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Hat Demokratie in Afrika überhaupt eine Chance?

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Ströme von Blut und Zehntausende verwesende Leichen im Grenzgebiet Zaires zu Ruanda: kein ermutigendes Bild vom Fortschritt Afrikas in Richtung ziviler Gesellschaft.

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Ströme von Blut und Zehntausende verwesende Leichen im Grenzgebiet Zaires zu Ruanda: kein ermutigendes Bild vom Fortschritt Afrikas in Richtung ziviler Gesellschaft.

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Waren die Ansätze seit der Implosion des Ostblocks zur Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft in fast allen afrikanischen Staaten nur Strohfeuer und entsprechen sie etwa gar nicht afrikanischer Mentalität? Schon sprechen Beobachter von der grundsätzlichen Schwäche des demokratischen Systems, das wohl nur in hochentwickelten westlichen Industrieländern funktioniere. Anderswo darauf zu drängen, hätte wenig Zweck.

In Ruanda wurde der Konflikt zwischen den demokratischen Strömungen — so wie sie zur Zeit Afrika bewegen — und den tieferliegenden archaischen Auffassungen von der Gesellschaft auf eine nicht mehr verkraftbare Spitze getrieben. In kleinerem Maßstab ereignete sich ähnliches in Liberien, Togo, Somalia, Kongo, Zaire und bis hin nach Südafrika mit der Auseinandersetzung zwischen Inkatha und ANC. So pessimistisch dieses Gesamtbild Afrikas auch stimmen mag, bei genauerem Hinsehen läßt sich erkennen, daß es sich um Übergangsprobleme handelt, die sich sehr wohl in unsere Begriffsraster einordnen lassen.

So wie im benachbarten Zaire, im Kongo und etlichen anderen afrikanischen Ländern gab es auch in Ruanda bei der Gründung des unabhängigen Staates Probleme der Vorherrschaft des einen oder anderen Stammes. Hier in Europa hatten wir die gleichen Probleme, in Frankreich schon vor rund einem Jahrtausend, als zwischen „Langue d'oc“ und „Langue d'oi“ entschieden wurde, also der Vorherrschaft des Nordens, der „Oui“ sagte, oder des Südens.

Bei den europäischen Nationalstaatsgründungen ging es vordergründig noch nicht um Demokratie.Tn Afrika dagegen stand diese Frage von vornherein auf der Tagesordnung, wobei die Befürworter eines demokratischen Systems mit gewichtigen Gegnern zu tun hatten. Wir alle hätten liebend gerne einen möglichst geradlinigen Übergang zu den Verhältnissen, die wir als die guten und richtigen empfinden. In der Praxis trifft man auch immer wieder auf solche Perioden; dann wieder brechen solche ruhigen Zeiten auf und alle Hoffnung auf vernünftige Lösungen scheint vergeblich geworden.

Die Erfahrung auch nur des letzten Jahrhunderts sollte uns gezeigt haben, daß über längere Zeiträume geradlinig eigentlich nirgendwo etwas vorangeht. Auch nicht in Schwarzafrika, auch nicht in Ruanda. Dort hatte sich über die Jahrzehnte hinweg eine gebildete Schicht etabliert, die ebensosehr aus Hutus wie aus Tutsis und, was die jüngere Generation bis zu 40 Jahren betrifft, aus gemischten Ehen kommend bestand. Es war diese Schicht, welche seit jeher zur Entwicklung demokratischer Strukturen drängte. In dem Ausmaß, in dem Präsident Habyarimanas Partei mit dem Vorwand, die Interessen der Hutus zu verteidigen, alle Freiheiten abwürgte und die Reichtümer des Landes als Privatbesitz der Parteiführer behandelte, fand die Opposition verstärkten Zulauf aus dieser Schicht, mit steigendem Anteil an gebildeten Hutus. Solange Habyarimana die Unterstützung Jean- Christophe Mitterrands hatte, des französischen Präsidenten Sonderbeauftragten für Afrika, kojmte er sich gegen die innere Opposition halten. Als Jean-Christophe (Spitzname: „Papa-a-dit“, „Papa hat gesagt“) über seine Skandale stolperte und von der Bildfläche verschwand, bekamen die Kräfte der inneren Opposition Auftrieb. Die FPR bekam Zulauf aus gebildeten Hutu-Kreisen, was wiederum die Gefolgsleute Habyarimanas das Ärgste für ihre Privilegien befürchten ließ, als der Präsident das Abkommen von Arusha über den Frieden mit der FPR unterzeichnete. Er unterzeichnete sein Todesurteil.

Nicht nur seines. Die Antreiber der Hutu-Milizen übernahmen voll das Schlagwort von der „ethnischen Säuberung“, wobei bezeichnenderweise auch demokratische Hutus systematisch abgeschlachtet wurden.

Statt den rassistischen Führern der Hutus endgültig die Macht im Staat zu sichern, haben die Massenmorde an „den anderen“ das eigene Volk ins Elend gestürzt und im Endergebnis die Machtergreifung durch die Opposition beschleunigt.

Langsam und dann schneller wird die Masse der Bevölkerung in ihre Heimatgemeinden zurückkehren, dazu aber auch die in den vergangenen Jahrzehnten vertriebenen Tutsi. Im Land haben bereits Zweckgemeinschaften aus FPR, ehemaliger Opposition und besonnenen Elementen der Hutu erste Infrastrukturen wiederaufgebaut. Jetzt wird, mit nicht immer eindeutiger Motivation, zwischen Frankreich und den Regierungen der betroffenen Nachbarländer, allen voran Zaire, verhandelt, wie die Milizangehörigen und Soldaten neutralisiert — oder in Reserve gehalten - werden könnten. Sie bilden einen potentiellen Gefahrenherd für die innere Sicherheit dieser Region.

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