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Hilf dir selbst, dann hilft dir Mao ...

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Uneigennützige Motive stehen unter den Gründen, Entwicklungshilfe zu leisten, an allerletzter Stelle. Das gilt bei den Großmächten noch mehr als bei mittelrangigen oder kleinen Staaten. Vor allem in Afrika kämpfen die Großmächte heute mittels Entwicklungshilfe um Positionen, wobei ideologische Affinitäten seit längerem hinter kühlen machtpolitischen Erwägungen zurückstehen. So wird etwa der ehemals belgische Kongo, das heutige Zaire mit der Hauptstadt Kinshasa, von Sowjets wie Chinesen wesentlich großzügiger bedacht als der freilich viel kleinere ehemals französische Kongo mit der Hauptstadt Brazzaville, der den Vormächten des Weltkommunismus ideologisch nähersteht als Zaire.

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Uneigennützige Motive stehen unter den Gründen, Entwicklungshilfe zu leisten, an allerletzter Stelle. Das gilt bei den Großmächten noch mehr als bei mittelrangigen oder kleinen Staaten. Vor allem in Afrika kämpfen die Großmächte heute mittels Entwicklungshilfe um Positionen, wobei ideologische Affinitäten seit längerem hinter kühlen machtpolitischen Erwägungen zurückstehen. So wird etwa der ehemals belgische Kongo, das heutige Zaire mit der Hauptstadt Kinshasa, von Sowjets wie Chinesen wesentlich großzügiger bedacht als der freilich viel kleinere ehemals französische Kongo mit der Hauptstadt Brazzaville, der den Vormächten des Weltkommunismus ideologisch nähersteht als Zaire.

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Andererseits ist die Republik Kongo (Kongo-Brazzaville) ein außerordentlich interessantes Experimentierfeld für Entwicklungshilfe, ein Land, dessen überschaubare Dimensionen den Vergleich der verschiedenen Entwicklungshilfe-Modelle erleichtern. Bei einem solchen Vergleich schneiden vor allem Frankreich und China als Entwicklungshilfe-Nationen hervorragend ab.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich leistet ihren Exkolonien vor allem personelle Entwicklungshilfe auf dem Erziehungssektor. Im Kongo arbeitet eine große Anzahl französischer Lehrer, die zum Teil kongolesische Lehrkräfte ausbilden. Brazzaville war nach 1940 Hauptquartier de Gaulles und seines „wahren Frankreich“ und schämt sich heute nicht seines Namens, der an den Begründer des zentralafrikanischen französischen Kolonialreiches, Pierre Graf Savorgnan de Brazza, erinnert. In den rund eineinhalb Jahrzehnten seit dem Ende der Kolonialherrschaft stieg der Bildungsstand der Kongolesen erheblich. Dank der personellen Entwicklungshilfe Frankreichs gelangen heute in den einstigen französischen Kolonien Gabun und Kongo rund 90 Prozent der schulpflichtigen Kinder tatsächlich in eine Schule — viel mehr als in irgendeinem anderen afrikanischen Land, doppelt bis dreimal soviel wie etwa in Zai're.

Dank der französischen Entwicklungshilfe auf dem Erziehungssektor wird heute im kleinsten Dorf, im tiefsten Regenwald, fließend Französisch gesprochen — nicht von den Kindern, nicht von den Älteren, aber von allen zwischen etwa sechs oder sieben und dreißig Jahren.

Politisch freilich steht der Kongo sehr weit links von seinen einstigen Herren, was allerdings in den letzten zehn Jahren kaum je zu Friktionen geführt hat. Frankreich sieht das kongolesische Linksregime, das seit einem runden Jahrzehnt fest im Sattel sitzt und im vergangenen Sommer ein in einwandfrei demokratischer Weise durchgeführtes Referendum überstand (FURCHE 28/1973, „Die Wahlurne im Regenwald“), zwar nicht mit Begeisterung, hat aber — im Gegensatz zu den Amerikanern — nie versucht, einen Umsturz herbeizuführen. Der Administration der französischen Kolonialmacht und dem Verhalten der Franzosen ist, zusammen mit einem ausgeprägten politischen Selbstbewußtsein des jungen Staates, auch ein ausgesprochen entspanntes und zwangloses Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß im Kongo zu verdanken, die in Afrika weitverbreiteten Symptome überkompensierter Minderwertigkeitsgefühle fehlen hier völlig.

Das Kongo-Regime steuert einen Kurs des Pragmatismus. Es bekennt sich zum Marxismus, lehnt aber jede Verstaatlichung als schädlich, weil gefährlich für die ohnehin nicht sehr ausgeprägte Investitionslust ausländischer Geldgeber, ab. Was anderswo ein Widerspruch wäre, muß in Afrika keiner sein. Der Pragmatismus und die kühle Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation ermöglicht es den Führern des Landes, ihre Antiverstaätlichungspolitik mit einer starken intellektuellen und emotionellen Anlehnung an China zu vereinbaren.

Und China hat in diesem Land ein Modellbeispiel für Entwicklungshilfe geschaffen, das in Europa intensiv zur Kenntnis genommen werden sollte, leider aber tatsächlich intensiv ignoriert wird. Es ging darum, diesem Land, das — bei weniger als zwei Millionen Einwohnern — nur um weniges kleiner ist als Bundesrepublik und DDR zusammen, die Möglichkeit zu geben, die riesigen Edelholzbestände seiner seit Zehntausenden von Jahren unberührten Primärwälder zu erschließen und auf diese Weise die Schaffung moderner Infrastrukturen zu finanzieren. Infrastrukturen fehlen dem Kongo nahezu total: eine eingleisige Schmalspurbahn zur Küste, zwei kurze Straßenstücke, einige Landeplätze für kleinere Flugzeuge im Landesinneren, ansonsten nur unbeschreiblich schlechte, Jahr für Jahr vom Regen in Mondlandschaften verwandelte Pisten, ein fragwürdiges Telephonnetz, und, als wichtigstes Kommunikationsmittel, ein gut ausgebaues Rundfunknetz — das ist alles. Es dauert Monate, die beiden wöchentlich erscheinenden Zeitungen zu verteilen — eine Tageszeitung gibt es nicht.

Der Straßentransport der Edelhölzer aus dem Norden des Landes an die Küste ist unmöglich, schwimmfähig sind diese schweren Stämme auch nicht. Der Kongo wendete sich also an den Fonds für Entwicklungshilfe der Europäischen Gemeinschaft (FED), der sich bereit erklärte, Schiffsankäufe für Holztransporte zu finanzieren — aber nur unter der Bedingung, daß eine bestimmte, beigisch kontrollierte Werft in Kinshasa damit beauftragt wurde. Dies wieder wollte der Kongo nicht, da er in Anbetracht seiner spannungsreichen Beziehungen zu Zaire mit Ersatzteil- und Reparaturproblemen nicht vom großen Nachbarn abhängig werden wollte. Die technische Wartung der Schiffe hätte zum politischen Erpressungsobjekt werden können.

Einige Zeit später kam der Kongo in dieser Sache mit China ins Gespräch. China erklärte sich bereit, das Projekt zu günstigen Konditionen zu finanzieren — aber nur unter einer Bedingung: Der Kongo, der sich natürlich — etwas naiv — chromglänzende Statussimbole erhoffte, sollte die Schiffe mit eigenen Mitteln im Lande bauen und lediglich die Dieselmotoren und Steuerungsorgane einführen. Die Schiffe selbst aber sollten — aus Holz hergestellt werden.

China wollte nicht nur das Geld, sondern auch den notwendigen Knowhow, sowie einen Kader von geschultem Fachpersonal zur Verfügung stellen. Die Werft wurde errichtet — und mittlerweile sind auch zwei Schiffe fertiggestellt, bei denen es sich um verkleinerte und modifizierte Versionen von Fahrzeugen handelt, die China selbst auf seinen Strömen verwendet. Die universelle Einsetzbarkeit dieser Schiffe ist sensationell. Das größere hat, voll beladen mit 120 Passagieren und 50 Tonnen Fracht, nur 1,20 Meter Tiefgang, während das kleinere, das nur Fracht befördert, mit 50 Tonnen Ladung in Flußläufen operieren kann, die bisher nur mit dem Ein-baum befahrbar waren. Ein drittes Fahrzeug ist in Bau. Schäden können provisorisch überall im Land repariert werden — selbst die Schiffsschrauben werden in Brazzaville gegossen.

Die Werft gehört dem Kongo und steht unter kongolesischer Leitung, aber den kongolesischen Arbeitskräften (etwa hundert) stehen 32 Chinesen zur Seite — als Lehrer, aber auch für jene Arbeiten, für die es kongolesische Fachkräfte noch nicht gibt. Der Mangel an qualifiziertem Personal ist der schwerwiegendste Mangel des Kongo. Da es sich auch dabei zum Teil um finanzielle Probleme handelt, hat es der Kongo seit einiger Zeit leichter. Seine Erdölvorkommen sind zwar gering, aber doch so umfangreich, daß die Erhöhungen der ölpreise das Staatsbudget verdoppelt haben, was allerdings wiederum zu gewissen Unruhen in der Studentenschaft führte, die sofort höhere Stipendien verlangte.

Die Ausbildungsmöglichkeiten im Land sind begrenzt, die Schichte jener, die im Ausland studieren können, ist hauchdünn. Gewisse Modelle der Entwicklungshilfe — die hier in Anführungszeichen zu setzen wäre — bauen auf der Hilflosigkeit der afrikanischen staatlichen Antimanage-ments auf. Im Kongo etwa die deutsche Zementfabrik Cidolou, die an jenem Tag in kongolesischen Besitz übergehen sollte, an dem sie die Errichtungskosten der deutschen Geldgeber durch Zementverkäufe wieder hereingebracht haben würde. Sie arbeitet seit Jahren, aber fast ohne Gewinn, das heißt ohne Amortisation.

Natürlich hat der Kongo Kontrollrechte. Aber er hat keine Kontrollo-re, die einerseits genügend qualifiziert — und auf der anderen Seite genug verläßlich sind, um die Interessen der Regierung wahrzunehmen.

Aber auch Modelle der Entwicklungshilfe, die auf strikte Partnerschaft abstellen, haben fehlgeschlagen, so* etwa das der Volksrepublik Nordkorea, die seit Jahren gemeinsam mit dem Kongo an einer Zündholzfabrik bastelt, wobei jeder Partner für seinen Bereich alleinverantwortlich sein soll. Im Gegensatz zum eher patriarchalisch funktionierenden System der Chinesen drohte das der Koreaner zu scheitern: Die Fabrik konnte jahrelang nicht produzieren, da die Kongolesen mit den technischen und organisatorischen Problemen ihres Sektors nicht zu Rande kamen.

Denn der Weg aus einer Agrarge-sellschaft des 18. Jahrhunderts, und das ist die Gesellschaft des Kongo heulte noch zu 90 Prozent, in die Welt der modernen Technologien und Organisationsformen ist für ein Land, das auf dem Sprung ist, ein Entwicklungsland zu werden, von .unvorstellbarer Schwierigkeit. Es ist sicher kein Zufall, daß sich dabei jenes Land, das diesen Sprung selbst erst vor kurzem vollbrachte, als kompetenter, wenn auch freilich machtpolitisch nicht ganz uninteressierter Ratgeber erwies.

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