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Jean Zieglers Abschied vom Klischee des edlen Wilden

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Vor zwei Wochen wurde Jean Zieglers neues Buch groß im französischen Fernsehen vorgestellt, nun liegt bereits die deutsche Übersetzung auf dem Tisch. Ziegler verteidigt seit langem die Sache der Dritten Welt und vor allem Afrikas. „Die Schweiz wäscht weißer" über das Drogengeld machte ihn weltbekannt und brachte ihm eine endlose Reihe kostspieliger Prozesse ein. In seinem ersten Roman „Das Gold von Maniema" bricht er mit seiner einseitig positiven Sicht der Afrikaner als unschuldige Opfer und zeichnet ein differenzierteres Bild.

Held ist Thomas, dessen Vater Chinese und dessen Mutter Afrikanerin war. (In der Kolonialzeit wurden tausende Chinesen als billige Arbeitskräfte nach Afrika verschleppt.) Thomas erlebt die Revolution im Kongo nach dem Tod Lumumbas bis zum Zusammenbruch 1964/65, gestaltet sie teilweise mit und wird von ihr verschlungen.

Es war die Zeit der großen Angst vor der schwarzafrikanischen Revolution, die große Zeit der Söldner vom Schlage eines „Kongo-Müller". Der Beginn legt nahe, den Roman als Dokumentation zu lesen, bis klar wird, daß es Ziegler nicht um historische Genauigkeit gehen kann. In elf Teile mit jeweils mehreren Kapiteln unterteilte er das Buch, jeder Teil hat symbolischen Stellenwert. Die Entwicklung des aus ethnischem Niemandsland kommenden Thomas in der Mission, sein soziales Bewußtwerden, sein Aufstieg zum Führer der illegalen Gewerkschaft und zum militärischen Führer, seine Hinrichtung durch den revolutionären Dogmatiker, das alles steht für grundsätzliche Abläufe in Schwarzafrikas gescheitertem Übergang vom Kolonialismus zur Freiheit.

Neues findet man dabei vor allem über die Rolle der Kubaner. Che Guevara hatte damals bei seiner weltweiten Inspektion aller revolutionären Herde auch das bereits von der Revolution erfaßte Gebiet im Osten des exbelgischen Kongo besucht und zu organisieren versucht. Er hinterließ eine kleine Truppe von schwarzen kubanischen Guerilla-Spezialisten, die allerdings nie so recht Kontakt zu den kongolesischen Truppenführern und noch weniger zu den Simbas fanden. Sie kamen aus einer anderen Welt und erwarteten, daß man auf sie hörte. Sich einzufühlen in eine rückständige Welt des Aberglaubens, war nicht ihre Sache.

Thomas bildet aus den Bergarbeitern, für die er als Generalsekretär der Gewerkschaft bereits ein Führer ist, eine Brigade, mit der er sich den Simbas anschließt, den „Löwen" Soumia-lots, des kubanisch und wahrscheinlich auch sowjetisch ausgebildeten militärischen Kommandanten der Rebellen. Dabei gestattet sich Ziegler große Freiheiten, was die Chronologie der Ereignisse betrifft, ebenso wie auf konkrete Abläufe. In genau der Zeit, in der es nach Zieglers Schilderung Napalm auf jeden Baum geregnet haben müßte, fuhr ich durch genau diese Gegenden, von Maniema bis Juba und zurück nach Stanleyville, und da war einfach gar nichts los.

Wie es schon so ist, sahen die von ihm zitierten Informanten nach 30 Jahren ihre eigene Vergangenheit halt sehr dramatisch. Weiter unten, ab Thomas' Eintreten in die Kämpfe, hält er sich weit mehr an die tatsächlichen Vorgänge, die Namen der Handelnden und ihre konkrete Rolle. Mit Guevara kam Malcolm Santos,

ein Schwarzer aus Barbados, Sohn eines Kaufmanns, der früh zum Kommunisten geworden und zur Ausbildung in die Sowjetunion gegangen war. Santos befehligt die Nordfront der Rebellen in Kivu, der an Ruanda und an Burundi grenzenden Provinz. Zwischen Thomas und dem doktrinären Santos kommt es bald zu Spannungen. Santos dient der Weltrevolution, die keine Rücksicht auf die jeweiligen Bedürfnisse des Landes nehmen darf, Thomas der Befreiung seines Landes und seiner Kollegen. Zu Spannungen kommt es aber auch zwischen Thomas und seinen Soldaten, denn bei jedem Sieg gibt es Massenmorde an den Unterlegenen, die anläßlich der Eroberung Görnas in tagQ-

lange ethnisch motivierte Schlächtereien der siegreichen Rebellen ausufern.

Bis sich Thomas mit seinen Kämpfern der Rebellenarmee anschließt, liest sich der Roman wie einer der klassischen linken Bildungsromane der dreißiger Jahre, schwarzafrikanische Urwaldversion. Etwa zur Zeit, als Ziegler den vierten Teil begann, so wage ich zu vermuten, ereignete sich der Genocid in Ruanda. Zumindest nehme ich an, daß erst die Schrecken von Ruanda Ziegler dazu brachten, auch jene Seite Afrikas zu beschreiben, die er all die Jahrzehnte gekannt haben muß, jedoch diskret unterm Teppich verschwinden ließ. Denn bis Ruanda war es für einen Linken so gut

wie unmöglich, Negatives über die Dritte Welt zu berichten, ohne sofort als Verräter an der guten Sache abqualifiziert zu werden, und das traf natürlich ganz besonders auf Berichte über Untaten fortschrittlicher oder gar revolutionärer Bewegungen zu. Nicht nur auf der linken Seite übrigens. Ich erinnere mich noch gut an den Satz, mit dem vor langer Zeit ein Entscheidungsträger der österreichischen Kirche einen meiner Filme ablehnte: „Der Film ist sehr gut, zum ersten Mal bekam ich ein Verständnis für die afrikanische Gesellschaft. Doch leider, wir können ihn nicht vorführen, da kriegen wir ja keine Spenden mehr."

Mit Ruanda war dieses Tabu gebrochen, offensichtlich auch bei Ziegler. Mit dem vierten Teil jedenfalls

mausert sich der Roman von der etwas abgedroschenen Darstellung des Leids der Unterdrückten zur Darstellung der Tragik des Menschen guten Willens in einer widersprüchlichen, kriegerischen schwarzafrikanischen Wirklichkeit.

Ziegler beschreibt, läßt in den Diskussionen sehr wohl auf historische Wurzeln der ethnischen Feindschaften hinweisen, doch offenbar steht er der Erscheinung fassungslos gegenüber. Mit Recht vermeidet er Schlußfolgerungen - so weit ist er einfach nicht. Wie bei uns allen, sitzt auch bei ihm tief drinnen das Rousseau'sche Bild des edlen Wilden, des Menschen, der einfach gut ist, solange die Zivilisation ihn nicht schlecht'gemacht hat, gewissermaßen der laizistischen Version der Welt vor dem Sündenfall.

Solange dieses Klischee nicht überwunden wird, kann jede Deutung der Wurzeln der von (fast) edlen Wilden in aller Unschuld verübten, letztendlich rassistischen Unmenschlichkeiten nur daneben gehen. Ziegler kann sich auch keineswegs dazu durchringen, diese Grausamkeiten als rassistisch zu bezeichnen, handelt es sich doch auf beiden Seiten um Schwarze. Gleichzeitig kann er aber auch, nach" Ruanda, gar nicht anders, als die Vorgänge und ihre scheinbaren Motive genau zu beschreiben.

Der Wert seiner Darstellung liegt in den Einzelheiten, nicht nur in Stammesfragen. Da ist etwa Malcolm Santos, der kommunistische Doktrinär. Folgt man dessen Weltsicht, seinem Handeln und seiner Argumentation, steht man einem gegenüber, der ideologisch nicht korrekte Personen als Nichtmenschen betrachtet und entsprechend behandelt, ebenso, wie dem Stammesangehörigen ein Fremder einfach kein Mensch ist, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, die meist auf die Machtverhältnisse zurückzuführen sind. Für den Doktrinär zählt die ideologische statt der ethnischen Grenze, der Rest ist wie gehabt.

Der Epilog zeigt übrigens, wie nahe die ideologische Doktrin dem Stammesprinzip steht. Malcolm Santos hat sich mit einer Hundertschaft von Gefolgsleuten auf den unzugänglichen Hängen der Vulkane Fizzi und Bara-ka verschanzt, wo er sich mehrere Jahre hält. In seinem Wahn schwor er, jede Ansiedlung „dem Erdboden gleichzumachen, in der auch nur ein einziger Weißer lebte."

Seit zweitausend Jahren versucht die westliche AVeit, nach anderen Grundsätzen zu leben. Im Osten hat man verschiedene Wege eingeschlagen, um das Ziel zu erreichen, etwa in Indien, wo das Stammes- in ein Kastensystem verwandelt, doch gleichzeitig das Töten verboten wurde. Der Paria sollte also nicht schlechter als eine Kuh behandelt werden - immerhin ein Fortschritt. Viel weiter ging Buddha.

. Wie knapp unter der Oberfläche auch bei uns die atavistische Urhal-tung noch liegt, mag neuerdings ExJugoslawien zeigen. Aber auch viele Österreicher haben es in der Nazizeit bewiesen. Bei der Lektüre dieses wichtigen Buches freut man sich, feststellen zu können, daß eingefahrene Denkprozesse in unserer Zeit wieder einmal aufzubrechen beginnen. In diesem Sinn lese ich „ Das Gold von Maniema" als Buch, das Hoffnung macht.

DAS GOLD VON MANIEMA

Roman von Jean Ziegler.

Albrecht Knaus Verlag, München 1996

255 Seiten, geb., öS272,-

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