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„Fieberkurve“ Katanga

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Die Geschehnisse um die südöstliche Provinz des ehemaligen belgischen Kongo, Katanga, sind nicht immer deutlich, und sie sind jedenfalls mehrschichtig. Die zweite, innerhalb eines Vierteljahres unternommene Aktion der UNO-Streitkräfte, die vom 5. bis 19. Dezember zu Kämpfen um Elisa- bethville führte, wurde nach Ort, Zeit und Absicht nicht minder umstritten.

Der Ort der Handlung

Katanga, mit einer Ausdehnung von 497.000 Quadratkilometer die zweit größte der sechs Provinzen des ehemaligen belgischen Kongo, ist ein administratives Gebilde. Ausgangspunkt seiner nur wenig mehr als 50 Jahre umspannenden Kolonialgeschichte war der Anschluß des um die Jahrhundertwende unter Kontrolle der Internationalen Kongokompanie gelangten Gebietes ab 1911 erst an das rhodesische Bahnnetz, der die Industrialisierung einleitete. Als weitere Verbindungen wurden zu Häfen am Atlantik durch Angola die Ben- guelabahn und eine Anschlußstrecke zum Kongohafen Matadi errichtet, deren Endpunkt Port Francaui am mittleren Kassaifluß noch den Namen eines jener Männer trägt, die Katanga für den Kongostaat erschlossen.

Die Bevölkerung des Landes, das größer ist als Deutschland in seinen Grenzen von 1938, erreicht mit 1,7 Millionen Einwohnern knapp zwei bis drei Prozent einer mitteleuropäischen Bevölkerungsdichte. Manche Regionen waren zu Ende des 19. Jahrhunderts, zum Teil auch infolge Entvölkerung durch Epidemien, praktisch menschenleer. Die Völker, die sich als die Altbewohner Katangas betrachten, bilden so auch heute nur etwa 45 Prozent der Gesamtbevölkerung. Dagegen hat nach den Industriezentren ein starker Zustrom aus anderen Ländern stattgefunden. Die im Norden der „Provinz Katanga“ ansässigen sowie aus dem Kassai zugewanderten Baluba bilden 35 Prozent, andere Zuwanderer, aus dem dichtbevölkerten Ruanda- Urundi wie auch aus Rhodesien und Angola, etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung, von der wiederum nicht weniger als 36 Prozent in den städtischen Agglomerationen und Minensiedlungen leben, neben etwa 34.000 Europäern (1960). Das soziale und kulturelle Gefälle zwischen dem städtischen Milieu, in dem die 20.000 Arbeiter der „Union Miniere“ den höchsten Lebensstandard Afrikas haben, und den im „Busch" lebenden Völkern ist schroff. Einen ähnlichen Eindruck vermitteln auch Angaben über den Stand der Missionen. Sind etwa die Hälfte der einheimischen Bevölkerung Christen (700.000 Katholiken, 130.000 Protestanten), liegt doch die Chrisrianisierungszahl in einer Diözese über 90 Prozent, in anderen Landesteilen nur um 20 Prozent.

Der Boden Katangas ist nach den Worten eines seiner Entdecker ein „geologischer Skandal". Aus ihm wurden 1960 riesige Mengen von Kobalt und Kupfer, aber auch andere wertvolle Minerale durch eine Produktion von Weltbedeutung gewonnen. So deckte Katanga nicht nur in der Kolonialzeit weit mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen des Kongo, sondern hätte nach den Plänen von Brüssel auch weiterhin die Entwicklung des unabhängigen Kongo finanzieren sollen, ohne daß freilich dafür eine politisch realisierbare Lösung gefunden worden wäre. Alles in allem ist es nicht allein der „geologische“, der den politischen Skandal um Katanga verursacht hat.

Das Geschehen läuft ab

Seit der Zusage der Unabhängigkeit an den Kongo anfangs 1960 ist das Katangaproblem in Fluß geraten.

Jänner Februar I 9 60: Belgien beschließt nach einem Jahr der blutigen Unruhen in vielen Teilen des Kongo, die allerschwerste Rückwirkungen auf die Wirtschaftslage der bishin blühenden Kolonien gezeitigt haben, dem Kongo nach -Abhaltung erster allgemeiner Wahlen ohne weitere Vorbereitungszeit die Unabhängigkeit zu gewähren. Auf der „Table Ronde“ der Kongopolitiker in Brüssel erleidet Tschombe, der für eine bundesstaatliche Gliederung des künftigen Kongo eintritt, eine Niederlage.

März 1960: Der Premier der zentralafrikanischen Föderation, We- lensky, bekundet in einem Interview Interesse für die ihm von einflußreicher Seite aus Katanga unterbreitete Absicht eines eventuellen Anschlusses Katangas an die Föderation, was Proteste und Erregung in Belgien und auch Paris verursacht. Blutige Zusammenstöße nach einer Wahlrede Lumumbas in Elisabethville.

Mai 1 9 60: Kongowahlen. In Katanga teilen sich Tschombes „Bund der Stammesverbände Katangas" (Co- nakat) und das Kartell der Baluba und einiger Zuwanderergruppen (Balu- bakat) unter Jason Sendwe die Sitze im Zentralparlament.

Der Kampf gegen Lumumba

Juni 1960: Der Exodus der Balubakat macht das Provinzparlament beschlußunfähig. Erst ein Sondergesetz in Brüssel ermöglicht die Bildung einer Provinzregierung durch einfache Mehrheit. Die Balubakat droht, eine eigene Provinzregierung für Nordkatanga mit der Hauptstadt Manono auszurufen. Sie unterstützt bei der Bildung der Kongoregierung Lumumba, der Sendwe zum Kommissär der Zentralregierung für Katanga ernennt. Tschombe, dem Lumumba einen zu geringen Einfluß in der Zentralregierung einräumen will, droht mit der Unabhängigkeitserklärung Katangas vor der des Kongo.

Juli 1960: Die Meuterei der Kongoarmee greift auf die in Katanga stationierten Einheiten über, nachdem Lumumba die belgischen Offiziere korporativ entlassen hat, wird aber mit Hilfe belgischer Fallschirmjäger unterdrückt, worauf die nach Rhodesien geflohenen Europäer zurückkehren. Tschombe erklärt Katanga am 11. Juli unabhängig und verweigert Lumumbas Flugzeug die Landung.

August 1960: Hammarskjöld erzwingt für die UNO-Kontingente persönlich den Zutritt nach Katanga, die UNO beschließt jedoch, sich in die „inneren Auseinandersetzungen“ im Kongo nicht einzumengen. Dies führt zur Entzweiung der UNO-Operations- leitung mit Lumumba, der Katangas Unterwerfung mit Gewalt plant.

September 1960: Lumumbas Offensive gegen Katanga bleibt in einem Buschkrieg gegen die Baluba im Südkassai stecken. Die dort verübten Massaker werden von der UNO verurteilt und ziehen den Sturz Lumumbas nach sich.

Teilung des Kongo?

Dezember 1 960 Jänner 19 6 1: Lumumba wird auf der Flucht verhaftet. Gizenga erreicht Stanleyville und proklamiert dort die Fortdauer der Regierung Lumumba, welche die Ostprovinz und Kivu kontrolliert.

Die afrikanischen Staaten scheiden sich auf den Konferenzen von Brazzaville und Casablanca hinsichtlich des Kongo in zwei Lager. Auslieferung und Tod Lumumbas in Katanga.

Truppen der Ostprovinz dringen in der von der UNO „neutralisierten“ Zone Nordkatangas ein, wo die Katanga-Baluba nun in Manono ihren eigenen „Lualaba-Staat“ ausrufen.

Februar 1961: Militärisches Bündnis Kasavubu-Kalonj i-T schombe gegen Stanleyville. Weltweite Reaktion auf den Tod Lumumbas: Die Mehrzahl der Casablancastaaten beruft ihre UNO-Kontingente aus dem Kongo ab. UNO-Resolution vom 21. Februar beschließt unter anderem notwendige Maßnahmen zur Verhinderung eines Bürgerkriegs, Recht der UNO zum Waffe,n gebrauch, Reorganisation der Kongoarmee, die Evakuierung „alles belgischen und anderen ausländischen militärischen und paramilitärischen Personals, aller politischen Berater, die nicht dem UN- Kommando unterstehen, und aller Söldner“.

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