, und durch Dekret vom 13. Juli 1955 wurde die UPC aufgelöst. Was in ihr Rang und Namen hatte, floh ins Ausland oder wanderte in die Gefängnisse. Da aber niemand fähig war. eine neue echte Volksbewegung ins Leben au rufen, arbeitete die UPC im Untergrund weiter. Moumie setzte sich in Kairo hinter die Mikrophone, die Nasser ihm zur Verfügung stellte, und Um Nyobe kehrte heimlich in sein Land zurück.

Frankreich, das mittlerweile zur Realpolitik entschlossen war, gab im April 1957 Kamerun das erste Autonomiestatut, dem im Dezember 1958 das zweite folgte, und schließlich wurde am 1. Jänner dieses Jahres die Unabhängigkeit verkündet. Damit hätte es eigentlich seine Bewandtnis haben müssen, denn das Ziel war ja an sich erreicht. Aber es war nicht das Ziel der UPC, es war nicht die „wahre Unabhängigkeit“, weil nicht die UPC es war, die sie erkämpft hatte, sondern eher Ahmadou Ahidjo, ein gemäßigter Mann, der gerade Ministerpräsident war und es wohl auch bis zum Juli 1960, dem nächsten Wahltermin, bleiben wird.. Ahmadou Ahidjo hatte es nicht leicht. Er ist keiner jener zornigen jungen Männer, die immer noch glauben, nach der Unabhängigkeit Afrikas ergäbe sich alles von selbst. Er weiß, daß die Handelsbilanz seines Landes passiv ist. Er weiß, daß die französische FIDES-Hilfe in zehn Jahren allein 52,5 Milliarden Francs ins Land gepumpt hat und hat darum auch für das erste Halbjahr 1960 die nötigen Verträge geschlossen. All das hätte man ihm jedoch noch verziehen, aber im September 1958 passierte ihm, sieben Monate nach seinem Regierungsantritt, das große Unglück: Um Nyobe wurde von einer afrikanischen Polizeistreife getötet. Damit schenkte er Kamerun seinen ersten Nationalhelden und der UPC den lang ersehnten Märtyrer. Was das für den animistischen, dynamistischen Afrikaner bedeutet, können wir uns nach zweihundert Jahren Aufklärung kaum mehr vorstellen ...

*

Der Kampf ging jedenfalls weiter. Mayi Matip, Freund und Sekretär Nyobes, übernahm die Leitung der Partei. Aber er kämpfte mit legalen Waffen. Er ließ sich ins Parlament wählen und sorgte im übrigen in seiner Heimatprovinz Bassa für Ruhe, hat sich dafür aber den Zorn Moumies zugezogen, der als Führer der Exil-UPC von Conakry (Guinea) aus seinen Bannstrahl gegen den „Renegaten“ geschleudert hat, obwohl Matip immer noch in scharfem Gegensatz zu Ministerpräsident Ahidjo steht. Damit ist die UPC allerdings gespalten, und die Bamileke haben die Rolle der Bassa übernehmen müssen. Sie sind ein eigenes Problem im jungen Kamerun, nicht nur auf sozialem Gebiet. Aus ihnen rekrutiert die UPC zum guten Teil ihre „Befreiungsarmee“, die seit 1959 Kamerun in Atem hält. Konkret bedeutet das z. B. in den beiden Hauptstädten Duala und Jaunde: Ausgangssperre ab 21 Uhr, Menschenmassen vor den Polizeibüros, um die nötigen Pässe zu bekommen, Gerüchte, die den Rücktritt Ahidjos, den Generalstreik, die Nacht der schweren Hackmesser androhen; Kampf gegen alles Fremde, gegen jeden Weißen, vor allem aber gegen die christliche Mission, die mit Ahidjo zusammenarbeitet und seit fünf Jahren den ideologischen Kampf gegen die UPC führt.

Unter den 3,5 Millionen Einwohnern Kameruns leben heute nahezu 800.000 Katholiken und mehr als 500.000 Protestanten. An sich eine recht reale Macht mit recht realen Führern, wie Thomas Mongo, den einheimischen Bischof der wirtschaftlichen Hauptstadt Duala mit ihren 118.000 Einwohnern, der als Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung immer wieder daran erinnerte, daß „die Verkennung des Gemeinwohls für ein Volk der kürzeste und sicherste Weg zum Untergang und zur Knechtschaft“ ist.

All das bat man ihm freilich recht übel genommen, als katholischen Moralkurs apostrophiert und ihn schließlich buchstäblich aus der Verfassunggebenden Versammlung hinausgeekelt. Unterdessen lief der Terror gegen die Missionsstationen an. So überfiel in der Nacht vom 29. zum 30. November 1959 eine Bande von mehreren hundert Terroristen, darunter auch Frauen und Kinder (I) das Missionskrankenhaus von Bafang; sie zerschlugen den Operationssaal„ die Röntgenanlage, die Apotheke, nahmen die Kleider der Kranken mit, plünderten die Zimmer der Ärztinnen, die zum Glück abwesend waren, drangen in die Entbindungsklinik ein, rissen der Nachtschwester, einer Einheimischen, die Kleider vom Leibe und befahlen ihr, mit in den Busch zu kommen. Da sie nicht wollte, schlug man sie zusammen und ließ sie als tot liegen. Inzwischen stürzten andere in die Wohnung der Patres. Als sie unter Tanz und Siegesgeheul der ganzen Meute nach wenigen Minuten wieder herauskamen, hielten sie den blutigen Kopf Pere Heberies in den Händen. Frere Sarron wollte in den Busch fliehen, man versperrte ihm den Weg und schlug ihm den Kopf ab. Der 70jährige Pere Lequeux konnte sich verteidigen, bis die Polizei kam ...

Weitere Überfälle fanden in der Nacht vom 31. Jänner zum 1. Februar in Komaka statt. Vier einheimische Priester wurden bisher verschleppt. *

„Blut, Feuer, Angst, Hinrichtungen, Gefängnisse, nächtliches Ausgehverbot, Pässe für jede Fahrt außerhalb des Heimatortes, nochmals Angst und wieder Angst... In diesem Zeichen“, so schreibt ein Korrespondent, „trat Kamerun am 1. Jänner 1960 über die Schwelle zur Unabhängigkeit.“

1960 sollte die „magische Zahl“, das Jahr der „weißen Götterdämmerung“ für Afrika werden, das Jahr, in dem sich die „Freiheit wie ein Waldbrand“ über den ganzen Kontinent ausbreiten würde, meinte einst Nkrumah und ließ sich darum in sein überlebensgroßes Denkmal in Accra die Worte meißeln: „Suchet zuerst das Reich der politischen Freiheit und alles andere kommt von selbst!“

Doch man fragt sich bereits weithin mit heimlicher Angst, woher soll es nun wirklich kommen? Vom Westen, den man gerade allüberall vor die Tür setzt, oder vom Osten, der seine Gaben auch nicht umsonst verteilt, selbstlos wie ein Weihnachtsmann?

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