Krieg der Reichen, Tod der Armen

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Die Erschöpfung der Zivilgesellschaft in Zentral-Afrika ist deutlich spürbar. Nord-Süd-Solidarität ist nötiger als je zuvor.

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Die Erschöpfung der Zivilgesellschaft in Zentral-Afrika ist deutlich spürbar. Nord-Süd-Solidarität ist nötiger als je zuvor.

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Lubumbashi, Katanga, Demokratische Republik Kongo (RDC), September 2000: Roter Staub bedeckt Straßen, Häuser, Tiere, Menschen. Er dringt durch alle Fugen, ist allgegenwärtig. Es ist Trockenzeit in Erwartung des großen Regens. Lubumbashi ist die Hauptstadt der Provinz Katanga, im Süden der RDC (Ex-Zaire) gelegen. Der Kongo ist reich: Hier befinden sich die bedeutendsten Kupfervorkommen der Erde und Edelmetalle wie Wolfram und Kobalt, die für die Weltraumtechnik benötigt werden. Gold, Edelsteine, ausreichend Wasser und Tropenwälder gibt es. Ist dieser Reichtum Segen oder Fluch?

In den Außenbezirken der Halbmillionenstadt haust das Elend: Täglich ziehen Menschen mit kleinen Kindersärgen durch die Straßen. Die Bewohner sind durch Unterernährung so geschwächt, dass eine leichte Krankheit sie hinwegrafft. Die Kupfergewinnung ist großteils stillgelegt, was enorme Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Es gibt keinen Postbetrieb, schlechte Stromversorgung, die Überlandstraßen verkommen. Kommunikation wird unmöglich. Zweimal wöchentlich sichert eine Privatfluglinie die Verbindung nach außen, nach Johannesburg.

Junge Burschen werden eingefangen und zum Militärdienst ausgebildet. Der Krieg, der zur Besetzung von mehr als der Hälfte der RDC durch von Uganda, Ruanda und Burundi unterstützte Aufständische geführt hat und in welchen sieben afrikanische Staaten verstrickt sind, könnte endlos weitergeführt werden, denn er wird durch Gold- und Diamantenverkauf finanziert. Es ist letztlich der Wettkampf mächtiger transnationaler Unternehmen der Industriestaaten um die Herrschaft über die bedeutenden Bodenschätze Zentral-Afrikas; dies verbunden mit geopolitischen Interessen. Den Preis bezahlt das Volk: Hunderttausende flüchten vor den Kämpfen in die Tropenwälder, viele Sterben an Hunger, Malaria, Cholera oder vegetieren in provisorischen Auffanglagern ohne Hygiene und medizinische Versorgung.

Auf Krieg konzentriert Der Staat, völlig auf den Krieg konzentriert, hat vor zivilen Aufgaben kapituliert. Vor drei Jahren - dem voraus ist eine 32-jährige Herrschaft des Diktators Mobutu Sese Seko gegangen - eroberte Laurent-Desire Kabila mit Gewalt die Macht und regiert seitdem autoritär: Demokratisierungsschritte werden nicht verwirklicht, schwere Menschenrechtsverletzungen liegen vor, willkürliche Verhaftungen, Überwachung durch die Geheimpolizei kennzeichnen die Situation.

Um dem Hungertod zu entgehen und sich eine zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen, haben Tausende in den weitläufigen Außenbezirken der Stadt jedes Fleckchen Boden in ein Gemüsefeld verwandelt, züchten Hühner, Gänse und Kaninchen und schaffen so eine parallele Wirtschaftsstruktur, die die Chance zum Überleben vergrößert.

Trotz Erschöpfung und Krankheit arbeiten hier Eltern, um wenigstens einem Kind den Schulbesuch zu finanzieren, seit das Schulgeld jetzt auch für die Grundschule selbst bezahlt werden muss. Unter beachtlichen Risiken engagieren sich weiters viele in Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) für Gerechtigkeit, für eine ethisch erneuerte, demokratische Gesellschaft. Menschenrechtsbewegungen, die sich für Verfolgte und Verhaftete einsetzen, Frauenbewegungen, die sich um Entwicklung, Organisation und Status der Frauen bemühen, karitative Organisationen, Bemühungen um Vertiefung der Grundwerte, des Glaubens, der Verantwortung in christlichen Basisgemeinschaften, Bewegungen der Gewaltfreiheit. Einige ihrer Aktionen seit den 80er-Jahren sind: Für Waffenembargo * Untersuchungen über die Situation in Gefängnissen und über willkürliche Verhaftungen; * Interethnische Versöhnungsarbeit: Während des schweren ethnischen Konflikts zwischen einheimischen und zugewanderten Bergarbeitern waren NGOs bemüht, durch Vorträge und ökumenische Gebete ein Klima der Verständigung zu schaffen. Diese Aktion war sehr erfolgreich; * Zur Sensibilisierung der Situation im Prüfungswesen wurde an allen Schulen der Stadt die Aktion "Nein zur Korruption"wegen Bestechung der Lehrer und Schüler durchgeführt; * Eine Sensibilisierung zur Beendigung des kostenpflichtigen Zugangs zur Grundschule; All diese Arbeit wird mit geringen Mitteln durchgeführt. Deutlich spürbar ist die Erschöpfung dieser Gruppen nach so vielen Jahren des Einsatzes ohne greifbaren Erfolg. Besuche von außen, um Nord-Süd-Solidarität zu bezeugen, um die Haltung der Gewaltfreiheit zu vertiefen, gemeinsam zu reflektieren, zu beten und Atem zu holen auf dem langen Weg zu größerer Gerechtigkeit und Frieden, sind dringend nötig. Ist es doch wesentlich, die Freude wiederzugewinnen, an der ethischen und materiellen Erneuerung des gedemütigten Volkes zu arbeiten.

Unsere Solidarität ist gefordert: durch Bekanntmachung der Situation in Zentral-Afrika; durch entschiedenen Einsatz für ein striktes Waffenembargo (inklusive Kleinwaffen!); durch Aufforderung an unsere Regierungen, sich bei EU und Vereinten Nationen dafür einzusetzen, dass ernsthaft Schritte zur Durchsetzung des vereinbarten Waffenstillstandes unternommen werden.

Die Autorin, Menschenrechts- und Friedensaktivistin, schreibt unter Pseudonym.

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