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Morde im Niemandsland

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Es scheint, daß seit der mißglückten UNO-Aktion gegen Katanga im September erst die Ermordung der 13 Angehörigen der italienischen Luftwaffentransporteinheit in Kindu das internationale Interesse an der dortigen Lage wieder geweckt und zugleich die Aufmerksamkeit auf ein Gebiet gelenkt hat, das in besonders augenfälliger Weise die Probleme des Kongo widerspiegelt: die Provinz Kivu. Mit einem Flächenausmaß von 256.000 Quadratkilometer (wie die Bundesrepublik Deutschland) die kleinste der sechs Kongoprovinzen, birgt sie doch in ihrem Inneren die schwersten Spannungen, die das wirtschaftlich ehemals blühende Land heute weitgehend ruiniert und zu einem Schauplatz immer neuer, blutiger Ereignisse gemacht haben.

Die Kivu-Provinz zerfällt in zwei stark verschiedene Regionen: das eigentliche Kivu-Gebiet im Nordosten und Osten des gleichnamigen Sees, an dem die Provinzhauptstadt Bukavu (einst Costermannsville) liegt, und den sogenannten Maniema im Süden und Westen der Provinz, beiderseits des hier schon Lualaba genannten oberen Kongolaufes, an dem als wichtigste Siedlung des Maniema das Städtchen (1956: 23.000 Einwohner) liegt. Für die politische Topographie kann man nur auf das Abschiedsgeschenk der belgischen Verwaltung an den Kongo, die Parlamentswahlen de Mai 1960, zurückgreifen: Damals errangen das „Centre de Regroupe- ment Africain" (CEREA) 10, Lumumba „Kongolesische Nationalbewegung' (MNC) — im Maniema — 6 und die gemäßigte belgienfreundliche „Nationale Fortschrittspartei“ (PNP) sowie die Listen von Stammeshäuptlingen 7 der insgesamt 23 auf die Bevölkerung von Kivu (2,3 Millionen) ent fallenden Sitze im Zentralparlament, während im Provinzparlament die CEREA die absolute Mehrheit errang.

Auch die CEREA aber, die sich vor allem auf die Baschi-Stämme am Kivu- See, dem am dichtesten bevölkerten Gebiet, und die Völkerschaften des Nordens stützte, war keineswegs eine einheitliche, obzwar gut organisierte Bewegung. Als Führer ihres „radikalen" Flügels wurde der stark linksgerichtete Politiker Anicet Kashamura bekannt, der auf Bundesebene eine enge Zusammenarbeit der CEREA- Fraktion mit Lumumba einging und als Informationsminister in dessen Kabinett über Radio Leopoldville im Sommer 1960 eine intensive Propaganda entfaltet hat, der man die Ausbreitung der Meutereien und Ausschreitungen in bishin ruhige Gebiete des Kongos zugeschrieben hat, da Kashamura seine unwissenden Hörer laufend über angebliche Morde belgischer Fallschirmjäger, die Spionagetätigkeit von „Weißen“ und Verschwörungen kirchlicher Stellen wie politischer Gegner „informierte“. Demgegenüber lag die Provinzverwaltung bis Ende 1960 in den Händen einer gemäßigten CEREA-Gruppe, an deren Spitze als Provinzpräsident der Katholik Jean Miruho stand.

Die Anarchie begann schon 1960

Nicht so in Maniema, wo bereits im Frühjahr 1960 größere Unruhen ausbrachen, und wo Lumumba auf seiner Rundreise im Juli 1960 die von der Provinzregierung eingesetzten Funktionäre kurzerhand enthob und seinen Gefolgsmann Soumialot als Distriktskommissär einsetzte. Miruho setzte nach einigen Wochen Soumialot wieder ab, doch dieser proklamierte dann im Oktober mit Hilfe von Truppen aus Stanleyville, die au der Ost provinz gegen Katanga in Marsch gesetzt worden waren, sich aber infolge der damaligen UNO-Intervention wieder nach dem Kivu zurückziehen mußten, den Maniema als unabhängig von Kivu. Es scheint, daß vorwiegend diese und andere Truppen aus der Ostprovinz, die in der Folge nach Kivu gelangten, für die schnelle Verschlechterung der Verhältnisse auch in anderen Teilen der Provinz verantwortlich waren. Nach dem bekannten Zwischenfall um das österreichische Sanitätskontingent, das in Bukavu von Kongotruppen festgenommen und dann von nigerianischen UNO-Trup- pen befreit wurde, verhafteten Truppen Miruho und andere Mitglieder der Provinzregierung und brachten diese nach Stanleyville, während ein Kom- n;andounternehmen Miruhos gegen Bukavu fehlschlug. Theoretisch über nahm zunächst Kashamura die Macht; in Wirklichkeit begann eine monatelange Anarchie. Die verbleibenden Europäer wurden nicht nur am Verlassen des Landes gehindert, sondern willkürlich verhaftet, mißhandelt, beraubt, eine Anzahl in abgelegenen Gebieten auch ermordet und ihr Besitz „nationalisiert“. Auch die Mission hatte Todesopfer, wie P. de Vos, zu beklagen. In Kindu kam es am 2. und 3. Februar zu Gefechten zwischen Kongotruppen und einer nigerischen UNO-Einheit, die mindestens fünf Mann, darunter einen Offizier, verlor. Es hat also auch dort nicht die erste Bluttat am 13. November stattgefunden. Es war bloß die erste, die die Welt zur Kenntnis genommen hat. In den Tagen des Februar 1961 war die Verfolgung von Missionären in Teilen von Kivu sogar so heftig, daß die Zeitungen im benachbarten Ruanda- Urundi von „Verfolgung“ sprachen, wobei sich vor allem Gruppen einer indoktrinierten MNC-Jugendorganisa- tion hervortaten, die deutlich eine kommunistische Lenkung zeigten.

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